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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

196-199

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Ziadé, Raphaëlle

Titel/Untertitel:

Les martyrs Maccabées: de l’histoire juive au culte chrétien. Les homélies de Grégoire de Nazianze et de Jean Chrysostome.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2006. X, 392 S. gr.8° = Supplements to Vigiliae Christianae, 80. Geb. EUR 146,00. ISBN 978-90-04-15384-4.

Rezensent:

Andreas Heiser

Raphaëlle Ziadé forscht derzeit über Heiligenkult im spätantiken Syrien und arbeitet an einer Edition der Homilien De Macabeis des Johannes Chrysostomus (um 350–407 n. Chr.). Das zu besprechende Buch ist eine revidierte Fassung ihrer Doktorarbeit, die sie unter Leitung von Monique Alexandre anfertigte und mit der sie von der Universität von Paris IV-Sorbonne im Jahr 2002 zur Doktorin für Geschichte des antiken Christentums und spätantiker Zivilisation promoviert wurde.
Auf die sog. Makkabäischen Märtyrer, jüdische Bekenner, die unter Antiochus IV. Epiphanes im 2. Jh. v. Chr. umkamen, beziehen sich christliche Texte erstmals um das Jahr 200 n. Chr. Der alexandrinische Kirchenvater Origenes verarbeitet in seiner Exhortatio ad Martyrium (um 235 n. Chr.) umfangreiche Passagen aus der ältesten Quelle ihres Martyriums (2Macc. 6,18–7,42) (95–102).
Z. analysiert im Hauptteil ihrer Monographie vier Reden über die Märtyrer, die in die nachkonstantinische Hälfte des 4. Jh.s datiert werden, in der überhaupt erst ein christlicher Kult der Makkabäischen Märtyrer aus literarischen Quellen nachweisbar ist. Z. versteht einige dieser Texte als »Panegyriken« (9–15), eine Form spätantiker Rede, die mit Mitteln epideiktischer Rhetorik das Le­ben und Sterben berühmter Personen preist und zur Nachahmung inszeniert. Gerade an Texten des Chrysostomus wurde zu­letzt gezeigt, wie sehr seine antiochenische Gemeinde unter Bischof Flavian (gest. 404) auf die Inszenierung eines Märtyrerkultes mit seiner Märtyrerpanegyrik setzte (E. Soler, Le sacré et le salut à An­tioche au IVe siècle après Jean Chrysostome, Bibliothèque ar­chéo­logique et historique 176, Beyrouth 2006).
Während die Rolle der Makkabäischen Märtyrer bei lateinischen Autoren wie Cyprian von Karthago, Ambrosius von Mailand und Leo dem Großen gut erforscht ist, zieht Z. als Hauptquelle oratio 15 (PG 35, 912–933; vermutlich 362 n. Chr.) Gregors von Nazianz (um 329/333–um 390 n. Chr.) und zwei Homilien des Chrysostomus De Macabeis (pan. Macc. 1–2; zwischen 386 und 397 aus Antiochien) (PG 50, 617–622; 623–626) und De Eleazaro et septem pueris (Eleaz.) (um 398 aus Konstantinopel) (PG 63, 523–530) heran (2.6–9.16–22). Als Spurium klammert sie pan. Macc. 3 (PG 50, 625–628) des Chrysostomus aus (345–350).
Das Buch gliedert sich in drei Teile: Teil 1 (25–103) erhellt die Stellung der Makkabäerbücher in der Kanon- und Liturgiegeschichte (29–38) und klärt Einleitungsfragen der zentralen Texte aus 2Macc. und 4Macc. (39–65). Z. lokalisiert einen ersten Makkabäer-Kult in Antiochien (55–62). In Anlehnung an E. Nodet führt sie aus, dass es auch ein jüdisches Fest der Verehrung der Makkabä­ischen Märtyrer gegeben habe, das vielleicht mit dem jüdischen Hannukah-Fest verbunden war (63–65). Breiter Raum kommt dem Überblick über die literarische Rezeption der Makkabäer-Passagen bis zur Mitte des 3. Jh.s zu (66–103).
Z. streicht zwei charakteristische Funktionen der Makkabä­ischen Märtyrer in der christlichen Rezeption des 2. und 3. Jh.s heraus. Mit Anlehnung an M. van Uytvanghes Definition eines hagiographischen Diskurses versteht sie die Makkabäischen Märtyrer als Modelle (exempla) christlicher Märtyrer. »Leur réaction fut celle que prêchent les orateurs: résisance à la douleur du supplice et proclamation de foi publique. Ils s’imposent dès lors comme des exemples en dépit du motif de leur mort, leur religiosité éprouvée suffisant á leur conférer le statut de modèles.« (103) Zudem fungiere die literarische Darstellung ihres Martyriums als Beispiel für die Komposition und Edition christlicher Martyrien (69).
In Teil 2 (105–175) rekonstruiert Z. aus den panegyrischen Homilien des Johannes Chrysostomus und Gregor von Nazianz ein Fest der Makkabäer in Antiochien, Nazianz und Konstantinopel.
Die Konzile von Hippo und Karthago hätten erst 393 und 397 n. Chr. die Lesung von Martyrien anlässlich der Feier ihrer Todestage genehmigt. Im Osten hingegen hätten Christen die Makkabä­ischen Märtyrer schon verehrt, bevor Chrysostomus und Gregor ihre Makkabäer-Homilien verfassten, da das griechische Original des sog. Martyrologium von Edessa (ed. Wright) für die Feier des Festes der Makkabäer in Antiochien bereits vor dem Jahr 362 n. Chr. den 1. August festgesetzt habe (107). Mit P. Gallay sieht Z. Gregors or. 15 für eine Feier an diesem Datum in Nazianz bestimmt und durch Julians Maßnahmen gegen Christen veranlasst (107–109.136–154).
Die Bezüge auf die Körper der Märtyrer in pan. Macc. 1,1 des Chrysostomus deuteten darauf, dass sie in irgendeiner Form am Märtyrergrab in Antiochien präsentiert wurden. Ein möglicher Ort ist die Kirche der Makkabäer in Kerateion, die auch im Martyrologium von Edessa erwähnt wird und die nach einer Topographie Antiochiens aus dem 6. Jh. (Ms. Arab. 286 Bibliotheca Vaticana) möglicherweise eine Synagoge, die in Verbindung mit den Mak­kabäern stand, ersetzt haben könnte. Die Umwandlung in eine christliche Kirche hat noch unter der Herrschaft des Cäsar Gallus (325/6–354 n. Chr.) stattgefunden (114–118). Damit votiert Z. deutlich gegen eine Identifikation der Grotte der Matrona im antiochenischen Villenvorort Daphne mit der Kultstätte der Makkabäer (118–123). Da sie demgemäß auch die These, dass die Makkabäerhomilien des Chrysostomus in Verbindung mit seinen acht antiochenischen Reden gegen judaisierende Christen ( Jud. 1–8) stünden (123–135), verwirft, hat J. W. van Henten (JBL 01/2008) zu Recht ge­fragt, ob Z.s Feststellung der radikalen Stilisierung der Makkabäer zu christlichen Helden schon ausreiche, von der These jüdischer Okkupation dieser Heroen zur Zeit des Chrysostomus Abstand zu nehmen.
Durch Vergleich der antiochenischen und der konstantinopolitanischen Homilien des Chrysostomus zeigt Z. unterschiedliche literarische Genres auf. Die Reden aus Konstantinopel seien mehr dogmatisch-exegetisch als panegyrisch interessiert. Z. leitet daraus unterschiedliche Fest-Liturgien für Antiochien und Konstantinopel ab. Chrysostomus müsse das Fest in der Hauptstadt erst etablieren und die Legitimität des Festes der Makkabäer exegetisch begründen (155–175).
Teil 3 (177–288) der in solider Wissenschaftsprosa verfassten Studie bietet eine Analyse der Quellen, die den Einsatz von Mitteln epideiktischer Rhetorik der sog. Zweiten Sophistik und die Rezeption einzelner Aussagen und Themen aus 4Macc. erhellt. Die Gattung der christlichen Predigt erlaubt eine rhetorische Akzentuierung ausgewählter Motive und dient der Ermahnung des Auditoriums (181–195). – Dass die Märtyrer, Eleazar und die Brüder, als exempla inszeniert werden, macht Z. an den vielen Referenzen auf ihre exemplarische Darstellung wichtiger Tugenden wie Mut, Selbstbeherrschung und eines Verhaltens nach den Maßstäben christlicher Philosophie deutlich (196–226).
Die in der biblischen Vorlage angelegte körperliche Schwäche der Mutter und ihr Martyrium werden akzentuiert, indem sie durchgängig als eine alte und schwache Frau (4Macc. 16,1) inszeniert wird. Das Motiv der mütterlichen Liebe (4Macc. 14,11–15,32) werde in 4Macc. bereits erheblich breiter ausgeführt als in 2Macc. Nach 4Macc. 14,14–20 ist die Mutter zu bewundern, weil sie ihre mütterlichen Gefühle kontrolliere und sich sowohl für ihre Kinder als auch die jüdische Religion einsetze. Chrysostomus gestaltet dieses Motiv weiter aus und präsentiert das Martyrium der Mutter als einen Triumph geistlichen Feuers über tatsächliches Feuer (pan. Macc. 2 [50, 625]). Die Mutter opfert sich selbst und ihre Söhne als eine zweite Gabe an Gott, die ihnen ermöglicht, Eintritt in eine Welt wirklichen Lebens zu erlangen. Der Epilog von Gregors or. 15 stelle das Martyrium der Mutter und ihrer Söhne als die Vollendung der Mutterschaft dar, die zu dem protreptischen Aufruf am Ende führe: die Nachahmung des Opfers der sieben Brüder für Christus (227–257). – Zur ethischen Unterweisung für das tägliche Leben wird von beiden Vätern die agonistische Metaphorik aus 4Macc. – besonders der hier angelegte Kampf gegen Leidenschaften– ausgestaltet und für die Verkündigung fruchtbar gemacht. Besonders Chrysostomus setzt auf das Paradox von triumphaler Schwäche und göttlicher Belohnung (258–288).
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie fasst Z. straff zusammen (289–296). Dabei betont sie noch einmal, dass im Zuge der Christianisierung zunächst jüdischer Nationalhelden kein historisches Interesse an den Makkabäern anleitend war, sondern eine typo­logische Auslegung die biblischen Episoden zum Objekt des öf­fentlichen Kultes werden ließ und seinen spezifischen Ritus be­stimmte (296). – Ein Anhang bietet gelungene Übersetzungen der Quelltexte (301–344), Bibliographie (351–379) und Indizes (Bibelstellen und Autoren 381–392).
Z. bietet eine vorzügliche historische Untersuchung sowohl der Texte aus den Makkabäerbüchern als auch ihrer Wirkungsgeschichte, die detailreich die Kontinuität zwischen früher jüdischer und christlicher Verehrung der Märtyrer aufzeigt. Ein Vergleich mit anderen panegyrischen Reden beider Autoren könnte im Anschluss an Z.s Studie erhellen, welche Elemente direkte Auswirkungen dieser Kontinuität und welche Diskontinuität markieren, indem sie auf ein topisches Inventar spätantiker Märtyrerpanegyrik zurückgehen.
Ein wesentlicher Forschungsbeitrag ist der Fokus auf die Wirkung von 4Macc. als literarischem Modell im hagiographischen Diskurs und als Anstoß zur Weiterinterpretation einzelner Motive. Bei Chrysostomus liegt der Akzent nur noch auf zwei Märtyrern und ihren Tugenden, der Mutter und ihrer Liebe sowie den Brüdern und ihrer Standhaftigkeit. Gregor legt besonderes Gewicht auf Eleazar, den er – möglicherweise inspiriert durch 4Macc. 18,10–19 – zum geistlichen Vater der Jungen stilisiert. Weniger überzeugt die Verbindung von Gregor und Julian. Wenn Gregor – veranlasst durch die Repressalien Kaiser Julians – eine christliche Ge­meinde zur Standhaftigkeit mittels des Rekurses auf die Geschichte jüdischer Nationalhelden ermahnt, hätte es im August 362, als von Kaiser Julian bereits projüdische Maßnahmen wie der Plan eines Tempelbaus in Jerusalem bekannt wurden, weiterer exegetischer Kniffe bedurft, als sie aus Gregors or. 15 zu entnehmen sind.
Auf Grund der fehlenden baulichen Denkmäler dienen – was Z. selbst als Manko beschreibt (292) – einzig die Reden als Quelle für das, was sie im zweiten Teil als »Kult der Makkabäer« beschreibt. Für die Rekonstruktion eines regelrechten »Kultes« sind die Informationen aus diesen Quellen jedoch zu dünn, so dass man auch in Zukunft wird fragen dürfen, ob das wahrscheinlich fiktive Grab der Makkabäer (4Macc. 17,8–10) als Indiz für einen Kult in Antiochien ausreicht.
Bei der brennenden Frage nach einer vorchristlichen Verehrung der Makkabäischen Märtyrer in Antiochien bestätigt Z.s Studie die Enttäuschung der Forschung, da wir schlicht nichts gesichertes über eine jüdische Verehrung sagen können.
Wer immer die Rezeption der Makkabäischen Märtyrer im frühen Christentum studieren und erforschen möchte, sollte zu Z.s Buch greifen.