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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

160-162

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Achenbach, Reinhard, Arneth, Martin, u. Eckart Otto

Titel/Untertitel:

Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronalen Logik diachroner Transformationen.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2007. VIII, 387 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 7. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-447-05634-2.

Rezensent:

Udo Rüterswörden

Der Sammelband vereint Studien, die als Vorarbeiten zu einer Einleitung in die Literaturgeschichte des Alten Testaments dienen, die 2008/09 erscheinen soll. Die Anlage des Sammelbandes lässt erwarten, dass dieses Projekt ein lange gehegtes Desiderat in Forschung und Lehre erfüllen wird. War die »Theologie des Alten Testaments« zu Zeiten Gerhard von Rads das stolze Flaggschiff unserer Disziplin, so schien sich in der Folge die Anbindung an die Entstehungsgeschichte der alttestamentlichen Schriften bitter zu rächen; in neueren Lehrbüchern ist die »Theologie« gleichsam eine Gratiszugabe zur Einleitung.
Der Sammelband stellt diese Relation vom Kopf auf die Füße: Mit dem Ringen um die Geltung der Tora entfaltet eine theologische Kernfrage die Gestaltungskraft, die dem Alten Testament seine uns vorliegende Form verleiht. Dies ist zunächst an dem Verhältnis der beiden Kanonteile »Tora« und »Propheten« festzumachen; nicht umsonst rahmt der Hinweis auf Dtn 34,10 »Und es stand hinfort kein Prophet in Israel auf wie Mose, den Jahwe er­kannt hätte von Angesicht zu Angesicht« (4.339) den Band. Den da­mit verbundenen Problemen geht R. Achenbach in seinem Beitrag: »Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr.« nach (26–71). »Der Pentateuch-Redaktor markiert in diesem Prozess mit Dtn 34, 10–12 einen epochalen Einschnitt, der einen Umbruch im Verständnis der Tora wie der Rolle des Prophetismus repräsentiert. E. Otto formuliert hierzu: »Mit Moses Tod ist eine Epoche der Offenbarung zu Ende gegangen, die so keine Fortsetzung finden wird … Wenn nach Moses Tod kein Prophet mehr sein wird wie er, so wird der Pentateuch von dem sich formierenden Prophetenkanon unter Einschluß der Vorderen Propheten als mit besonderer Dignität und Präferenz ausgestattet abgehoben.« (42) Dem Wechselspiel der Kreise, denen es um die Tora ging, und den Tradenten der Prophetie geht Achenbach anhand von Fallstudien aus dem Bereich der Vorderen Propheten und der Schriftpropheten nach. Auf den Umstand, dass dieses Wechselspiel mit Spannungen verbunden war, weist E. Otto, »Jeremia und die Tora. Ein nachexilischer Diskurs« (134–182) hin: »Gegen diese Abwertung der Prophetie durch die Autoren des nachexilischen Pentateuch wenden sich die Schriftgelehrten des nachexilischen Jeremiabuches und ziehen im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Reihe von redaktionellen Pfeilertexten u. a. in Jer 1; 26; 36, aber auch Jer 11 und Jer 31–32 in das Buch ein, in denen sie nicht nur die Verschriftungstheorie des Pentateuch der Kritik unterziehen, sondern vielmehr die gesamte Offenbarungstheorie des Pentateuch: Gott spreche auch nach Mose zu den Propheten, da das unmittelbare Handeln Gottes mit seinem Volk Israel nicht auf die mosaische Zeit beschränkt, sondern noch in der Zu­kunft zu erwarten sei.« (So E. Otto in der Zusammenfassung, 4)
Neben die Abhandlungen, die Überblicke bieten, tritt eine An­zahl von exegetischen Einzelstudien, vornehmlich von M. Arneth. Sie widmen sich den noachitischen Geboten (7–25), Hiskia und Josia (275–293) und behandeln »Die antiassyrische Reform Josias von Juda. Überlegungen zur Komposition und Intention von 2 Reg 23,4–15« (246–274). Ein wichtiger Gesichtspunkt ist der Nachweis des Aufbaus der untersuchten Passagen, wobei ein besonderes Augenmerk den Rahmungen und chiastischen Strukturen gilt. Von erheblichem Interesse ist der Hinweis auf Asarhaddons Kultreform in Babylon, deren Aufriss einige Analogien zu dem Reformbericht 2Reg 23,4–15 zeigt, die indes streckenweise nur durch eine Transformation zu gewinnen ist: »Zwar unterscheidet sich der ursprüngliche josianische Reformbericht schon durch die grundsätzliche Orientierung von dieser Auflistung, da es in ihm nicht um die Wiedereinsetzung von Kulten geht, sondern um ihre Austilgung. Aber auch in der Negation sind die Entsprechungen deutlich: …« (273). Die starken Gemeinsamkeiten im Bereich der formalen Aspekte legen die Annahme nahe, dass der Reformbericht sich an einem vorgeprägten Muster orientieren könnte; hier ist auf weitere Entdeckungen aus dem Bereich des Alten Orients zu hoffen.
M. Arneth sind die beiden einzigen Studien zu verdanken, die sich mit dem Kanonteil »Schriften« befassen: »Psalm 1: Seine Stellung im Psalter und seine Bedeutung für die Komposition der Bergpredigt« (294–309) und »Psalm 19: Tora oder Messias?« (310–339). Für Psalm 19 ist der Hinweis auf ein Lied Assurbanipals für den Sonnengott (KAR III,105) hilfreich; dem Thema des Sammelbandes gilt das Schlussfazit: »Die Alternative, für die Ps 19 und 2 Sam 23,1–7 stehen, lautet: Tora oder Messias! Dabei spielt es eine nicht unerhebliche Rolle, dass bereits die Zusammenstellung von 2 Sam 22* und 2 Sam 23,1–7 auf diesem Diskurs-Hintergrund erfolgt sein dürfte, denn schon ihre Kombination läßt sich – ausweislich der Überschriften 2 Sam 22,1; 2 Sam 23,1 – als Gegenstück zu den Mose-Psalmen in der Tora auffassen (Dtn 32 [cf. Dtn 31,30]; Dtn 33,1). Der Verfasser von Ps 19 hat diese Tendenz zumindest abgebremst. Gegen die Vorstellung vom König-Messias als eines exemplarischen Frommen bzw. als eines erfolgreichen Kriegshelden – u. a. wesentliche Themen von Ps 18; 20; 21 – geht sein religiöses Empfinden nicht. Vielmehr wird man in dem Beter Ps 19,12–15 gerade auch den König-Messias als vorbildlichen Jahwe-Frommen erblicken dürfen. Der Widerspruch des Autors von Ps 19 hat sich vielmehr an einer Facette des Messiasbildes entzündet: an der traditionellen Königsfunktion der Etablierung von ›Gerechtigkeit‹ – das ist allein Sache der Tora – und an dem in 2 Sam 23,2.3a gezeichneten Bild Davids als eines im unmittelbaren Kontakt zu Jahwe stehenden Propheten. Für den Verfasser von Ps 19 gilt unumstößlich: ›Und es stand hinfort kein Prophet in Israel auf wie Mose, den Jahwe erkannt hätte von Angesicht zu Angesicht‹ (Dtn 34,10).«
Unter den Einzeluntersuchungen sind R. Achenbachs Studie zu Jes 61 (196–244) und E. Ottos Beiträge zu Jes 6 (183–195) und zur Paradiesgeschichte (122–133) zu nennen. Bis zu den Qumrantexten verfolgt E. Otto den thematischen Faden in: »Die Rechtshermeneutik im Pentateuch und in der Tempelrolle« (72–121).
Gemäß dem Titel der projektierten Einleitung geht es um eine Literaturgeschichte, in der mit nicht enden wollenden Wachstumsprozessen zu rechnen ist. So rechnen nach R. Achenbach fast alle historisch argumentierenden Bibelexegeten zumindest mit einer gewissen Anzahl von Nachträgen und Zusätzen zu dem »fertigen« Werk (28 f.), und E. Otto hat den charakteristischen, aber nicht unbedingt logischen Terminus »postendredaktionell« geprägt (87). In einem Passus, der von angelsächsischen Kolleginnen und Kollegen gern zitiert wird, hatte sich S. Niditch schon über Wellhausens Vierquellentheorie lustig gemacht, und die Frage nach dem technischen Vorgang von Redaktionsprozessen stellt die offene argumentative Flanke nicht nur für den Verfasserkreis dieses Sammelbandes dar (S. Niditch, Oral World and Written Word, Louisville, Kentucky 1996, 113).
So sind für die Redaktoren einige Annahmen formuliert, die sie fast als Vertreter der (Post-)Moderne erscheinen lassen. Dazu gehört die Linearität der Leserichtung, die ausdrücklich nicht mit einem wiederholten Lesen rechnet (E. Otto, 93.75, Anm. 8). Zudem weisen die Texte zielstrebig auf ihre eigene Diachronie hin: »Der antike Leser ist seinerseits durch das synchron gelesene Narrativ der wechselseitig diachron in der Dialektik von auslegendem und ausgelegtem Text aufeinander bezogenen Rechtstexte angehalten, die immanente Textdiachronie zu verstehen. Damit sind auch im Narrativ des Pentateuch die diachronen Produktionsprozesse der biblischen Texte richtig erfaßt.« (E. Otto, 98) Die Idee der mosaischen Verfasserschaft ist dann ein postkanonischer Betriebsunfall; der historisch-kritischen Exegese fiel das traurige Los zu, sich an diesem Problem abarbeiten zu müssen (77). Das Problem ist nur, dass eine derartig intendierte Diachronie erst nach über 2000 Jahren intensiver Auslegung am Horizont erscheint.
Ein weiteres Konzept verbindet sich mit dem Terminus »Dis­kurs«, teilweise in Anführungszeichen gesetzt, teilweise ohne (E. Otto, 179 ff.). Wie ein Hin-und-Her verschiedener Positionen aussieht, veranschaulicht eindrucksvoll das Schaubild auf S. 146.
Die Vermittlung von Synchronie und Diachronie, die sich im Untertitel des Bandes ankündigt, vollzieht sich um den Preis eines recht modern anmutenden Bildes alttestamentlicher Buchrollenschreiber und ihres Lesepublikums. In diesen Fragen ist die Arbeit von J. Carr hilfreich, allerdings nicht für die rezente deutschsprachige Forschung (David M. Carr, Writing on the Tablet of the Heart, Oxford 2005).