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Ausgabe:

Mai/2009

Spalte:

631-633

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Greidanus, Sidney

Titel/Untertitel:

Preaching Christ from Genesis. Foundations for Expository Sermons. Grand Rapids-

Verlag:

Cambridge: Eerdmans 2007. XVIII, 518 S. gr.8°. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-2586-5.

Rezensent:

Alexander Deeg

Ein Buch gilt es anzuzeigen, das eine wichtige Frage stellt, diese aber in mehrfacher Hinsicht problematisch beantwortet.
Sidney Greidanus, emeritierter Professor für Homiletik und Liturgik am Calvin Theological Seminary in Grand Rapids, ventiliert die Frage nach dem Verhältnis von Hermeneutik und Homiletik. Sie beschäftigt G. bereits seit seiner Dissertation »Sola scriptura. Problems and Principles in Preaching Historical Texts« (1970; 22001) und fand Ausdruck in den beiden weiteren Monographien »The Modern Preacher and the Ancient Text« (1988) und »Preaching Christ from the Old Testament« (1999). Das jetzt vorliegende, di­daktisch eingängig aufgebaute und klar formulierte Buch führt die bislang von G. vorgelegten Thesen materialiter durch und konkretisiert sie exemplarisch. G. untersucht nach einem ausführlichen einleitenden Kapitel (1–42) 23 Genesis-Texte in exegetischer und homiletischer Perspektive (43–473). Die hermeneutische Frage nach der gegenwärtigen Bedeutung ›alter‹ Texte erfährt – G. zufolge – ihre exemplarische Zuspitzung dort, wo es um die christliche Predigt des Alten Testaments geht. Wie bereits in den früheren Werken G.s zeigt dieser auch hier, dass eine verantwortliche Auslegung diachrone und synchrone Zugänge verbinden muss. Die Texte seien immer zugleich als historische Zeugnisse zu lesen und als literarische Texte in ihrer narrativen und dramaturgischen Struktur wahrzunehmen (vgl. 11–38). Freilich wird sich nicht nur der europäische Leser bereits in dem methodisch einleitenden Kapitel über manche konservative Anschauung wundern, die hierzulande kaum noch von Exegeten vertreten wird. So geht G. von der mosaischen Verfasserschaft des Pentateuchs in einer Grundform aus und datiert dessen Entstehung entsprechend im Lande Moab auf dem Weg ins Gelobte Land (vgl. besonders 33–36 und passim). Dass auch die Deuteropaulinen ganz selbstverständlich auf Paulus und die Petrusbriefe auf Petrus zurückgeführt werden, liegt in dieser Linie. Dies alles geht einher mit einem problematischen Verständnis der Bedeutung des »Historischen«: Die Wahrheit der Texte der Genesis hängt für G. entscheidend auch an der historischen Faktizität dessen, wovon die Texte berichten (vgl. besonders 30–32). Der Zirkel, der durch diese Verknüpfung entsteht und letztlich zur brüchigen Fundierung des Glaubens durch historische Wahrscheinlichkeitsaussagen führt, ist G. nicht bewusst. Auch beraubt er sich der Einsichten, die die form- und literarkritische Untersuchung der vergangenen 200 Jahre erbracht hat. Selbst grundlegende Erkenntnisse – etwa in die Existenz einer wie auch immer zu dif­ferenzierenden P-Schicht im Pentateuch – werden bestenfalls kurz referiert (vgl. 11 f.), spielen aber für die materiale Durchführung keine Rolle.
Hermeneutisch untersucht G. primär die Frage nach der Chris­tuspredigt auf der Grundlage von alttestamentlichen Texten: Wie kann explizit Christus verkündigt werden, wenn die Texte des Alten Testaments nicht von ihm sprechen (können)? G. listet sieben mögliche Wege auf: die heilsgeschichtliche Entwicklung, das Schema von Verheißung und Erfüllung, Typologie, Analogie, thematische Verknüpfungen, explizite neutestamentliche Aufnahmen alttestamentlicher Texte, Kontrast zwischen Altem und Neuem Testament (vgl. 2–6; ausführlicher bereits in: Preaching Christ from the Old Testament, 222–277). In jeder einzelnen der 23 materialen Durchführungen anhand von Texten des Buches Genesis konjugiert er diese sieben Möglichkeiten durch, wobei die heilsgeschichtliche Entwicklung meist den größten Raum einnimmt und das bevorzugte Verfahren der Verknüpfung bedeutet. So zeichnet er etwa die Geschichte der Sintflut in die biblische Linie von Sünde, Gericht und Gnade ein, die dann »in Christus« kulminiere (vgl. 101–119), oder deutet die Verheißung an Abram (Gen 11,27–12,9) primär als Verheißung des Landes, die sich angesichts der Sünde des Volkes und des darauf folgenden Exils nicht verwirklichen könne, bis in der Fülle der Zeit durch Chris­tus ein neuer Anfang gesetzt werde (vgl. 139–157).
In zweifacher Hinsicht erscheint dieses Verfahren problematisch: Zum einen greift G.s Hermeneutik theologisch zu kurz, indem sie für jeden einzelnen alttestamentlichen Text nach dessen unmittelbarem Konnex zum Christusereignis sucht, ohne zu reflektieren, dass die alttestamentlichen Texte insgesamt im Kontext des zweigeteilten Kanons, im Kontext der christlichen Auslegungsgeschichte und als gepredigte Texte im Kontext des christlichen Gottesdienstes stehen. So scheint es mehr als eigentümlich, wenn G. die sieben Modi der christologischen Übertragung etwa auf die priesterliche Schöpfungserzählung anwendet und z. B. in heilsgeschichtlicher Perspektive erkennt, dass die einst »sehr gute« Schöpfung durch den Sündenfall verloren ging und durch Christus als Gottes Reich neu geschaffen wurde (vgl. 49 f.). Die so gewonnene christologische Predigtaussage verkennt nicht nur, dass Chris­tus als Schöpfungsmittler bekannt wird und die ganze Schöpfung in christlicher Perspektive als Werk des dreieinigen Gottes zu preisen ist, sondern verliert zudem das Eigene des zu predigenden Textes, indem sie dieses durch die bekannte heilsgeschichtliche Linie ersetzt, die beinahe zu jedem (Genesis-)Text gepredigt werden kann. Scharf formuliert: G.s Ansatz steht in der Gefahr, die Dynamik der jeweiligen Texte durch die Langeweile einer ein für allemal gültigen heilsgeschichtlich konturierten Christusbotschaft zu ersetzen! Bereits Horst Dietrich Preuß hatte in seinem 1984 erschienenen und von G. leider nicht rezipierten Buch »Das Alte Testament in christlicher Predigt« vor dieser »Gefahr einer Verobjektivierung« der Heilsgeschichte in der Auslegung gewarnt (68)!
Das zweite Problem des hermeneutischen Verfahrens liegt auf einer anderen Ebene: G. vermittelt eine Hermeneutik, die von den Diskussionen absieht, die um eine Theologie im Angesicht des ge­genwärtigen und bleibend erwählten Judentums in den vergangenen rund 50 Jahren geführt wurden. Im Gegenteil konstruiert G. Heilsgeschichte linear von der Schöpfung über den Fall bis hin zu Christus und von ihm in die kommende Zukunft dergestalt, dass für das gegenwärtige Judentum kein Raum mehr bleibt (vgl. z. B. 3 f.145.499 u. ö.). Freilich: Er spricht an keiner Stelle seines Buches explizit davon, dass es für Israel post Christum natum keine Zukunft mehr gebe. Allerdings gründet dies nicht in einer positiven Israeltheologie, sondern in der Ausblendung dieser Fragestellung. Dass es eine theologisch herausfordernde doppelte Nachgeschichte des Ersten/Alten Testaments gibt, wird bei G. an keiner Stelle deutlich; entsprechende Standardwerke werden nicht rezipiert.
Hinter dem inzwischen diesseits und jenseits des Atlantiks erreichten Reflexionsniveau bleibt G. auch in homiletischer Perspektive zurück. G. beschreibt den Weg vom Text zur Predigt linear (am deutlichsten in den zehn Schritten seines Predigtmodells, vgl. 474 f.) und jenseits aller rezeptionsästhetischen Einsichten. Er meint – in einem klassischen explicatio-applicatio-Modell –, die Bedeutung des Textes für die ersten Hörer ebenso klar bestimmen zu können wie das (eine!) Thema des Textes für die gegenwärtige Predigt. Dies ›planiert‹ die Erzählungen der Genesis: Es geht – entsprechend der dogmatischen Vorentscheidung G.s – letztlich immer um die Verheißung und deren Erfüllung in heilsgeschichtlicher Perspektive! Mit den Namen Gert Otto und Ernst Lange, Umberto Eco und Gerhard Marcel Martin, Wilfried Engemann und Gerd Theißen, Fred Craddock und David Buttrick wären Autoren genannt, die in homiletischer Perspektive kritisch zu dem hier vorgestellten Modell gehört werden müssten.
Was bleibt angesichts dieser Probleme? G.s Werk ist praktisch ausgerichtet. Er taucht in seinen 23 Textanalysen, die als ausführliche Predigtmeditationen bezeichnet und jeweils separat gelesen werden können, tief in die Texte der Genesis und deren Kontexte ein, analysiert sie vor allem in narrativer Hinsicht konsequent, ermittelt deren »plot« und bestimmt Thema und Ziel, wobei er zu Recht immer wieder die Frage nach der theologischen Bedeutung der Texte stellt und vor einseitig anthropologisch-moralisierenden Interpretationen warnt. Angesichts der Tatsache, dass bislang nur 13 Genesis-Texte zu den ordentlichen Predigttexten im lutherisch-unierten Perikopenzyklus gehören, bietet G.s Buch vielleicht eine Ermutigung, diesen Texten einen breiteren Raum auf unseren Kanzeln zu gewähren.