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Ausgabe:

März/2009

Spalte:

336-338

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Bayer, Joachim

Titel/Untertitel:

Werner Elerts apologetisches Frühwerk.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2007. XIV, 376 S. gr.8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, 142. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-3-11-019445-6.

Rezensent:

Michael Roth

In seinem wohl bekanntesten Werk »Der christliche Glaube« (Er­langen 1940, 61988) betont Werner Elert emphatisch, dass das Evangelium dem menschlichen Selbstverständnis nur »unvermittelt entgegengesetzt werden« kann. Jede »methodologische Überleitung« (a. a. O., 53) wird von Elert mit Vehemenz abgelehnt. Im Blick auf das Spätwerk wird daher in den meisten theologiegeschichtlichen Darstellungen zu Recht betont, dass Elert keine apologetischen Nebentendenzen verfolgt habe und dass keiner der apologetischen Vermittlung so stark widersprochen habe wie Elert. Weniger bekannt dürfte demgegenüber sein, dass Elert sich in seiner Frühphase (1910–1923) ausführlich der Apologetik gewidmet hat. Auf diese »apologetische Phase« (24 u. ö.) konzentriert sich die vorliegende Arbeit, die im Jahre 2005 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation im Fach Praktische Theologie angenommen wurde.
Der Vf. betont, dass er »sich vollständig und ausschließlich mit Elerts Frühwerk und der darin explizierten apologetischen Arbeit« (24 f.) beschäftigen will. Im Blick auf die Forschungslage (vgl. 13–23) erscheint diese Beschränkung verständlich und durchaus sinnvoll: Zwar – so zeigt der Vf. zu Recht – gibt es vereinzelt Arbeiten zu Elert, die auch sein frühes Schaffen in den Blick nehmen, doch kommt dieses dabei lediglich »als Verstehensvoraussetzung des späteren Elert und zugleich nur in Auswahl der von außen herangetragenen Fragestellungen zur Geltung« (20). Dies verstelle gerade aus dem Grunde den Blick für das apologetische Frühwerk, weil konfessionelles Luthertum im Allgemeinen und die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium im Besonderen Elert bis 1923 gar nicht beschäftigte, wie der Vf. im Verlauf der Arbeit eindrucksvoll zeigt. Es ist daher durchaus verständlich, dass der Vf. es für ratsam hält, »Analyse und Darstellung des Frühwerkes von Fragestellungen, die außer diesem selber liegen, zu entkoppeln« und »sich mit Elerts apologetischem Frühwerk gleichsam induktiv auseinanderzusetzen« (24).
Die Arbeit gliedert sich in vier Teile: In der Einleitung (»I Annäherung an einen ›ungemein komplizierten Charakter‹« [4–57]) werden neben der Begründung des Vorhabens und des Vorgehens der Arbeit (s. o.) sowie der Werkrezeption (s. o.) auch »Aspekte der Person Elerts« (30–57) in den Blick genommen und Elerts weit gefächerte Interessen vorgestellt. Der abschließende Teil (»IV Der Ausgang des apologetischen Frühwerks als Konstitutionshorizont von Elerts späterem Konfessionalismus« [312–341]) zieht eine Linie zu Elerts Arbeit nach 1923. Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse des Frühwerkes Elerts (»II Die Zeit von 1910–1918« [58–159]; »III Die Zeit von 1919–1923« [160–311]).
In der Analyse der apologetischen Arbeiten Elerts in der Zeit von 1910–1918 geht der Vf. zunächst der Frage nach Elerts Wahrnehmung der Gegenwartskultur nach. Der Vf. zeigt, dass Elert, bei dem sich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs »keine ausführliche Diagnose der Gegenwartskultur« findet und der auch »Fragen zur Verfassung der Gesellschaft … nirgends ausführlich, geschweige denn systematisch-zusammenhängend oder gar erschöpfend untersucht« (83), die gesellschaftliche Pluralität primär als Pluralität der Weltanschauungen wahrnimmt, die miteinander konkurrieren (vgl. 69). Dabei spiele die Wahrnehmung der Pluralität konfessioneller Gegensätze keine Rolle (vgl. 79 ff.). Entscheidend für Elert seien vielmehr der Rückgang allgemeiner Plausibilität der christlichen Weltanschauung inmitten der Pluralität der Weltanschauungen, die abnehmende wissenschaftliche Reputation der Theologie sowie die Dominanz der naturwissenschaftlichen Methode (vgl. 144 f.).
In einem zweiten Schritt analysiert der Vf. das apologetische Programm, mit dem Elert den Herausforderungen der Gegenwart zu begegnen sucht: Der Vf. zeigt, dass es Elert nicht darum geht, die Wahrheit des christlichen Glaubens vor dem Forum der Vernunft zu beweisen, sondern ausschließlich darum, zu zeigen, dass das Christentum eine nach erkenntnistheoretischen Maßstäben formal zureichende Weltanschauung ist (vgl. 110 f.145 ff.). Formal zureichend und damit plausibel sei nach Elert eine Weltanschauung dann, wenn sie »das Weltwissen der Gegenwart aufgreift und zugleich die existentiellen Fragen des Menschen zureichend be­antwortet, sich also gerade durch ihre transzendente, faktisch religiöse Erklärung potentiell sinnvermittelnd erweist. Diese Plausibilität sagt jedoch nichts über den Wahrheitsgehalt einer Weltanschauung aus, sondern nur über den Grad ihrer möglichen Nachvollziehbarkeit« (148).
Sowohl hinsichtlich der Wahrnehmung der Gegenwart als auch hinsichtlich des hierauf antwortenden apologetischen Programms setze sich in den apologetischen Arbeiten aus der Zeit von 1919–1923 eine andere Auffassung durch: »[D]urch die Diffusion der untergehenden Kultur, durch die Relativität und Skepsis jeglicher Wahrheit und durch die scheinbare Unmöglichkeit, die gegenwärtige Lage rational zu durchdringen, [sind] die Weichen anders gestellt« (193 f.). Die Aufgabe der Apologetik werde bei Elert dieser neuen Zeitdiagnose entsprechend reduziert auf die »Gegenüberstellung von immanenter, zeitkritisch als Dekadenz diagnostizierter Weltanschauungspluralität … und der allein durch das Erlebnis der Transzendenz verbürgten ›Wahrheit‹« (205). Jeder Vermittlung werde von Elert widersprochen. »Statt auf eine Vermittlung ist die Apologetik nun ausschließlich auf den Weg des Zeugendienstes verwiesen. Keine Vermittlung des Christentums, keine Anknüpfung an die allgemeine Kultur, sondern die schlichte konfrontierende Bezeugung des christlichen Transzendenzerlebnisses vor der Welt gilt Elert am Anfang der Zwanziger Jahre als momentanes Maß aller apologetischen Bemühung« (274).
Einen zunächst überraschend breiten Raum in der Analyse der Zeit von 1919–1923 nimmt Elerts »Ortsbestimmung der Theologie als Wissenschaft« (289–311) ein, die dieser in seinem 1921 vorgelegten Buch »Der Kampf um das Christentum« vorgenommen hat. Der Vf. zeigt, dass Elert die Wissenschaftlichkeit und das Existenzrecht der Theologie im Rückgriff auf Schleiermacher zu lösen sucht: »Die Universität mit ihren verschiedenen Wissenschaften ist … ein Spiegel der divergenten gesellschaftlichen Interessen. Da es gerade in einer pluralen Gesellschaft verschiedene empirische Gemeinschaften gibt, folgt daraus notwendig die prinzipielle Pluralität auch der Wissenschaften, ihrer Gegenstände, Methoden und Interessen« (297). Daher sei für Elert die »gesellschaftlich ausweisbare Selbständigkeit des Christentums … Bedingung der Möglichkeit der Selbständigkeit der Theologie als Wissenschaft« (298).
Die Bedeutung dieser Überlegung wird im abschließenden vierten Teil der Arbeit deutlich, in dem der Vf. den »Ausgang des apologetischen Frühwerkes als Konstitutionshintergrund von Elerts späterem Konfessionalismus« (s. o.) verdeutlicht: Theologie sei für Elert nur »in einer erkennbaren Bezogenheit auf eine bestimmte Religionsgemeinschaft zu betreiben« (332). Elerts Konfessionalismus am Anfang der 20er Jahre lasse sich daher »nicht als einen durch das Phänomen der Verunsicherung durch die Moderne herbeigeführten – pluralitätsflüchtigen – Refundamentalisierungsversuch deuten, sondern primär als einen Akkomodationsversuch, der sich zwar durchaus als Reaktion auf die vorliegende plurale Situation präsentiert, zugleich aber auch in seinem Selbstverständnis bewußt wie konstruktiv auf die plurale Situation eingehen möchte« (338).
Die Arbeit des Vf.s überzeugt: Er präsentiert eine umfassende und gründliche Analyse des Frühwerkes Elerts, die dieses in seiner Andersartigkeit gegenüber dem Spätwerk Elerts deutlich konturiert und auch Entwicklungen innerhalb des Frühwerkes sorgfältig und präzise nachzeichnet. Damit hat der Vf. nicht nur einen zweifellos wichtigen Beitrag für die Elert-Forschung geleistet, sondern auch für die Geschichte der theologischen Apologetik des frühen 20. Jh.s. Da der Vf. die Fragen und Problemstellungen, durch die Elert sich herausgefordert sieht, und seinen Versuch, diesen zu antworten, pointiert herausarbeitet, ist die Arbeit nicht nur in theologiegeschichtlicher, sondern auch in systematisch-konstruktiver Hinsicht aufschlussreich.