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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

379-381

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Stein, Stephen J. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Cambridge Companion to Jonathan Edwards.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2007. XIX, 374 S. m. Abb. gr.8° = Cambridge Companions to Religon. Kart. £ 19,99. ISBN 978-0-521-61805-2.

Rezensent:

Martin Ohst

Dass weder die Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika noch deren Innenpolitik samt den für beide bestimmenden Mentalitätsfaktoren ohne Rückgriff auf die religiösen Prägungen der nordamerikanischen Kultur und deren Geschichte seit der Kolonialzeit verständlich sind, ist in den vergangenen Jahren deutlich ins öffentliche Bewusstsein getreten – die Feuilletons besserer Tageszeitungen bezeugen das ebenso wie eine beträchtliche Zahl von einschlägigen Büchern, von denen offenbar manche sehr schnell geschrieben worden sind. (Das gilt auch für Michael Hochgeschwender, Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt a. M.-Leipzig 2007. Gerade die Ausführungen zum hier interessierenden Zeitraum [32–60] strotzen von gravierenden Fehlern, so dass kein wirklich brauchbares Gesamtbild entsteht.) Umso mehr ist dem hier anzuzeigenden Buch weite Verbreitung zu wünschen. Ausgewiesene Experten, die größtenteils auch an der Gesamtausgabe von Edwards’ Werken mitgearbeitet haben, präsentieren Leben, Werk und Nachwirkungen eines Mannes, der in seinem relativ kurzen Leben (1703–1758) nicht nur als Geistlicher in Kolonialgemeinden Neuenglands, sondern auch als Indianer-Missionar und als akademischer Lehrer tätig war – kurz bevor er an Komplikationen in Folge einer Pockenimpfung starb, war er Präsident des »College of New Jersey«, der heutigen Universität Princeton, geworden.
Gerade als deutscher Leser sollte man vielleicht sein Studium mit dem Abschnitt »The New England Background« (61–79) beginnen: Edwards’ Lebensumstände werden gegebenenfalls Erinnerungen an die Lektüre von J. F. Coopers »Lederstrumpf«-Romanen wachrufen, denn in Edwards’ geschichtlicher Welt am Rande des noch immer dünnen Streifens europäischer bzw. englischer Zivilisation im östlichen Nordamerika war der Dauerkonflikt mit den Franzosen im heutigen Kanada sowie mit katholisch christianisierten Indianern, die mit den Franzosen verbündet waren, allgegenwärtig. Er bestimmte auch Edwards’ Tätigkeit als Indianer-Missionar (sehr aufschlussreich Rachel M. Wheeler, 196–214). Auch den Bericht über Edwards’ Biographie (George M. Marsden, 19–38) und über die Schriften, welche über sein persönliches Leben und seinen Alltag Auskunft geben (Kenneth P. Minkema, 39–60), kann man vor diesem Hintergrund besser würdigen. Edwards entstammte einer der miteinander unentwirrbar verwandten und verschwägerten Oligarchen-Familien, die in der Kolonie Massachusetts die Elite der Prediger, Politiker und Offiziere stellte. Am Orte seiner längsten Wirksamkeit, Stockbridge/Mass., war sein Großvater mütterlicherseits, Solomon Stoddard, sein unmittelbarer Amtsvorgänger. Wie ursprünglich kolonial im Primärsinne des Wortes diese Elite immer noch lebte, lässt sich daran ablesen, dass Edwards auch als Inhaber einer der höchstangesehenen und einträglichsten Predigerstellen des Landes selbstverständlich selbst Landwirtschaft be­trieb: In seinen Tagebüchern notierte er genaue »Steckbriefe« von seinen Kälbern, um diese nötigenfalls identifizieren zu können.
Auch als Christ und Prediger war Edwards zutiefst von den Besonderheiten seiner Herkunft bedingt: Wie seine Vorfahren war er Kongregationalist, d. h. er gehörte einer Tradition des Reformiertentums an, welche, entstanden im spätelisabethanischen England, im Kontrast zum Presbyterianismus die Eigenständigkeit der Einzelgemeinde betonte und für die Vollmitgliedschaft in der Gemeinde ein verbindliches persönliches Glaubensbekenntnis zur Bedingung machte. An der Säuglings-/Kindertaufe hielten die Kongregationalisten fest – anders als die Baptisten, welche entstanden, als kongregationalistische Emigranten in den Niederlanden sich täuferischen Einflüssen öffneten. Kongregationalisten bildeten den Kern der ersten Siedlungsbewegungen in Nordamerika und ihnen fiel hier kirchlich die Führungsrolle zu; mit anderen Worten: Gemeinden, welche ihrer Herkunft und ihrem Selbstverständnis nach auf dem Boden der individuellen Freiwilligkeit standen (»Gathered Churches«), stellte sich die Aufgabe, spezifisch großkirchliche Bildungs- und Erziehungsaufgaben zu übernehmen, denn an dem Anspruch der einheitlich christlichen Prägung und Leitung der gesamten Gesellschaft unter der Herrschaft der wahren Frommen hielten die Kongregationalisten, anders manche der später entstandenen englischen »Revolutionskirchen« (H. Weingarten), fest.
Es ist also deutlich: Der Kongregationalismus war darauf an­gewiesen, die in der Abfolge der Generationen unweigerlich statt­findenden Verfestigungen und Verflachungen kirchlichen »Ge­wohn­heitschristentums« immer wieder durch neue »Erweckungen« aufzubrechen: Nur durch möglichst massenhafte, spektakuläre »Be­kehrungen« konnte je und je wieder die normative Ursprungssituation vergegenwärtigt werden, in welcher sich bekehrte Sünder verbindlich auf gemeinsame christliche Lebensordnungen verpflich­teten. Edwards’ Großvater Stoddard war als Erweckungsprediger berühmt. Zugleich gehörte er zu denjenigen, welche durch ein abgestuftes System der Kirchenmitgliedschaft (»Half-Way-Covenant«) die über den engen Kreis hinausreichende kontinuierliche Erziehungsarbeit der Gemeinden sichern wollten. Edwards selbst trat genau in diese Problemkontinuität ein. Er beteiligte sich an Erweckungsbewegungen und verbreitete höchst wirkungsreich literarisch die Kunde von ihnen bis nach Europa. Aber er schrieb die kongregationalistische Tradition in einer Weise fort, die ihn als kritischen und kreativen Zeitgenossen der anhebenden neuzeitlichen Umformungskrise des christlichen Denkens ausweist. Wenn die Phrase nicht so abgedroschen wäre, könnte man ihn wohl als »konservativen Revolutionär« bezeichnen: Er trat an, um die hergebrachte calvinische Rechtgläubigkeit in Geltung zu halten und das Lebensideal des Kongregationalismus vor Erweichungen und Verflachungen zu bewahren. In seinem zwar Fragment gebliebenen und trotzdem in universale Weite sich ausspannenden Lebenswerk nahm er sich dieser Aufgabe an, indem er sich gerade damals spezifisch moderner Gedanken bediente. Gegen die Reformen seines Großvaters nahm er den Kampf für das alte, restriktive kongregationalistische Modell der Kirchenmitgliedschaft auf: Er verweigerte Kindern die Taufe, von denen lediglich die Großeltern, nicht aber die Eltern vollgültige Gemeindeglieder waren, und deshalb musste er aus seinem Amt in Stockbridge weichen. Die Erweckungen, an welchen er selbst beteiligt war, konnte er zugleich kritisch betrachten. In einer Weise, die ihn als von den »Englischen Moralisten« (E. Troeltsch) beeinflusst ausweist, insistierte er darauf, dass der emotionale Überschwang eines Bekehrungserlebnisses konstitutiv der Bewährung in einem dauerhaft sittlich erneuerten Lebenswandel bedarf. Gegen alle »arminianischen« Erweichungen hielt er daran fest, dass in der Erlösung des Menschen allein Gott als der souveräne Herr wirkt, so dass Heil und Unheil des Menschen ihren Grund allein in Gottes vorzeitlicher, unergründlicher Gnadenwahl haben. Da er diese religiöse Grundanschauung zu plausibilisieren trach­tete, rationalisierte er sie subtil, indem er, an Duns Scotus erinnernd, die sich im unhintergehbaren Bewusstsein der Freiheit vollziehende menschliche Wahl gerade als Mittel der Selbstdurchsetzung der souveränen göttlichen Determination würdigte (Stephen H. Daniel, Edwards as a philosopher, 162–180): Der von Gott verdammte Mensch lädt subjektiv frei und objektiv zurechenbar eine Schuld auf sich, die seiner Verdammung jeden Anschein der Willkür nimmt.
Als Prediger, Schriftsteller und Bibelleser, der für seinen Privatgebrauch ein umfangreiches Scholienwerk kompilierte, war Ed­wards ein Biblizist, der sich schon den Fragestellungen moderner Bibelkritik vehement verweigerte (Stephen J. Stein, Edwards as biblical exegete, 181–195). Daneben jedoch publizierte er kurz vor seinem Tode den ersten Teil eines Werks, das unter Rückgriff auf eine Fülle auch außerbiblischer Materialien eine Art universalgeschichtlichen Entwurf nach theosophischer Methode präsentierte (Harry S. Stout, Edwards as revivalist, 125–143): Die Gesamtgeschichte erschließt sich als Reihe göttlicher Erweckungstaten und läuft vor dem Ende auf ein diesseitig-realistisch gedachtes Millennium zu (E. Brooks Holifield, Edwards as a theologian, 144–161) – die Herkunft von klassischen Denkmustern reformierter Theologie liegt ebenso auf der Hand wie die Abweichung von ihnen.
Ein eigener Hauptteil geht den Nachwirkungen Edwards’ in der Kulturgeschichte nach. Obwohl der hier aus Platzgründen nicht mehr eigens gewürdigt werden kann, dürfte meine Übersicht klar gemacht haben, dass dieses Buch allemal der Lektüre wert ist – und vielleicht auch einer deutschen Ausgabe?