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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

807–808

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sänger, Dieter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Psalm 22 und die Passionsgeschichten der Evangelien. M. Beiträgen v. E. Bons, M. Labahn, H. Omerzu, D. Rusam u. H. Strauß.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2007. VI, 159 S. 8° = Biblisch-Theologische Studien, 88. Kart. EUR 22,90. ISBN 978-3-7887-2206-7.

Rezensent:

Wolfgang Reinbold

Psalm 22 ist von zentraler Bedeutung für die Deutung des Todes Jesu in den Passionsgeschichten der Evangelien. Seine Rezeption war das Thema der Tagung der Projektgruppe »Biblische Intertextualität« der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie im Jahr 2006, deren Beiträge in diesem Band dokumentiert sind.
Eingangs übersetzt Hans Strauß den hebräischen Ausgangstext und kommentiert ihn kurz (1–11: Zur Ausgangsexegese von Psalm 22 = eine überarbeitete und um neuere Literatur [Anm. *] ergänzte Version von ders., Psalm 22, in: Ders., »… eine kleine Biblia«. Exegesen von dreizehn ausgewählten Psalmen Israels, BThSt 56, Neukirchen-Vluyn 2003, 31–41). Eberhard Bons übersetzt und interpretiert den Septuagintatext, der sich, wie meist in der Septuaginta, durch weitgehende Wörtlichkeit und auffällige Abweichungen im Detail auszeichnet. Im Ganzen ist Ps 22 in der LXX »frommer«, die Gewissheit der Rettung des Beters wird vielfach betont und gleich zu Beginn durch das Stichwort ἀντίλημψις und den Zusatz πρόσχες μοι unter das Vorzeichen des Beistandes und der Aufmerksamkeit gestellt (12–32: Die Septuaginta-Version von Psalm 22). Heike Omerzu sichtet die Rezeption des Psalms im Frühjudentum, die überraschend spärlich ist, am ergiebigsten noch in den Texten vom Toten Meer, insbesondere in den Hodajot aus Qumran. Dort, wo der Psalm eine Rolle spielt, wird vornehmlich der Klageteil aktualisiert (33–76: Die Rezeption von Psalm 22 im Judentum des Zweiten Tempels). Dietrich Rusam geht der Rezeption des Psalms in der lukanischen Passionsgeschichte nach. Wie auch sonst im Evangelium, ahmt Lukas alttestamentliche Sprache nach, er baut die Allusionen an den Psalm so geschickt in den Text ein, dass nur ein schriftgelehrter Leser sie auf den ersten Blick wahrnimmt. Dem im Markusevangelium entstehenden Eindruck, Jesus sei am Ende von Gott verlassen worden, widerspricht Lukas durch Ersetzung von Ps 22,2 durch Ps 31,6 in Lk 23,46, vgl. Apg 2,27 = Ps 16,10 LXX (77–110: Die Passionsgeschichte des Lukas als Kontextualisierung von Psalm 22). Abschließend fragt Michael Labahn nach der Rezeption des Psalms im Johannesevangelium, das auf der einen Seite die Souveränität Jesu auf Schritt und Tritt betont, so dass man zugespitzt von einer »Nicht-Passionsgeschichte« gesprochen hat, auf der anderen Seite aber das Wort aus Ps 22,19 ausdrücklich zitiert und in einer kleinen Szene entfaltet (Joh 19,23 f.). Für Johannes gibt es kein »Verlassen«, sondern nur ein »Vollendet«, dies aber durch das Erleiden der Marter hindurch (111–158: »Verlassen« oder »Vollendet«. Ps 22 in der »Johannes­passion« zwischen Intratextualität und Intertextualität).
Dem Herausgeber ist zu danken für ein willkommenes Büchlein, das der Leser, der sich mit Psalm 22 beschäftigt, gern zur Hand nehmen wird.