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Ausgabe:

Juni/2009

Spalte:

758–760

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hunze, Guido

Titel/Untertitel:

Die Entdeckung der Welt als Schöpfung. Religiöses Lernen in naturwissenschaftlich geprägten Lebenswelten.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 302 S. gr.8° = Praktische Theologie heute, 84. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-17-019793-0.

Rezensent:

Martin Rothgangel

Das Ziel der Dissertation von Guido Hunze, Akademischer Rat an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, besteht darin, schöpfungstheologisch orientierte und religions- sowie glaubensdidaktisch verantwortete Leitlinien für religiöse Lernprozesse zu gewinnen, »die den Plausibilitätsansprüchen der von Naturwissenschaft und Technik durchformten Lebenswelten Jugendlicher standhalten.« (27) Im Einleitungskapitel (15–29) er­folgt ein kurzer Forschungsbericht zur religionspädagogischen Arbeit im Themenfeld Theologie und Naturwissenschaft. Dabei stellt H. insgesamt noch einen sehr hohen religionspädagogischen Forschungsbedarf fest, insbesondere wegen der lebensweltlichen und alltagstheoretischen Bedeutung dieses Themas (vgl. 26).
In seinem zweiten Kapitel (31–69) reflektiert H. anhand einer Analyse von Schulbüchern die religionsunterrichtliche Behandlung der Schöpfungsthematik. Dies geschieht erstens, indem quantitativ »das Vorkommen von Begriffen mit dem Wortstamm ›schöpf‹ bzw. ›schaff‹ gezählt wird« (34), wobei gleichermaßen darauf geachtet wird, in welchem Kontext dieser Wortstamm Verwendung findet. »Auf diese Weise ergibt sich ein Längsschnitteindruck, der erste Hinweise darauf gibt, welches Schöpfungsverständnis dem Unterrichtswerk eigen ist und ob bzw. inwiefern sich dieses als theologisch grundlegend erweist.« (34) Zweitens wird insofern auch ein Querschnittseindruck gewonnen, als diejenigen Kapitel von Unterrichtswerken analysiert werden, in denen Schöpfung ausdrücklich behandelt wird.
Auf der Grundlage seiner Analyse von drei exemplarisch ausgewählten Schulbuchreihen hebt H. resümierend fünf Problemfelder hervor: 1. Nur in einem der drei untersuchten Unterrichtswerke stellt Schöpfung einen wichtigen bzw. zentralen Bezugspunkt dar. 2. Fast durchgängig wird der Schöpfungsbegriff ganz selbstverständlich verwendet, ohne dessen Bedeutungsgehalt näher zu klären. 3. Wird Schöpfung in ethischer Hinsicht thematisiert, dann können Defizite in der theologischen Argumentation dazu führen, dass der Schöpfungsbegriff synonym mit ›Umwelt‹ bzw. ›Natur‹ verwendet wird. 4. Werden biblische Weltbilder in eine Reihe mit naturwissenschaftlichen Weltbildern gestellt, dann kann sich der Eindruck einstellen, dass die biblischen Weltbilder von den naturwissenschaftlichen überholt worden sind. 5. Die Frage nach der Schöpfung wird primär biblisch-theologisch, weniger systematisch-theologisch reflektiert.
Auf dem Hintergrund dieser theologischen Defizite ist es konsequent, dass sich H. mit dem folgenden dritten Kapitel »Theologische Entfaltung des Schöpfungsbegriffs im Anschluss an Jürgen Moltmann« (71–134) dezidiert mit Schöpfungstheologie auseinandersetzt. Dabei ist es keineswegs selbstverständlich, dass er sich als katholischer Theologe primär an Jürgen Moltmann orientiert. Kritisch ist an dieser Stelle anzumerken, dass ungeachtet der zweifellos bestehenden Aktualität von Moltmanns Schöpfungstheologie (vgl. 72, Anm. 6) nicht vorab Moltmanns schöpfungstheologischer Entwurf im Kontext anderer Schöpfungstheologien verortet und diskutiert wird. Ungeachtet dessen ist festzuhalten, dass H. sich fundiert und differenziert mit Moltmanns Schöpfungstheologie auseinandersetzt. Dabei gelangt er zu der zentralen These, dass die Schöpfungserzählungen weniger »als Antwort auf die Frage nach dem Woher der Welt« (98) zu charakterisieren sind, sondern Schöpfung vielmehr als ein Ausdruck von Beziehung zu verstehen ist: »Relatio ist damit die Ursprungskategorie der Schöpfung, unter der sie wahrgenommen werden kann und muss« (98). Dementsprechend lautet das Zwischenresümee von H.: »Durch die bisherigen Überlegungen im Anschluss an Moltmann ist ›Schöpfung‹ klar als relationaler Begriff konturiert worden. Als Manifestation von Beziehung ermöglicht sie Leben in Beziehung, die in Kommunikation ihren Ausdruck findet. Erkenntnis der Schöpfung und damit Er­kenntnis von Beziehung ist nur möglich in Teilnahme unter Verzicht auf vollständige Subjekt-Objekt-Distinktion. Dass dieser Schöpfungsbegriff etwas völlig anderes ist als eine Analogie zum naturwissenschaftlichen Begriff der Weltentstehung, liegt auf der Hand.« (100) Vor diesem Hintergrund gelangt er schließlich auch zu einer seiner Grundthesen, »dass die religionspädagogische Her­ausforderung bei der Erschließung des Schöpfungsthemas gerade in dieser Erfahrungsdimension liegt. Darum muss die ›Erfahrung der Welt als Schöpfung‹ genauer betrachtet werden – wo­bei bereits deutlich geworden ist, dass eine Schöpfungserfahrung im vollen Wortsinne nicht ohne die vorgängige Erfahrung eines Gottes mit Weltbezug auskommt, der dann als Schöpfer identifiziert werden kann. Schöpfung kann in diesem Sinne kein direkter Gegenstand der Erfahrung sein.« (111) Ohne dies im vorliegenden Zusammenhang näher darlegen zu können, ist positiv festzuhalten, dass sich H. den Anfragen durch die Theodizeeproblematik stellt, welche gleichermaßen bei den Alltagstheorien von Jugendlichen im Kontext der Schöpfungsthematik von Bedeutung ist. Abschließend gelangt H. in seinem dritten Kapitel zu folgenden zwei religionspädagogischen Kernpunkten: 1. Die Erfahrungsbezogenheit des Schöpfungsbegriffs steht nachhaltigem Lernen dann entgegen, wenn Schöpfung und naturwissenschaftliche Theorien von vornherein verknüpft werden. 2. Es zeigt sich, dass die Erfahrung der Heilsgeschichte immer konstitutiver Ausgangspunkt ist (vgl. 134). Kritisch bezogen auf den ersten Punkt bleibt gleichwohl anzumerken, dass diese Verknüpfung oftmals bereits bei den Lernenden vorhanden ist und insofern explizit thematisiert werden muss.
In seinem vierten Kapitel »Religionspädagogische Fokussierung: Rahmenbedingungen religionsunterrichtlichen Lernens zum The­menfeld ›Schöpfung‹« (135–178) diskutiert H. gesellschaftliche Phänomene der lebensweltlichen Orientierung sowie der Lebensweltwahrnehmung und die Durchformung der Lebenswelten durch Naturwissenschaft und Technik. Ganz zentral ist in diesem Zusammenhang als Rahmenbedingung von religiösem Lernen die naturwissenschaftlich-technische Prägung der Lebenswelten: »In christlicher Schöpfungstheologie kann Gott kein Platz in der linearen Kausalkette naturwissenschaftlicher Prägung zugewiesen werden.« (176 f.) Hier schließt sich nahtlos das fünfte Kapitel »Perspektivenwechsel: naturwissenschaftlich-technisch geprägte Plausibilitätsansprüche« (179–220) an. Letztlich geht es darum, ob für Menschen im Kontext einer von Naturwissenschaft und Technik geprägten Lebenswelt schöpfungstheologische Aussagen einleuchtend gemacht werden können. In diesem Zusammenhang entscheidet sich H. bezüglich der Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft und Theologie für ein lebensweltlich vermittelndes Inkommensurabilitätsmodell und prüft ausgewählte schöpfungstheologische Grundbegriffe des dritten Kapitels hinsichtlich ihrer Plausibilität im Kontext naturwissenschaftlichen-technisch ge­prägter Argumentationsfiguren. Darauf folgend werden im sechs­ten Kapitel (221–262) insgesamt sechs religionspädagogische Leit­linien für eine schöpfungsorientierte Didaktik entwickelt, die jeweils noch einmal ausdifferenziert werden: 1. Wahrnehmungsinteresse, 2. Re­flexionsinteresse, 3. Beziehungsinteresse, 4. Aneignungsinteresse, 5. Bewährungsinteresse sowie 6. naturwissenschaftlich-technisches Interesse. Im abschließenden siebenten Ka­pitel »Von der Schöpfungsdidaktik zur schöpfungsorientierten Didaktik: Rück­blick und Ausblick« (263–272) fasst H. kompakt wesentliche Ergebnisse seiner Studie zusammen, wirft nochmals einen Blick auf die religionspädagogischen Leitlinien und nimmt einen konstruktiven Ausblick vor. Positiv hervorzuheben ist, dass H. durchaus deutlich macht, dass das von ihm vertretene inkommensurable Modell eine Position darstellt, »die zwar nicht exotisch, aber auch nicht unumstritten ist« (271).
Insgesamt handelt es sich bei dieser Monographie um einen wesentlichen Beitrag zu einem Schlüsselthema religionspädagogischer Forschung. Es bleibt zu wünschen, dass weitere Studien zu jener Thematik auf diesem Niveau durchgeführt werden.