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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

484-487

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Evers, Dirk

Titel/Untertitel:

Gott und mögliche Welten. Studien zur Logik theo­logischer Aussagen über das Mögliche.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XII, 440 S. 8° = Religion in Philosophy and Theology, 20. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-148885-6.

Rezensent:

Winfried Löffler

Modallogiken, die die Strukturen unserer Rede von »möglich«, »notwendig«, »kontingent« etc. rekonstruieren wollen, finden in der Gegenwartsphilosophie vielfache Anwendung, auch in der Religionsphilosophie: Etwa gibt es Versuche, das Problem des Übels modallogisch zu lösen, und modallogische Versionen des ontologischen Arguments (in loser Anknüpfung an Anselms Pros­logion 3). Die oft leichtfüßigen Anziehungen der Modallogik ändern aber nichts daran, dass sie nach wie vor eine umstrittene Randprovinz der Logik und dass vor allem die Semantik komplexerer Modalaussagen ein unerledigtes Problem ist. Der dominierende Ansatz ist die auf Stig Kanger, Saul Kripke u. a. zurückgehende »Semantik der möglichen Welten«, die – einen Gedanken von Leibniz aufgreifend – Modalaussagen relativ zu alternativen Weltzuständen beurteilt: Möglich-dass-p sei wahr genau dann, wenn p in mindestens einer möglichen Welt gilt, und notwendig-dass-p genau dann, wenn p in allen möglichen Welten gilt. In diesem allgemeinen Rahmen können verschiedene Modalbegriffe präzisiert werden.
Das ist auch erwünscht, da die Frage »ist es notwendig, dass Satz p notwendig ist?« unterschiedliche intuitive Antworten nahelegt. Steht p für ein logisches Gesetz, dann wird man sie wohl bejahen: Logische Gesetze gelten notwendig, und man kann sich auch keine mögliche Welt denken, wo sie nicht notwendig gälten. Also gilt in jeder möglichen Welt, dass in jeder (von dort aus!) möglichen Welt p der Fall ist. Anders ist es z. B. mit physischen Notwendigkeiten: Dass nichts schneller als Licht ist, ist in unserer Welt notwendig, man kann sich aber Welten denken, wo dem nicht so ist. In der Semantik der möglichen Welten drückt man dies dadurch aus, dass die sog. Zugänglichkeitsrelation zwischen den möglichen Welten unterschiedlich definiert wird: Wenn z. B. eine Welt B von der Welt A aus und Welt C von B aus zugänglich ist, soll das auch heißen, dass C von A aus zugänglich ist? Soll die Zugänglichkeitsrelation also transitiv sein oder nicht? Man ahnt, dass die Dinge hier kompliziert werden (für eine elementare Hinführung, die auch den Zugang zum vorliegenden Buch erleichtern könnte, siehe z. B. meine Einführung in die Logik [2008], Kapitel E.I.). Noch komplexer wird es, wenn man modale Prädikatenlogik betreibt und nicht nur Aussagen in den einzelnen Welten betrachtet, sondern auch die Individuen(-bereiche), die es dort gibt. Soll man dann fordern, dass diese Individuen in allen möglichen Welten dieselben sind? Technisch vereinfacht das die Sache, aber kann man dann noch so etwas wie ernsthafte Kontingenz ausdrücken? Diese und ähnliche Fragen tun sich auf.
E.s Tübinger Habilitation geht den begrifflichen Voraussetzungen der Modallogik nach, die die Konzentration auf die formalen A­s­pekte oft ausblendet. Prima facie könnte ja z. B. der Versuch, »mög­lich« als »wahr in einer möglichen Welt« zu explizieren, Zirkularitätsverdacht erregen. Auch mag man sich fragen, ob mögliche Welten eigentlich mehr sind als irgendjemandes Denkbarkeiten. Freilich kann man sich darauf zurückziehen, sie nur als stipulierte modellhafte Mengen zu betrachten, aber mit der mögliche-Welten-Semantik scheinen durchwegs doch ernsthaftere ontologische Ansprüche verbunden zu sein, wie ihr ausgiebiger Gebrauch gerade in der analytischen Ontologie und Religionsphilosophie belegt. E. stellt sich diesen Fragen und zieht noch zwei Linien weiter: Eine historische zu Leibniz, dem Ahnherrn dieser Semantik, und eine systematische, welchen religionsphilosophischen und theologischen Austrag die mögliche-Welten-Semantik haben könnte.
Der historische erste Teil (5–120) untersucht Leibniz’ Modalmetaphysik und ihre Unterschiede zur heutigen Modallogik. Etwa betrachtet Leibniz mögliche Welten immer als Ganze: Mögliche Existenz heißt Kompossibilität, d. h. begriffliche Einfügbarkeit in ein Weltganzes. Modalitäten erheben sich bei Leibniz also über bloße unspezifische Vorstellbarkeiten. Von Bedeutung ist das u. a. auch beim Gottesbegriff: Mehr als die meisten heutigen Verfechter modaler ontologischer Argumente nimmt Leibniz die Frage ernst, ob der zu Grunde gelegte Gottesbegriff überhaupt in sich konsis­tent ist und ein mögliches Individuum bezeichnet. E. weist aber auch auf die mehrfache theologische Problematik des Leibnizschen Ansatzes hin: Letztlich sind Gott die Modalitäten vorgegeben, und auch sein Schöpferhandeln im Sinne seines absolut guten Willens erscheint letztlich vorbestimmt. Das führt zur Frage, »ob dieser Gott nicht ein im Grunde überflüssiges metaphysisches Konstrukt ist …« (116 f.). Und auch das für die jüdisch-christliche Schöpfungstheologie zentrale unbedingte Gewolltsein des geschaffenen Individuums erscheint schwer rekonstruierbar, sofern dieses im Wege der Kompossibilität letztlich mit allem zusammenhängt (118 f.). – Der zweite Teil (121–264) führt in fünf gegenwärtige Ansätze zur Semantik der Modallogik und ihre jeweiligen philosophischen Einbettungen ein: (a) Quines Grundsatzkritik an jeder modalen Prädikatenlogik, (b) Lewis’ Ultra-Realismus in Bezug auf mögliche Welten (der allerdings den Begriff der Möglichkeit aushöhlt), (c) Kripkes neo-essentialistische Theorie von über mögliche Welten hinweg identischen Individuen, auf die mit starr referierenden Namen Be­zug genommen wird (die aber nicht recht klarmachen kann, warum manche Modalaussagen nicht bloß epistemische, sondern »metaphysische« Zusammenhänge beschreiben sollen), und (d) Plantingas ebenfalls essentialistische Modalmetaphysik (die jedoch ähnlich den Rationalisten ein Reich möglicher Dinge ontologisch vorordnet und das Wirkliche als einen Sonderfall des Möglichen erscheinen lässt). Mit (e) der Situationssemantik (Barwise/Perry) berücksichtigt E. auch eine grundlegende Alternativdeutung der Modalrede und lässt gewisse Sympathien für sie erkennen: Möglichkeitsaussagen er­scheinen hier als situativ bedingte Einschätzungen von Akteuren, was der traditionellen Einsicht, dass das Mögliche vom Wirklichen her zu erschließen ist, entgegenkommt (ihre technische Kompliziertheit ließ die Situationssemantik freilich ein Minderheitenprogramm bleiben). Überhaupt neigt E. selbst zu einer ausgewogenen, konzeptualistischen Deutung der Modalitäten. – Der abschließende dritte Teil (265–412) versucht einen Brückenschlag zu drei zentralen Fragen der Theologie: wie aus theologischem Blickwinkel die Notwendigkeit Gottes zu verstehen ist, wie das Gefüge von Notwendigem, Möglichem und Wirklichem zu deuten ist, und wie religiöser Glaube auf Möglichkeiten bezogen ist und sich von anderen epistemischen Zuständen unterscheidet. Dieser dichte Teil gerät zum Teil zum Parforceritt durch etliche Hauptdebatten der analytischen Religionsphilosophie, etwa jene um modale ontologische Argumente, um die »Reformierte Erkenntnistheorie« und ihre These, dass religiöse Meinungen berechtigterweise basal (properly basic) sein können, und um Plantingas modallogische Version der Free Will Defense als Lösungsvorschlag für das Problem, ob die Existenz des Übels nicht schon logisch mit der Existenz eines gütigen Gottes unvereinbar ist. Diese Dichte mag einzelne kleine Unschärfen begünstigt haben: Zuweilen scheint E. Wissen mit Gewissheit zu vermengen, wenn Wissen als besonders festes Meinen erscheint (365.371), und dementsprechend wird das epistemisch-logische Axiom (Wp  p) falsch interpretiert: Es besagt nicht, »dass alles, dessen sich ein Subjekt gewiss ist, auch wahr ist« (365), sondern bringt einfach den definitorischen Zusammenhang zwischen Wissen und Wahrheit zum Ausdruck. Plantingas Terminus warranted sollte man gerade nicht mit »gerechtfertigt« übersetzen, da eben auch basale Meinungen warranted sein können (383 oben, einige Zeilen weiter unten aber richtig). Die Resultate von Teil 3 können etwa so umrissen werden: Gottes Notwendigkeit steht außerhalb der Modalitäten (weshalb auch modale ontologische Argumente scheitern); der trinitarische Gott schafft in Freiheit die Welt und die darin geltenden Modalitäten (es gibt also anders als bei Leibniz kein vorausliegendes Reich der Modalitäten), wobei die Möglichkeiten der freien Geschöpfe so ernsthaft zu denken sind, dass sie auch Gottes Allwissen nicht voraussieht; der Glaube hat weniger mit einem epistemischen Zustand zu tun, sondern bewährt sich pragmatisch als Erschließung neuer Lebensmöglichkeiten.
Es ist keine leichte Lektüre, die E. dem Leser zudenkt, aber be­sonders Teil 2 macht E.s Talent deutlich, sperrige Materien zu überblicken und eingängig zu erschließen. Dennoch hegt der Re­zensent die Sorge, dass manche Strecken des 2. und 3. Teils die angezielte theologische Leserschaft überfordern könnten. Auch ist es nicht immer leicht, den Konnex mancher theologischer Perspektiven, die (obwohl in sich angenehm klar) in der gängigen pragma­tis­tischen Lebensbewährungs-Terminologie formuliert sind, zu den modallogischen Überlegungen herzustellen. All das ist aber weniger E. anzulasten als vielmehr als Problemanzeige zu lesen, wie viel an Vermittlungsarbeit zwischen Theologie und Gegenwartsphilosophie im deutschen Sprachraum noch zu leisten ist. Die Theologie sollte sich darum nicht herumdrücken, denn »insofern [sie] inmitten der Wirklichkeit von den Möglichkeiten Gottes redet, wird sie gewisse ontologische Grundentscheidungen aufklären, treffen und entfalten müssen« (332) – und das vorliegende Buch ist ein ganz eminenter Beitrag dazu.