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Ausgabe:

April/2009

Spalte:

432-434

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Förster, Niclas

Titel/Untertitel:

Das gemeinschaftliche Gebet in der Sicht des Lukas.

Verlag:

Leuven-Paris-Dudley: Peeters 2007. XIII, 586 S. gr.8° = Biblical Tools and Studies, 4. Geb. EUR 85,00. ISBN 978-90-429-1900-6.

Rezensent:

Lukas Bormann

Der Vf. war Leiter des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts »Das christliche Gebet und sein jüdischer Ursprung – untersucht auf der Grundlage des antiken jüdischen Quellenmaterials«. In diesem Rahmen ist die zu besprechende, bereits im Jahr 2003 weitgehend abgeschlossene Studie entstanden.
Das »Gebet« im Neuen Testament ist bereits mehrfach monographisch untersucht worden. Cullmann wollte vor allem der grund­sätzlichen Kritik am Gebet (»Gebetskrise«) begegnen. Fenske befasste sich mit dem funktionalen Aspekt des Gebets, Wick mit dem institutionellen Rahmen (Tempel, Synagoge, Gemeinde) und schließlich Ostmeyer mit der kommunikativen Funktion des Ge­bets. Inzwischen ist unumstritten, dass das Gebet herausragende Bedeutung für das Verständnis individueller und gemeinschaftlicher religiöser Praxis hat. Auch zum Gebet im lukanischen Schrifttum liegen einige Monographien vor (z. B. Crump, Plymale). Green fasst den Stand der Diskussion zur These zusammen, dass das Lukasevangelium Jesus als Vorbild im Gebet darstelle, dem die Jünger nachstrebten, und dass die Apostelgeschichte vor diesem Hintergrund ein Bild der frühen Kirche als Volk des Gebets (»early church as a people of prayer«) zeichne. In diesem Feld sucht die zu besprechende Arbeit ihren eigenen Ort. Der Vf. will sich auf das »gemeinschaftliche Beten in der lukanischen Überlieferung« be­schränken (25) und die »Verwurzelung des Lukas in seiner Umwelt am Beispiel des Betens« untersuchen (31).
Kapitel 1, »Das pagane Gebet im lukanischen Doppelwerk« (33–102), schildert Lukas als einen Autor, der »die Frömmigkeit der christlichen Gemeinde auf dem Hintergrund paganer Traditionen« profilierte (34). Dazu gehöre die Ablehnung der »Menschenvergottung« und der Proskynese in Apg 10,25 f.; 12,22; 14,12 und 28,3–6. Es zeige sich, dass Lukas eine »vernichtende Sicht der Götterwelt und Religion seiner paganen Zeitgenossen« habe (102).
Kapitel 2, »Das jüdische Gebet im lukanischen Doppelwerk« (103–250), untersucht zunächst den antiken synagogalen Sabbatgottesdienst (103–143). Lukas stelle in Lk 4,16–30 und in Apg 13,14–16 den Sabbatgottesdienst »gebetslos« dar (115). Er folge hier Philo und Josephus, die das Gebet im Synagogengottesdienst nur gelegentlich erwähnten (121). Sie schilderten den Synagogengottesdienst nach dem Vorbild der Philosophenschule, um »die Juden als ein Philosophenvolk in der hellenistisch-römischen Welt« zu zeichnen (138). Lukas nun habe gegen die »historische Realität« das Gemeindegebet im Synagogengottesdienst ganz ausgelassen, um sich dem Ideal »vom Gottesdienst des Judentums als Unterricht philosophischen Zuschnitts anzupassen« (143). Ebenso knüpfe Lukas an judenchristliche und pagane Opferkritik an, wenn er im Jerusalemer Tempel nicht das Opfer, sondern das Gebet zentral positioniere (149–213). Er überdecke damit die »historische Wirklichkeit und die fundamentale Bedeutung der Opferungen« (214). Zum jüdischen Gebet zählt der Vf. auch die Täufertexte im Lukasevangelium. Lukas verfüge »über zusätzliche Informationen vor allem über das Frömmigkeits- und Gebetsleben sowie über die Tauftätigkeit des Johannes und seiner Anhänger« (218). Aus Lk 3,21 in Verbindung mit 4Sibylle 165–169, dem lateinischen Adambuch und Hippolyts Darstellung der Tauchbäder der Elkesaiten schließt der Vf., dass der Gebetsakt Jesu seine Taufe zur »Selbsttaufe ohne Täufer« mache (241). Lk stelle die Gebetspraxis Jesu ganz ins Judentum und zwar in das intensiv hellenisierte Diasporajudentum seiner Zeit (242–249).
Kapitel 3, »Das christliche Gemeindegebet im lukanischen Doppelwerk« (251–425), behandelt nun die einschlägigen Texte aus Lk und Apg. Dem Vf. gelingen dabei immer wieder Akzentuierungen, die die bisherigen Forschungspositionen erweitern oder in Details korrigieren. So solle das Vaterunser nicht die Frömmigkeit Jesu darstellen und als Leitfaden für die Jünger dienen, sondern sei vielmehr das Unterscheidungsmerkmal der Christen von anderen religiösen Gebetsgemeinschaften (257). Das Vaterunser und die Texte zum Bitten (Lk 11,5–13; 18,1–14) stünden im Horizont der antiken Kritik am Bittgebet. Lk trete einem magischen Missverständnis des christlichen Gebets entgegen (273), reflektiere in Lk 18,1 eine »Gebetskrise« (284) und stehe in Beziehung zur paganen Gebetsphilosophie, wie sie sich bei Maximus von Tyros, Alexander von Aphrodisias, Plotin und Porphyrius finde (286–296). Überlegungen zur Gebetsmahnung in Lk 21,36 und Lk 22,40.46 schließen diesen Teil ab (315–329).
Die Summarien der Apg zeichneten das Idealbild einer im Gebet verwurzelten Gemeinde (330). Das Gebet sei besonderes Proprium der Gemeinschaft (335), stünde im Zentrum des Gemeindelebens (338) und sei von paganen Theorien und Modellen geprägt (341). Das Gebetsideal des θεωρητικὸς βίος wird von Plato bis Plotin erläutert, aber auch Philos Darstellung der Therapeuten und das Essenerbild bei Josephus. Es gebe ein Inventar von Idealvorstellungen und eine literarische Topik der im Gebet fundierten Idealgemeinschaften (366 f). Der »Wesenskern des gemeinschaftlichen Be­tens der ersten Christen« unterscheide sich durch die Einmütigkeit (ὁμοθυμαδόν) und die ununterbrochene Dauer (προσκαρτε­ρεῖν) von diesen Vorstellungen (368). Lukas stelle als Theologe und Lehrer seiner Gemeinde die Urgemeinde als im Gebet verankert dar: »Die ersten Christen praktizierten also von Anfang an unbeirrt das beständige Beten« (381).
Schließlich werden noch das Gebet der Gemeinde in Verfolgung (382–397), das Gebet bei Einsetzung ins Gemeindeamt (397–412), das Abschiedsgebet der christlichen Gemeinde (413–418) und das Gebet zum Einzugsgeleit (418–425) erläutert. Diese Gebete seien aus der »antike(n) Sitte des Ehrengeleits« abgeleitet (413), reflektierten die »politische Seite des zeitgenössischen Herrschaftsgeleits« (424) und zeigten die Bereitschaft zum öffentlichen Gebet (425).
Die Schlussbetrachtung (427–447) geht noch einmal die Ergebnisse der Studie durch und verweist in 80 Fußnoten ausschließlich auf die vorhergehenden Teile der Arbeit. Der Vf. setzt sich leider nur implizit mit der These einer lukanischen Gebetstheologie (Plymale und Crump: »Luke’s theology of prayer«) bzw. einer konsequenten Gebetskonzeption des lukanischen Schrifttums (Green) auseinander, wenn er als Ergebnis festhält, »dass Lukas keine systematisierte Gebetstheologie bietet, sondern eine aspekthafte Darstellung, die dem Leser als zentralen Gesichtspunkt eine im Gebet verwurzelte christliche Gemeinde vor Augen führt« (447). Eine umfangreiche Bibliographie (449–540) und diverse Register schließen die Ar­beit ab.
Ein abschließendes Urteil fällt nicht leicht. Manches vermisse ich: eine präzise Definition von »Gebet«, die explizite Auseinandersetzung mit den grundlegenden Thesen der Forschung, schließlich methodische Überlegungen zum Verhältnis von narrativer Analyse, literarkritischer, redaktionsgeschichtlicher und religionsgeschichtlicher Arbeit. Die Stärke des Buches ist es, Texte und Sachverhalte der hellenistisch-römischen Welt aufzuarbeiten, die das Umfeld erhellen, in dem über das Gebet nachgedacht wird. Man wird durch die Begegnung mit weniger vertrauten, wenn auch nicht gänzlich unbekannten Texten reich belehrt. Manche »Konvergenzen« und manche »Echos«, die hier genannt, in Beziehung gesetzt und ausgewertet werden, erweitern den Horizont der Lu­kasforschung. Der Fachexeget liest in dieser Monographie zum Teil anderes über das Gebet bei Lukas als in den meisten neutestamentlichen Abhandlungen. Diese Eigenheit des in die Reihe »Biblical Tools and Studies« aufgenommenen Werkes macht es zu einer gewinnbringenden Lektüre.