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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

763–764

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ziebertz, Hans-Georg, u. Günter R. Schmidt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion in der Allgemeinen Pädagogik. Von der Religion als Grundlegung bis zu ihrer Bestreitung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; Freiburg-Basel-Wien: Herder 2006. 251 S. 8° = Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft, 9. Kart. EUR 34,95. ISBN 978-3-579-05299-1 (Gütersloher Verlagshaus); 978-3-451-29157-9 (Herder).

Rezensent:

Horst F. Rupp

Die beiden Herausgeber, ein katholischer (Ziebertz) und ein evangelischer Religionspädagoge (Schmidt), unternehmen es verdienstvollerweise, ein in den vergangenen Jahren bzw. schon Jahrzehnten nicht mit sonderlich viel Wissenschaftsimpakt bedachtes Sujet genauer zu beleuchten, und zwar geht es um das Verhältnis der Allgemeinen Pädagogik zur Religion. Gab es im 19. und vielleicht auch noch im beginnenden 20. Jh. zwischen einer seinerzeit in ihren Hauptströmungen primär geisteswissenschaftlich ansetzenden Pädagogik und der Theologie intensive Gesprächskontakte, die etwa auf dem Felde der Anthropologie und der Ethik fruchtbare Anknüpfungspunkte fanden, so hat sich seit den 60er Jahren des 20. Jh.s mit der realistischen bzw. empirischen Wende der Pädagogik sowie ihrer zumindest partiellen Neuausrichtung auch auf dem Boden der Kritischen Theorie, die ihr Kritikpotential nicht zuletzt auch auf dem Felde der Religionskritik belegte, ein Paradigmenwechsel ergeben, der einem Dialog zwischen der Pädagogik und der Theologie nicht eben förderlich war.
Die Herausgeber haben zu ihrem Unternehmen sieben Professoren (Norbert Hilgenheger/Bonn; Lutz Koch/Bayreuth; Volker Ladenthin/Bonn; Christoph Lüth/Potsdam; Wolfgang Nieke/ Rostock; Kersten Reich/Köln; Jürgen Rekus/Karlsruhe) und eine Professorin (Annette Scheunpflug/Erlangen-Nürnberg) für Allgemeine bzw. auch Schul-Pädagogik sowie einen religionspädagogischen Kollegen (Friedrich Schweitzer/Tübingen) aus Deutschland eingeladen und sie gebeten, ihre Sicht der Religion aus (allgemein)pädagogischer Perspektive darzustellen. Als weitere Autoren firmieren die beiden Herausgeber sowie zwei weitere religionspädagogische Kollegen, nämlich Rudolf Englert/Essen und Ulrich Schwab/München, die einen einleitenden Beitrag (Ziebertz), einen inhaltlichen Beitrag zur Thematik des Bandes (Schmidt) sowie kommentierende Beiträge zu den Artikeln der eingeladenen Autoren liefern.
Als Rahmen wurde den Autoren von den beiden Herausgebern Folgendes mit auf den Weg gegeben: »Um ein gewisses Maß an Kohärenz unter den Beiträgen zu erreichen, sollten die Abhandlungen erstens auf kulturelle und gesellschaftliche Faktoren eingehen und aus der je eigenen Sichtweise klären, inwieweit die faktische Existenz von Religion als gesellschaftlich-kulturelle Realität für die pädagogische Theoriebildung und Praxis von Bedeutung ist. Zweitens sollte theoretisch verdeutlicht werden, welche philosophischen und wissenschaftlichen Ansätze dem eigenen Erziehungsverständnis zugrunde liegen und wie darin Religion im Allgemeinen und Christentum im Speziellen thematisiert werden. Unsere dritte Bitte war, die biographische Dimension einzubeziehen und zu fragen, ob und wie zwischen der eigenen (auch religiösen) Biographie und dem präferierten wissenschaftlichen Ansatz Korrelationen bestehen.« (8)
Nun ist es auch nicht annäherungsweise in dieser Besprechung möglich, den auf der Grundlage dieser Vorgaben von den Autoren gebotenen Inhaltsreichtum zu spiegeln. Es kann hier nur darum gehen, einige unmaßgebliche Beobachtungen zu den Ausführungen der Autoren und der Herausgeber sowie zur Anlage des Bandes anzustellen.
Zuerst: Es wäre natürlich interessant gewesen zu erfahren, nach welchen Kriterien die Autoren ausgewählt und zur Mitarbeit dann eingeladen wurden – worüber die beiden Herausgeber aber leider nichts verraten! Handelt es sich um ein Zufallsprinzip, das Prinzip persönlicher Bekanntschaft, eine bekannte oder vielleicht auch nur vermutete inhaltliche Affinität zur Thematik des Bandes oder …?! Hierüber hätte der Rezensent gerne etwas erfahren, konnte jedoch im Text dazu nichts auffinden.
Sodann: Es fällt bei der Lektüre auf, dass bei den meisten Autoren im Zentrum ihrer Überlegungen nicht der grundsätzliche Stellenwert der Religion bzw. auch Theologie und ihrer Implikationen im Wissenschaftsgefüge insbesondere auch der Pädagogik fokussiert wird, sondern – und dies erstaunt den Rezensenten und gibt ihm sehr zu denken! – die Mehrzahl der Autoren macht sich in ihren Beiträgen Gedanken zum Stellenwert bzw. auch zur konkreten strukturellen und inhaltliche Ausgestaltung eines Faches Religionsunterricht an der öffentlichen Schule in Deutschland! Provozierend wäre zu fragen: Ist vielleicht für die Allgemeine Pädagogik das Thema Religion doch nicht mehr von größerem Interesse, weil es aus dieser Perspektive vollkommen irrelevant geworden ist?! Damit wäre dann aber gleichsam das bestätigt, was die Herausgeber an sich mit ihrem Unternehmen »ankratzen« und hinterfragen wollten!
Im beschriebenen Rahmen des Nachdenkens über religionsunterrichtliche Modelle reicht dann das Spektrum kaum über die schon seit Langem diskutierten und bekannten Konzeptionen des Religionsunterrichts an Deutschlands öffentlichen Schulen hinaus: So gibt es in diesem Band überzeugte (allgemeinpädagogische!) Verfechter des traditionellen, konfessionell strukturierten Religionsunterrichts nach Artikel 7 GG wie etwa Volker Ladenthin: »Religionsunterricht kann nur konfessionell sein … Aus dem Umstand, dass Religiosität sich immer nur konfessionell äußern kann, folgt, dass jeder verbindliche Religionsunterricht konfessionell sein muss.« (124)
Oder etwa Wolfgang Nieke bevorzugt das Modell eines leicht modifizierten Unterrichts nach dem Brandenburger Modell LER – er nennt es »Weltorientierung« –, das die Religionsgemeinschaften – im »Normalfall« die Kirchen – von ihrer Verantwortung für das Fach Religion freistellt und stattdessen den Staat auch für dieses Fach die Verantwortung übernehmen lässt (vgl. 191 ff.). In ähnlicher Weise, nur auf einer sehr viel abstrakteren Ebene plädiert Lutz Koch für einen Religionsunterricht auf der Grundlage einer von I. Kant entlehnten »natürlichen Religion«, die in der Ethik ihr inhaltliches Zentrum besitzt (150 ff.).
Nur in wenigen Beiträgen wird auf das grundlegende Verhältnis von Bildung und Religion, von Pädagogik und Theologie reflektiert. Die Ausführungen von Christoph Lüth, Annette Scheunpflug und auch von Friedrich Schweitzer wären hier etwa zu nennen. Hier erscheint die Religion des Menschen dann in einer grundsätzlichen allgemeinpädagogischen Perspektive und auch Relevanz, wenn z. B. bei Lüth die Bedeutung der Religion für die Bildung des Menschen in den Blick genommen wird (40 ff.) oder wenn Scheunpflug anhand eines evolutionären Menschenbildes eine zwischen Theologie und Pädagogik kompatible und verbindende Kategorie ins Spiel bringt (76 ff.) oder wenn etwa Schweitzer die Pluralität, auch die religiöse, als eine sowohl in der Pädagogik wie auch in der Theologie und Religionspädagogik zentral wichtige Problemstellung festmacht (88 ff.).
Trotz der hier gemachten Einschränkungen bleibt es das Verdienst der beiden Herausgeber, mit ihrer Publikation einen erneuten Anlauf gemacht zu haben, das nahezu zum Erliegen gekommene Gespräch zwischen Theologie und Pädagogik mit einem neuen Impuls versehen zu haben.