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Ausgabe:

Juli/August/2009

Spalte:

790–794

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Frey-Anthes, Henrike

Titel/Untertitel:

Unheilsmächte und Schutzgenien, Antiwesen und Grenzgänger. Vorstellungen von »Dämonen« im alten Israel.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. XIII, 363 S. m. Abb. gr.8° = Orbis Biblicus et Orientalis, 227. Geb. EUR 77,90. ISBN 978-3-525-53027-6.

Rezensent:

Christian Frevel

»Irgendwie« gehören Dämonen zur bunten Welt religiöser Vorstellungen dazu. Wie selbstverständlich geht man daher in der jüngeren Forschung davon aus, dass es auch in Israel vielfältige »Dämonen« gegeben hat, auch wenn es einen Begriff für Dämonen im Hebräischen nicht gibt. Die Neue Zürcher Übersetzung (2007) gibt die śeîrîm in Lev 17,7 mit »Dämonen« wieder: »Und sie sollen ihre Schlachtopfer nicht mehr für die Dämonen schlachten, denen sie hinterherhuren«, und übersetzt das šedîm in der klassischen Stelle Ps 106,37 folgendermaßen: »Sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den Dämonen«. Wenn auch schmal im Befund, bleibt das Äquivalent zu dem griechischen δαίμων lexikalisch präsent. 1995 erschien das inzwischen zum Standardwerk avancierte DDD, das forschungs- und religionsgeschichtlich die Breite der möglichen Belege abschreitet und zu Satan, Rešep, Lilit, Ašmodai, den śeîrîm, ṣiyyîm und šedîm lexikalisch ebenso Auskunft gibt wie zu Pa­zuzzu, Lamaštu, den Satyren oder dem Flussdämon, der hinter Gen 32,22–32 vermutet wurde (vgl. K. van der Toorn; B. Becking; P. W. van der Horst [Hrsg.], Dictionary of Deities and Demons in the Bible, Leiden21999).
Dämonen scheinen darin wie in der Forschung des vergangenen Jh.s ein universales Phänomen der Religionsgeschichte zu sein, von dem Israel nicht ausgenommen ist. Für Stefanie Ulrike Gulde handelt es sich – um ein weiteres rezentes Beispiel zu nennen – um eine »überall entwickelte und überraschenderweise auch heute noch übliche Vorstellung«, welche die Religionen offensichtlich begleitet, seit sie bestehen, »denn sämtliche Kulturen, deren bildliche Darstellungen oder Texte bis in unsere Zeit erhalten blieben, haben immer auch Gestalten hervorgebracht, die unter der Kategorie ›dämonisch‹ gefaßt werden können« (S. U. Gulde, Der Tod als Herrscher in Ugarit und Israel, FAT 2/22, Tübingen 2004, 12). Universaler kann das Phänomen kaum gefasst werden, aber trifft das für Israel genauso zu? 2003 erschien unter dem Titel »Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt« ein voluminöser Sammelband (hrsg. von A. Lange; H. Lichtenberger; D. K. F. Römheld).
Gibt es aber eine Dämonologie des antiken Israel? Die Vfn., deren Arbeit 2006 als Dissertation in Bonn vorlag, hat ausgehend von diesem Forschungsstand zwei Weichen stellende Fragen: 1. »Ist das, was mit dem griechischen Begriff δαίμων bezeichnet wird, sowie dessen Integration in die jüdisch-christliche Vorstellung von »Dämonen« auf die Texte des Alten Testaments und auf die Ikonographie Syrien-Palästinas übertragbar?« (2) und 2. »Bietet es ein hilf­reiches Kriterium, um diese Texte und Bilder besser zu verstehen?« (2). Beide Fragen werden negativ beantwortet: »Der Gebrauch dieses Überbegriffs suggeriert eine Einheitlichkeit der Quellen, die diese bei näherer Betrachtung jedoch nicht erkennen lassen« (301). Schon der forschungsgeschichtliche und systematische Durchgang durch die Versuche einer Definition dessen, was religionsgeschichtlich unter der Bezeichnung »Dämon« zu fassen ist (2–36), macht deutlich, dass vom Material her keine tragfähige Eingrenzung gegeben ist. Weder lassen sich »Dämonen« als Mischwesen oder depotenzierte Götter fassen noch als Repräsentanten von Ge­genwelten der Peripherie zuordnen, während Gottheiten im Zentrum zu verorten wären. Auch die Eingrenzung auf Scha­dens­geis­ter oder Schutzgenien ist nicht tragfähig. Damit ist der Vfn. zweifelhaft, dass die »Prämisse von der universellen Übertragbarkeit des vom christlichen Abendland adaptierten Dämonenbegriffs auf verschiedene Religionssysteme haltbar ist« (29). Es scheint ihr »nicht sinnvoll, mit einem kontextuell unabhängigen, allgemein umfassenden Dämonenbegriff zu arbeiten« (30), sondern »sowohl in sozio-historischer als auch in literarischer und ikonographischer Hinsicht« (30) kontextuell und funktional zu differenzieren.
»Ein Überbegriff ›Dämon/Dämonen‹ sollte für das alte Israel m. E. vermieden werden« (304). šedîm in Ps 106,37 bleibt daher in der Arbeit unübersetzt, und śeîrîm wird neutral durch »Bö­cke« wie­dergegeben. ṣiyyîm und ’îyyîm werden zu »Wüstlingen« und »Heu­lern« – Repräsentanten der gegenmenschlichen und gegengöttlichen Welt, »Metaphern« (179), »numinose Mächte« (159), deren »Verehrung der Verehrung Jahwes diametral widerspricht« (159). šedîm und śeîrîm sind »polemische Bezeich­nun­g(en) fremder Götter« (154), eine »Fremdgötterchiffre« (218), aber eben keine Dämonen. »Der Begriff »Dämon« [ist] für den Befund zu wenig differenziert« (218) oder schlicht »ungeeignet« (158), weshalb er schon im Untertitel der Arbeit in Anführungszeichen gesetzt und durch Um­schreibungen wie Unheilsmächte, Schutzgenien, Antiwesen und Grenzgänger ersetzt wird.
Die funktionale Differenzierung bestimmt die Anordnung des Materials. In dem ersten, stärker ikonographisch ausgerichteten Kapitel werden anthropomorphe und theriomorphe Mischwesen als »Dämonen« untersucht (36–67), wobei auf Bes-Darstellungen und Bes-Amuletten ein besonderer Schwerpunkt liegt. Für die Mischwesen dominiert »in der Bildkunst Palästinas offensichtlich der Schutzgedanke«, so dass man »zwar von Darstellungen von »Schutzgenien« sprechen [kann], nicht aber von »Dämonen«« (67). Da die herausgehobene Schutzfunktion die Frage nach der Präsenz von Unheilsmächten noch verschärft, untersucht das zweite Kapitel »personalisierte Unheilsmächte als Dämonen« (68–109). Die Untersuchung von qæṭæb und dæbær in Hab 3,5; Ps 91,3.6; Dtn 32, 23f. und Hos 13,14 ergibt, dass zwar von einer Personalisierung von Krankheiten gesprochen werden kann, sich aber klare Hinweise auf »Dämonen« im Sinne depotenzierter Gottheiten in den genannten Texten nicht finden lassen. »Der ikonographische Befund wird also durch die Texte der Hebräischen Bibel gestützt: … Eindeutige Hinweise auf ›Krankheitsdämonen‹ lassen sich im Alten Testament also nicht finden« (102). Nicht anders verhält es sich mit bārād in Ps 78,48 und Jes 28,2: »Zeugnisse für Wetterdämonen finden sich in diesen Texten nicht« (105). Es handelt sich um Naturgewalten bzw. Krankheiten, die »an keiner Stelle über eine von Gott unabhängige Wirkmächtigkeit« (109) verfügen. Die Kategorie der Personalität lässt im folgenden Kapitel nach »Depotenzierten Göttern als Dä­monen« (109–158) fragen. Hier wird neben den ššedîm Rešep der breiteste Raum eingeräumt und ein umfassender Überblick über die religionsgeschichtliche Entwicklung, Verbreitung und ikonographische Repräsentation sowie deren Spuren in der biblischen Überlieferung dieser Gottheit gegeben. Wie die übrigen Kapitel ist die Darstellung mit hoher Sachkenntnis, ausgesprochen differenziert und auf dem Stand der gegenwärtigen Forschung erarbeitet.

Die Einzeldarstellungen zu Rešep, wie aber auch die späteren zu Lilith, Satan oder Ašmodai sind in sich geschlossen und bieten jeweils kompetente Einführungen. Für den biblischen Befund zu Rešep kommt die Vfn. nach der Untersuchung von Dtn 32,24; Ps 76,4; 78,48; Hld 8,6; Hiob 5,7; Hab 3,5 und Sir 43,17 zu dem Ergebnis, dass Rešep als Gott depotenziert, entpersonalisiert und entdivinisiert wird: »Der Gott Rešep wird zu einem Begriff und verliert seine Göttlichkeit, nicht aber die mit ihm verbundenen Bedeutungsnuancen« (143).
»Der positive Schutz und die Fähigkeit des Heilens gehen auf Jahwe über« (159). Diesen Vorgang bezeichnet sie als Lexemisierung, die »mit einer teilweisen, aber nicht völligen Desemantisierung einhergeht« (143). Auch für Rešep erscheint der Begriff Dämon keine treffende Klassifizierung: »Insofern könnte Rešep als Dämon im Sinne eines depotenzierten Gottes bezeichet werden. Klarer aber ist es, die Bezeichnung ›depotenzierter Gott‹ zu wählen – darüber hinaus trägt der Begriff ›Dämon‹ nichts aus« (159). Das fünfte Kapitel widmet sich unter dem Titel »Repräsentanten von Gegenwelten als Dämonen« (159–241) vor allem Lilith und Azazel sowie den śeîrîm, ṣiyyîm und ’îyyîm. Auf die Fülle an Einzelergebnissen und Teilthesen kann hier nicht eingegangen werden; nur die Grundlinie sei ge­nannt: Ob­wohl der Oberbegriff Dämonen hier in der Forschung am konsensfähigsten scheint, wird die vorgespurte Linie einer symbolischen Interpretation nicht verlassen: »Wie Lilith und die mit ihr genannten Tiere und Wesen Repräsentanten einer Gegenwelt zur belebten Zivilisation darstellen, also die gegenmenschliche Welt repräsentieren, verkörpert Azazel das, was Jahwe nicht ist, nämlich Unreinheit und den Ort, der vom Kultus abgeschnitten ist, d. h. also die gegengöttliche, gegenkultische Welt« (241). »Über eine eigenständige Wirkmächtigkeit oder einen eigenständigen Charakter verfügt der Azazel nicht« (241). Er hat ebenso wie Lilith und die »Böcke« »vor allem literarische Funktion« (242), so dass »eine Differenzierung hinsichtlich der jeweiligen Funktionen der Gestalten als periphere Wesen, die Gegenkult und Antizivilisation repräsentieren« (242), den Texten eher gerecht werde als eine Dämonologie. Das letzte Kapitel »Grenzgänger und Mittler als Dämonen« (242–301) behandelt die Entwicklungsgeschichte des Satan und den Ašmodai des Tobitbuches. Beide dienen als »Gegenbilder zu Jahwe« (300), wobei es sich bei Ašmodai unbestritten um einen Dämon handelt, der aber – so das Fazit – stark in den Hintergrund tritt. Denn er wird »als Folie benutzt, auf der sich die Machtfülle Jahwes positiv abhebt« (299). »Der eigentliche Mittler und Grenzgänger ist dabei der Engel (Bote) Rafael, gerade nicht der Passage-Dämon Ašmodai« (299). Selbst auf dieser Stufe lässt sich nach der Vfn. also keine Dämonologie finden, die durch einen »Dualismus zwischen Gott und dem Dämon« (299) gekennzeichnet ist.


Den religionsgeschichtlichen Schlüssel für den Ansatz der Arbeit bietet noch einmal das Schlusskapitel »Theologie statt Dämonologie« (301–306), das klar für eine differentia specifica Is­raels plädiert. »Dämonen«, die im Sinne einer Dämonologie als eigenmächtig handelnde personalisierte Wesen verstanden worden wären, lassen sich für Israel nicht ausmachen. »Natürlich lässt sich nicht sicher ausschließen, dass es Vorstellungen von Schadensgeistern im alten Israel gegeben hat. Jedoch fehlt es an Informationen, um solche Vorstellungen konkret zu belegen.« (304) Die be­sprochenen Stellen werden in Differenz zum gegenwärtigen mainstream der Forschung nicht als Anzeiger einer vielfältigen dämonischen Welt hinter den Texten gewertet, sondern es gehe immer um Theo­logie (304). Da die Gattung Beschwörungstexte vollständig ausfalle und das nicht – so die These – auf eine unterbrochene Überlieferung zu­rückzuführen ist, »unterscheidet sich das alte Israel von seiner Umwelt« (304), insofern es »im Blick auf (Unheils-)mächte neben Jahwe wenig imaginative Kraft ausstrahlt« (304). Dafür nennt die Vfn. kulturelle (»je weniger man un­heimliche Mächte darstellt, desto weniger Realität kommt ihnen zu«, 304), politische (es fehlt ein »ausgefeiltes höfisches Herrschaftssystem« mit »Beamten, die für Beschwörungen und Heilungen zuständig« [305] sind) und theologische (»Jahwe ist omnipotenter Herrscher«, 305) Gründe. Eine Dä­monologie entsteht erst nach der vollständigen Etablierung des Monotheismus »unter griechischem und persischem Einfluss« (305) und erst jetzt »läuft der Glaube an Engel und Dämonen als unterschwelliger Polytheismus in den monotheistischen Religionen mit« (305).

Die im Schlusskapitel implizierten theologischen Prämissen lassen die Frage aufkommen, ob nicht die Darstellungslinie der Arbeit, die über die systematischen Defizite eines Dämonenbegriffs zu einer Marginalisierung des Dämonischen in der Religionsgeschichte Israels führt, doch zu sehr von dem biblischen Bild eines gegebenen Alleinverehrungsanspruchs YHWHs in der Religionsgeschichte Israels geprägt ist. Für die These der Vfn. spricht die fehlende außerbiblische eindeutige Evidenz für die Existenz von Dämonen in der ersten Hälfte des 1. Jt.s in Israel/Palästina, doch reicht das für die Absetzung von der Umwelt aus? Die Diskussion um die allmähliche Herausbildung des Monotheismus und die Einsicht in den begrenzten Polytheismus der Religion der Königszeit mahnen hier zur Vorsicht.
Dass mit den Dämonen das vieldiskutierte, aber immer noch nicht ausreichend geklärte Verhältnis von »Religion und Magie« ebenso wie die Frage nach der integrativen Kraft des Monotheismus und der Differenz zum Polytheis­mus berührt ist, deutet auf bleibende Fragen der Forschung. Dass »Dämon« ein Containerbegriff ist, der ohne weitere Eingrenzungen nicht geeignet ist, die in der Forschung darunter gefassten Phänomene weiterführend zu erklären, ist sicher zutreffend. Dennoch stellt sich aus einer religionsgeschichtlichen und religionssystematischen Perspektive die Frage wie, wann und warum es zur Ausbildung der Vorstellung von Dämonen kommt. Dies wird am Ende eher angedeutet als systematisch entfaltet. Für die Nachzeichnung des Prozesses hätte man sich zum einen eine zusammenfassende diachrone Auswertung des Textmaterials wie auch eine stärkere Berücksichtigung der Ikonographie der Perserzeit (etwa der Darstellungen auf frühen Münzprägungen) gewünscht, um beispielsweise die angedeuteten Entwick­lungslinien aus dem Zoroastrismus weiter zu entfalten. Das auffallende Faktum, dass es gerade in späten Texten Lev 17,7; Ps 106,37; Dtn 32,16; Jes 34,14 u. a. m. zu den Ersatzbegriffen für gegen göttliche Mächte kommt und etwa Belege aus den vorderen Propheten fehlen, stellt weitergehende Fragen an die Überlieferung und die religionsgeschichtliche Entwicklung.


Damit allerdings greift die Kritik schon über das Ziel der Arbeit hinaus, die auf eine ausgedehnte Diskussion der alttestamentlichen Einzelbelege ausgerichtet war, hinter denen die Forschung Bausteine einer Dämonologie sieht. Hier leistet die Arbeit eine von exegetischem, religionsgeschichtlichem und ikonographischem Sachverstand getragene (nicht zuletzt in 1692 Anmerkungen dokumentierte) enorme Detailarbeit und Differenzierung. Die Vielzahl der Einzelergebnisse lässt sich gut über die Zusammenfassungen zu den einzelnen Kapiteln sowie über das detaillierte Sach- und Stellenregister erschließen.
So richtig also einerseits die systematische Zurückhaltung bei der Verwendung des uneindeutigen Dämonenbegriffs ist und so reichhaltig die Einzeluntersuchung zu den in Frage stehenden religionsgeschichtlichen Phänomenen und Texten aufs Ganze gesehen ist, so sehr bleiben andererseits am Ende Fragen der Entwicklung offen. Die Arbeit ist dennoch ein wichtiger und weiterführender Beitrag zur religionsgeschichtlichen Forschung, obwohl der Begriff »Dämonen« trotz dieses Beitrags nicht sinnvoll aus der Forschung zu eliminieren ist. So lässt sich die Weissagung καὶ κατοικηθήσεται ῦπὸ δαιμονίων τὸν πλείονα χρό­νον aus Bar 4,35 wohl von Babylon auf die Forschung übertragen: Dämonen werden dort noch lange Zeit wohnen.