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Ausgabe: | Oktober/2009 |
Spalte: | 1039–1041 |
Kategorie: | Judaistik |
Autor/Hrsg.: | Adams, Samuel L. |
Titel/Untertitel: | Wisdom in Transition. Act and Consequence in Second Temple Instructions. |
Verlag: | Leiden-Boston: Brill 2008. XIII, 314 S. gr.8° = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 125. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-90-04-16566-3. |
Rezensent: | Georg Freuling |
Bei der zu besprechenden Arbeit handelt es sich um die zum Druck überarbeitete Dissertation des Autors an der Yale Universität aus dem Jahre 2006. In seiner Einführung knüpft A. an die These Kochs an, problematisiert aber in Anlehnung an die Beiträge Kellers, Assmanns, Boströms und Janowskis die mangelnde Berücksichtigung der sozialen Dimension, die Ausblendung der Initiative Gottes und die an Kochs These geknüpfte Vorstellung einer Weltordnung (Schmid); auf die über den Aufsatz »Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?« hinausgehenden Arbeiten Kochs und die darin enthaltenen Präzisierungen seiner These geht er dabei allerdings nicht ein. Trotz dieser Kritik bleibt der Tun-Ergehen-Zusammenhang bei allen notwendigen Korrekturen eine wichtige Hilfe zum Verständnis weisheitlicher Wirklichkeitswahrnehmung bis hin zu seiner Problematisierung bei Hiob und Kohelet und seiner Eschatologisierung in der Zeit des Zweiten Tempels. Hier liegt das eigentliche Interesse der Studie: Apokalyptische und hellenistische Vorstellungen führen zu einer erheblichen Modifikation des Konzeptes, die anhand einschlägiger Texte in chronologischer Reihenfolge (ägyptische Weisheitslehren, Proverbia, Kohelet, Sirach und weisheitliche Qumranschriften) nachgezeichnet wird:
Kapitel 1 bietet als altorientalischen Kontext alttestamentlicher Weisheit exemplarische Erwägungen zum Tun-Ergehen-Zusammenhang in den ägyptischen Lebenslehren, deren über formale Eigenarten hinausgehendes gemeinsames Interesse in der Anleitung zu einem den sozialen Bezügen angemessenen Verhalten liegt. Die Darstellung folgt der von Assmann ausgeführten These Brunners (»Der freie Wille Gottes«), ein durch Maat bewirkter zwangsläufiger Zusammenhang von Tun und Ergehen in den älteren Lehren (unter 3. Ptahhotep und Merikare) sei in den jüngeren Lehren des Neuen Reiches (unter 4. Amenemope) zu Gunsten eines davon gelösten Wirkens Gottes aufgegeben; diese These wird nach Durchsicht der genannten Lehren modifiziert: Auch bei stärkerem religiösen Akzent bleibt das Anliegen der jüngeren Lehren die Einweisung in die sozialen Gegebenheiten, die auch in den älteren Lehren niemals als »mechanische« Zusammenhänge dargestellt werden. Darüber hinaus rechnen die erläuterten Lehren mit einer auch jenseitigen Herstellung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs.
In Kapitel 2 untersucht A. den Tun-Ergehen-Zusammenhang in den Proverbien. Nach kurzen Erläuterungen zu Struktur, Datierung und Sitz im Leben, die freilich (in diesem Umfang) hinter dem zuvor (54) formulierten Anspruch zurückbleiben (müssen), erläutert er die Rolle Gottes; in Anlehnung an McKane, Blenkinsopp und Fox rechnet er mit einer redaktionellen Theologisierung der Proverbien, betont aber mit Recht, dass die Annahme einer »profanen« Weisheit im altorientalischen Kontext problematisch ist. Dem mag man ebenso zustimmen wie den Ausführungen, die Intention der Proverbien läge nicht in der Darstellung einer umfassenden Weltordnung, sondern sei pädagogisch zu bestimmen und ziele auf die Einordnung in die (nach A. mit Assmann und Janowski sozialen) Zusammenhänge des Lebens. Zuletzt legt die teilweise jenseitige Perspektive der ägyptischen Lehren eine Rückfrage nach den Todesvorstellungen der Proverbien nahe: Der Kontrast von Tod un dLeben ist nach A. ganz der pädagogischen Intention fruchtbar gemacht – erst die Septuaginta trägt eschatologische Implikationen ein.
Bei Qohelet (Kapitel 3) gerät die frühe Weisheit in eine nach A. durch die Voraussetzungen der hellenistischen Zeit bedingte Krise. Nach Erläuterungen zu Form und geistesgeschichtlichem Hintergrund tritt die Wahrnehmung des Todes bei Qohelet in den Vordergrund: Der Tod überschattet menschliches Leben so, dass jeder Zusammenhang von Tun und Ergehen irrelevant wird. Gegen einen jenseitigen Ausgleich, wie ihn zeitgleich die Apokalyptik entwickelt, polemisiert Qohelet (so die Deutung von 3,21 mit Michel).
Als Apologie überkommener Weisheitstradition erschöpft sich Sirach (Kapitel 4) nicht in bloßer Opposition zum Hellenismus, sondern entwickelt diese Tradition unter den veränderten Bedingungen seiner Zeit fort, wie A. nach Ausführungen zu Form und historischem Kontext erläutert: In den Vordergrund tritt die Anleitung zur Gottesfurcht, auf deren Grundlage gelingendes Leben möglich wird, ohne dass Grenzerfahrungen ausgeblendet werden. Die Spannung zwischen Souveränität Gottes und menschlicher Freiheit wird dabei vor dem Hintergrund der pädagogischen Intention (190) nicht ausgeglichen. Dass sich die Weisheit Sirachs grundlegend vom theologischen Programm der Apokalyptik – die Hinweise auf eine Auseinandersetzung mit äthHen bleiben allerdings vage – unterscheidet, liegt auf der Hand. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang bleibt unter Erweiterung der Argumentationsbasis durch die Verbindung von Weisheit und Tora in überkommener Form in Geltung; über den Tod hinaus bleibt nur der Name.
Von den besprochenen Texten zeigen allein zuletzt (Kapitel 5) die weisheitlichen Qumranschriften (1Q26; 4Q415–418; 423) eine Verbindung von Weisheit und Apokalyptik, die unter eschatologischer Perspektive ein Festhalten am Tun-Ergehen-Zusammenhang auch angesichts erfahrener Widersprüche ermöglicht: »The apocalyptic worldview created the possibility for a consistent Tun-Ergehen-Zusammenhang.« (232, vgl. 269) Gut weisheitlich ist dabei die pädagogische Ausrichtung, apokalyptisch die eschatologische Perspektive; die hier wichtige Diskussion um den Ursprung der Apokalyptik bzw. um die alte These G. von Rads wird allerdings denkbar kurz aufgegriffen (243 ff.). Eine Zusammenfassung aller wesentlichen Thesen beschließt die Arbeit.
Insgesamt leidet die Studie darunter, dass A. seine Hypothesen häufig jenseits der Texte entfaltet. Darüber hinaus unterbleibt eine präzise Erfassung der These Kochs, die nach wie vor Ausgangspunkt einer Untersuchung zum Thema sein sollte. – Über die Arbeit von A. hinausgehend sei die Frage aufgeworfen, ob sich der Tun-Ergehen-Zusammenhang tatsächlich auf eine Kategorie sozialer Interaktion reduzieren lässt; auch wenn so ein wichtiger Aspekt benannt wird, ist zu prüfen, ob es sich aus weisheitlicher Perspektive nicht nur um ein Segment umfassend wahrgenommener Wirklichkeit handelt.
Unbeschadet dessen bietet A. wichtige – nach eigenem Anspruch – Perspektiven (»windows«) zum Sachzusammenhang, die freilich alle inhaltlichen Implikationen nicht annähernd klären können. Darin liegen der Gewinn jeder empfohlenen Lektüre sowie die Grenze seiner Arbeit.