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Ausgabe:

September/2009

Spalte:

934–936

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Troll, Christian W.

Titel/Untertitel:

Unterscheiden um zu klären. Orientierung im christlich-islamischen Dialog. M. e. Vorwort v. H. Klautke.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Herder 2008. 304 S. 8°. Geb. EUR 22,00. ISBN 978-3-451-29671-0.

Rezensent:

Friedmann Eißler

Die 13 Kapitel des Sammelbandes sind als eigenständige Beiträge des Vf.s in unterschiedlichen Dialogkontexten entstanden und bis auf einen Vortrag (Kapitel 7 »Islamisches Gottesverständnis und Dialog«) schon an anderem Ort innerhalb der letzten zehn Jahre publiziert worden (eine Ausnahme aus 1991). Für den Druck überarbeitet, sind sie mit kurzen Überleitungen versehen und in drei Hauptteilen systematisch angeordnet und werden neben Anmerkungsapparat und knappem Literaturverzeichnis durch vier gründliche Register erschlossen.

Im umfangreichsten Teil A werden verschiedene »Dimensionen des Dialogs« wie die heutigen Voraussetzungen des Dialogs, die Fragen um Wahrheit und Toleranz, Religionsfreiheit, Mission sowie ethische und politische Aspekte beleuchtet.

Gleich im ersten Beitrag werden theologische Kriterien der Unterscheidung eingeführt, die sich wie ein roter Faden durch die dialogischen Bemühungen des Vf.s ziehen. »Parallelen und Gegensätze in der Lehre« werden anhand gleicher oder ähnlicher Begriffe benannt, die auf Gemeinsamkeiten hinzuweisen scheinen, in Wirk­lichkeit jedoch »nicht selten tief gehende Divergenzen« verdecken (31). Dazu zählt der Vf. Offenbarung und Heilsgeschichte, Gott, Jesus Christus, Sünde, Erlösung, Vergebung und den Heiligen Geist. Angesichts der Unüberbietbarkeit der gewaltlosen Selbsthingabe Jesu wird die ursprüngliche apologetische Aufgabe (im Sinne der apologia 1Petr 3,15) als genuiner christlicher Auftrag in den Blick genommen. Als Grundlage für ein respektvolles und friedliches Miteinander sieht der Vf. angesichts der Gegensätze nicht die Religion, sondern die Menschenrechte. Diese müssten nicht nur gleichsam pro forma, sondern aus den Prinzipien des Glaubens heraus akzeptiert werden. An prominenter Stelle rangieren hier insbesondere die aktive und die passive Religionsfreiheit.

Aufschlussreich in Bezug auf Kriterien zur Unterscheidung und Beurteilung islamischer und islamistischer Richtungen und Tendenzen in der Situation nach dem 11. September 2001 ist insbesondere Kapitel 3 (Die ethische und politische Dimension des Dialogs). Im Blick auf die in diesem Zusammenhang dringlich gewordene kritische Reflexion der Tradition fordert der Vf. eine zeit­gemäße Koranexegese und Koranhermeneutik. Auch die Anerkennung der »säkular-demokratische[n] Rechtsordnung als die universal geforderte Bedingung der Möglichkeit für ein plurales Zusammenleben in Solidarität und Gerechtigkeit« sei wesentlich (72). Dass die Kirche(n) dabei selbst einem teilweise schmerzhaften Lernprozess unterlagen und unterliegen, zeigt der Vf. in Kapitel 4 (Dialog und Wahrheitsanspruch in Christentum und Islam), u. a. anhand der Bedeutung der konziliaren Erklärung »Dignitatis Humanae« (82 ff.). Hier setzen auch Überlegungen zur Verhältnisbestimmung von Menschenwürde und Religionsfreiheit (Kapitel 5, ausführlich zur Religionsfreiheit im Islam) sowie von Mission und Dialog an (Kapitel 6).

Teil B wendet sich »Unterscheidungen im Glauben« zu (Kapitel 7–10). Unter dieser Überschrift werden nicht nur das islamische Gottesverständnis, die Haltung gegenüber den Ungläubigen und die Frage nach dem Prophetentum Muhammads verhandelt, sondern auch Abraham (Kapitel 8). Zwar kann Abraham demnach durch die Dimension fundamentaler Glaubenserfahrung, die seine Strahlkraft in den »abrahamischen« Religionen ausmacht, zur friedlichen Konvivenz und zur solidarischen Suche nach der je größeren Wahrheit anleiten. Dennoch unterstreicht die Einordnung (vgl. auch den Buchtitel) wie die Durchführung des Kapitels: »Die Divergenzen im Glauben der genannten Religionen hinsichtlich Abrahams sind mindestens ebenso zahlreich wie die Konvergenzen.« (151)

Divergent sind auch das mekkanische und das medinensische Paradigma, die hinsichtlich der Verhältnisbestimmung zum Anderen eine nicht unwesentliche analytische und hermeneutische Rolle spielen (Kapitel 9). Die Normativität des Erbes Muhammads und seines Koranverständnisses öffnet die Augen für das koranische Potential der Integralisten: Die innere Logik des Koran geht auf das medinensische Paradigma zurück, das der Umma ein realisierbares religiös-politisches Ziel vor Augen stellt und auf unterschiedliche Weise den Islamismus imprägniert (171 ff.). Insofern überrascht es nicht, dass der Vf. sich auf die Seite des 1985 hingerichteten sudanesischen Reformers M. M. Taha stellt und eine Abwendung vom maßgeblichen medinensischen Paradigma fordert (177) – nicht ohne umgehend selbst Zweifel zu bekunden, ob dies mit einer »legitimen« Lektüre des Koran begründet werden könne. Denn es fehle »drastisch« eine »genuin islamische Rechtfertigung für eine vom Herzen des Glaubens her getragene, aktive muslimische Teilnahme an der Gestaltung der plural-demokratisch und säkular-rechtsstaatlich gestalteten Gesellschaften unserer Zeit, auf der Basis der Menschenrechte« (179). Hier ist der Vf. wieder bei seinem Thema, durch die Erhellung von Bezügen zwischen theologischen Fragestellungen und aktuellen gesellschaftlichen und politischen Konstellationen auf Sensibilisierung und Klärung zu dringen.

Das längste Kapitel des Abschnitts über Muhammad (Kapitel 10) bleibt Muslimen auf die entscheidende Frage der Anerkennung Muhammads die Antwort nicht schuldig. Mit einer Option für die dogmatische Reflexion wird ebenso knapp wie überzeugend aufgezeigt, dass »für Christen als Christen« Muhammad nicht in dem Sinne Prophet sein kann, der diesem Titel im Koran und im Islam zukommt (184 f.). Dies dürfe keinesfalls mit einer Verleumdung Muhammads einhergehen, wesentlich für das geistliche Gespräch zwischen Muslimen und Christen sei vielmehr, das Allāhu akbar (Deus semper maior) weiter und tiefer zu verstehen (195). Spannend im doppelten Sinne ist in dem Kontext das Festhalten des Vf.s an der Charakterisierung Muhammads als »religiös-politische Gründergestalt, die viele Menschen zu Gott geführt hat« (197). Grundlage dafür ist die Auffassung, Christen und Muslime seien »im Glauben an den einen Gott geeint« (196). Damit ist auf »Einschätzungen der Theologie« verwiesen, die folgerichtig in Teil C (Kapitel 11–13) Thema sind. Kriterien für den Stellenwert des Korans und für die Bestimmung des eigenen Standorts im Dialog aus christlich-theologischer Sicht werden diskutiert. Eine pointierte Evaluation von signifikanten Entwicklungen in der Einschätzung des Islams von offizieller katholischer Seite schließt den Band ab. Hierbei werden Äußerungen, die wie die Richtlinien »Wege zum christlich-islamischen Dialog« (M. Borrmans, dt. 1985) als »allzu optimistisch und vielleicht naiv« eingeschätzt werden (242), regionale Aspekte mit Hinweisen auf die realen Probleme kritisch gegenübergestellt.

Im Ganzen bestimmen ausgeprägte Einfühlsamkeit und durchaus selbstkritische Reflexion den Ton, der den jahrzehntelangen Umgang des Vf.s nicht nur mit der »Materie«, sondern mit Menschen muslimischen Glaubens in praktisch allen Ländern der islamischen Welt widerspiegelt. Punktuell verbindet sich dies mit einem Aussagegefälle, das einen gleichsam paternalistisch gefärbten Unterton nicht verbergen kann, wenn etwa direkt oder indirekt Forderungen an die muslimische Seite gerichtet werden. Doch bleibt das Anliegen, nicht den Islam als Gegenüber zu sehen, sondern konkrete Schritte aus Überzeugung auf eine effektive Erneuerung des idschmā’ (Konsens in religiösen und ethischen Fragen) hin zu erreichen, durchgehend deutlich. Das Buch lässt eine geistliche Tiefe spüren, die darum ringt, dass noch so fundamentale Unterschiedlichkeit die menschliche Begegnung in der Gegenwart des lebendigen Gottes nicht verhindern darf.