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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

183-185

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Waal Dryden, J. de

Titel/Untertitel:

Theology and Ethics in 1 Peter. Paraenetic Strategies for Christian Character Formation.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XII, 226 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 209. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-148910-5.

Rezensent:

Christoph G. Müller

Die fundamentale und häufig zitierte Beobachtung Willem C. van Unniks »Christianity according to 1 Peter is not a certain set of ideas, but ἀναστροφή« beschreibt, worum es J. de Waal Dryden mit seiner gut lesbaren Studie geht. De W. D. will sich der Frage widmen, was man sich in der Entstehungszeit des 1Petr unter einem »paränetischen Schreiben« vorzustellen hat, und möchte im Anschluss daran »form, content, and function of moral instructions« (143) im Kontext der Theologie dieses Briefes beschreiben.
Ein erstes einführendes Kapitel (1–13) macht zunächst darauf aufmerksam, dass die zentralen theologischen Vorstellungen des 1Petr im Abschnitt 1,3–2,12 auszumachen seien (2; vgl. auch 9.69 u. ö.); »these verses are recognized to be in some sense foundational to the ethical exhortations of the entire epistle« (2). Daraus leitet de W. D. sein methodisches Bemühen ab, Theologie und Ethik nicht voneinander zu trennen. Sein wiederholt erklärtes Ziel lautet: »I intend to demonstrate how theology and ethics come together to function as paraenesis« (4). Seine Analyse der 1Petr als paränetischer Brief (6) hat von daher zwei Schwerpunkte: »(1) explorations of the nature and function of Greco-Roman paraenetic epistles, and (2) exegetical studies of Petrine texts read against this background« (8).
In acht übersichtlich gegliederten Kapiteln versucht de W. D., sich diesen Zielen zu nähern. Kapitel 1 »Paraenesis as an Epistolary Genre« (15–35) verortet paränetische Briefe im Kontext philosophischer Schulen (15), ohne freilich anzugeben, um welche philosophischen Schulen es sich handelt und was man sich im Folgenden unter einer »Schule« vorzustellen hat (vgl. dazu u. a. die Arbeiten von T. Schmeller oder T. Vegge). De W. D. stützt sich vor allem auf Briefe des Isokrates und Senecas, ohne diese freilich ausführlicheren Analysen zu unterziehen oder in der Gattungsfrage Abgrenzungen zur Konsolations- oder Exilliteratur durchzuführen. Der Aufweis, dass es sich um eine eigene literarische Gattung handelt, hätte auf einer breiteren textlichen Basis erfolgen müssen, zumal behauptet wird, eine solche sei für philosophische Schulen der Antike von besonderem Interesse gewesen. Die für de W. D.s Untersuchung vielleicht zentrale Beobachtung in diesem Zusammenhang: »Paraenesis seeks to facilitate progress ( προκοπή) in moral virtue« (23; vgl. auch 94) wird im zweiten Kapitel, das sich der Gattungsfrage widmet (37–53), recht bald als Grundanliegen des 1Petr wiedergefunden: »The author’s paraenetic aim is growth in Christian maturity, which is seen primarily in terms of growth in moral character« (46).
Ein relativ umfangreiches Kapitel 3 »Worldview and Story« (55–89) widmet sich zunächst der Rolle und Bedeutung von Paränese im Rahmen von Konversionen. Nachdem de W. D. kurz auf zwei Briefe Senecas (58–61) und einige Beispiele aus den Arbeiten Philos (62–64) eingegangen ist, konstatiert er für den 1Petr eine spezifische, theologische Weltanschauung (64; vgl. auch 80): »He uses theology foremost as a tool to shape their way of looking at the world, and through this, their way of living in the world.« Das Besondere im 1Petr erkennt de W. D. in einer »juxtaposition of future and present realities and the interconnecting of the meta-narrative of salvation with the story of the readers« (72). Im Rahmen der Analyse von 1Petr 1,7 (76 f.) hätte sich hier reichlich Gelegenheit geboten, Begriffe wie ἔπαινος, δόξα oder τιμή mit anderen »weltanschaulichen« Entwürfen in der Zeit der primären Adressaten zu vergleichen, was allerdings unterbleibt.
Kapitel 4 »Conversion and Contrasts« (91–116) konzentriert sich zunächst anhand von Beispielen aus den Werken Plutarchs, Epiktets und des Pseudo-Diogenes auf Erinnerung und Antithesen als Elemente paränetischen Bemühens, bevor 1Petr 1,13–2,3 einer Analyse unterzogen wird, die freilich für die Auslegung wenig Neues beisteuert. Ähnliches lässt sich für das nachfolgende Kapitel »Identity and ›Soft‹ Difference« (117–142) sagen, das einen Schwerpunkt bei der Auslegung von 1Petr 2,4–10.11–12 setzen will. Dabei bleiben immer wieder fundamentale Fragen offen: Was hat man sich bei den Adressaten des 1Petr unter »conversion« vorzustellen? Ist hier nicht von sehr unterschiedlichen Lebens- und Glaubenswegen aus­zugehen? Wer sind angesichts der Einladung zum Vertrauen auf Gott »all other rivals for the hope of these churches« (100)? Solche Fragen sollten allerdings nicht von der wichtigen Beobachtung de W. D.s ablenken, dass eine Grundschwierigkeit des 1Petr in der Entwicklung von Identität als Differenz auszumachen ist; »assimilation and isolation are two strong temptations pulling in opposite directions« (133; vgl. auch 141).
Das den »Moral Instructions«, vorrangig in 1Petr 2,13–5,11, ge­widmete sechste Kapitel (143–162) lässt den Leser mit einer ganzen Reihe von Fragen und einer gewissen Ratlosigkeit zurück. Hier werden Beispiele aus dem Werk des Isokrates ohne Kommentar oder differenzierte Analyse einfach nur aufgelistet oder oberflächlich gestreift. Die für diesen Teil der Arbeit zentrale Beobachtung, dass »moral instructions … operate as a tool to foster growth in moral virtue« (148), birgt keinen hohen Überraschungseffekt in sich. Wenn de W. D. im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Haustafelethik die reichlich zur Verfügung stehende Forschungsliteratur (D. Lührmann; M. Gielen; J. Woyke; H. von Lips u. a.) einfach un­berück­sichtigt lässt, so wirft das auf die Sorgfaltspflicht des Auslegers kein günstiges Licht. Das gilt auch für die Beschäftigung mit dem zentralen Begriff der »Paränese« (unberücksichtigt bleiben die Beiträge von W. Popkes, K. O. Sandnes und der von J. Starr und T. Engberg-Pedersen hrsg. Sammelband »Early Christian Paraenesis in Context«, Berlin-New York: de Gruyter 2004) sowie für de W. D.s Beobachtungen zum metaphorischen Sprechen im 1Petr; schon vor gut 15 Jahren haben sich Exegeten über den dabei häufig zu beobachtenden Zusammenhang von heuristischer und paränetischer Va­lenz Gedanken gemacht und entsprechende Forschungsergebnisse publiziert.
Das mit Spannung erwartete Finale der Untersuchung stellt Kapitel 7 mit dem Titel »Imitatio Christi« dar (163–191). Schon zu Beginn benennt de W. D. sein wichtigstes Ergebnis, dass nämlich der Autor des 1Petr das »moral example (παράδειγμα)« als »standard paraenetic literary strategy« einsetze (163), »by using Christ as an example to be both admired and followed« (ebd.). Leider kommt es auch in diesem Teil zu überlangen Zitaten aus den Werken Senecas, Plutarchs und des Isokrates, ohne dass eingehende Analysen durchgeführt oder Kommentierungen beigefügt werden, bevor sich de W.D. den Textabschnitten 1Petr 2,21–25; 3,18 und 4,1 widmet. Als sein wichtigstes Ergebnis der Textanalyse kann konstatiert werden: »At this point we are forced to acknowledge Χριστός ἔπαθεν as a reference to the whole of Christ’s passion, that is to his sufferings and his death, seen as a unit« (181). Bezogen auf die Beispielhaftigkeit heißt das: »the whole of the passion story is both redemptive and exemplary; throughout Christ is both savior and example« (185).
Als Abschluss der Studie hat de W. D. ein Kapitel 8 »Reflections and Prospects« (193–198) angefügt, das noch einmal den Weg der Untersuchung beschreibt und die Grundthese benennt: »theology and ethics function together to serve the author’s aim of encouraging growth in Christian character« (197). De W. D. macht un­ter der Überschrift »Prospects« auf folgenden Tatbestand aufmerksam: »More work remains to be done on how different passages function together paraenetically to render effective paraenesis and shape Christian character« (198). Dem kann (auch) nur zugestimmt werden. Es geht von ihr freilich eine ermutigende Anregung aus, die Begrifflichkeit des 1Petr und Berührungen mit zeitgenössischer philosophischer Paränese noch sorgfältiger zu analysieren.
Dem Textteil folgen ein Literaturverzeichnis (199–213) und hilfreiche Register – ein Textstellenregis­ter (215–221), ein »Index of Modern Authors« (222–223) sowie ein »Subject Index« (224–226). Eine kleine kritische Anmerkung zur Drucklegung: Durch fehlende Trennungen entstehen auf vielen Seiten große Wortabstände und damit ein unschönes Druckbild (vgl. 52.55.149).