Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

129-130

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Nauer, Doris

Titel/Untertitel:

Seelsorge. Sorge um die Seele.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 320 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 22,00. ISBN 978-3-17-019117-4.

Rezensent:

Birgit Weyel

»Seelsorge«. Puristisch und weit ausgreifend zugleich klingt der Titel der Seelsorgelehre von Doris Nauer. Die katholische Theologin lehrt Praktische Theologie und Diakonische Pastoral an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar in der Nähe von Koblenz. Im Jahr 2001 legte sie ein Kompendium der Seelsorgelehre vor. In gewisser Weise kann das hier vorgelegte Buch als eine Fortschreibung des Kompendiums betrachtet werden. Unter dem Obertitel »Seelsorgekonzepte im Widerstreit« hatte N. eine nahezu Schwindel erregende Fülle von Theoriekonzepten versammelt, de­ren Schnittmengen sie auszuloten versuchte. Ihr Interesse lag weniger darin, den Widerstreit weiter voranzutreiben, als vielmehr Verbindendes herauszuarbeiten. Eben dieses Interesse verdichtet N. in ihrem neuen Buch zu einem konzeptionellen Ansatz, den sie selbst mit dem Begriff der Multidimensionalität verbindet. Deutlich erkennbar hat die Pluralisierung der Praxissituationen, in denen die Seelsorge ihren Ort hat, und die Vervielfältigung der beruflichen Kontexte auf diesen konzeptionellen Ansatzpunkt der Seelsorgetheorie zurückgewirkt.
In ihrer Einleitung, die den Titel »Wegmarkierungen« trägt, entwickelt N. den Begriff der Glaubwürdigkeit als »Leitkategorie«. Seelsorge sollte sich sowohl durch ihre »Traditionsverwurzelung« (14) als auch durch Zeitgemäßheit (»Seelsorge auf der Höhe der Zeit«; 15) ausweisen. Die »Begriffsproblematisierungen«, die sich an­schließen (23 ff.), sind ebenfalls noch dem einleitenden Teil zuzurechnen. Hier entwickelt N. ein Verständnis von Seele und Seelsorge, das beides miteinander verbinden soll: eine biblisch-theologische mit einer zeitgemäßen Auslegung von Seele in jüdisch-christlicher Tradition und christlicher Seelsorge.
Der Hauptteil zum Thema »Glaubwürdige Seelsorge« zeigt deutlich, dass eine theologische Fundierung für N. Priorität hat. In der Fokussierung auf das Gottesbild (Gott als Schöpfer und Vater Jesu Christi) wird ein theologisch bestimmtes »multidimensionales geheimnisvolles Gottesbild« (101) entwickelt, dem das Menschenbild (145: »Multidimensionales geheimnisvolles Menschenbild«) einer theologischen Anthropologie entsprechend zugeordnet wird. Der Geheimnischarakter soll die eschatologische Vor­läufigkeit wissenschaftlicher, und zwar auch theologischer, Bemühung erinnern und vor dem Irrtum bewahren, die Seele des Menschen als Ganze entschlüsseln zu wollen.
Dem Ansatz der Multidimensionalität treu, schließen sich an den theologischen Grundlegungsteil Ausführungen über Dimensionen (mystagogisch-spirituell, pastoralpsychologisch-ethisch und diakonisch-prophetisch) der Seelsorge an, die sowohl Inhalte als auch Zielsetzungen der Seelsorge bezeichnen. Ein deutlich kürzeres Kapitel zum Thema Alltagspraxis fächert verschiedene Ar­beitsschwerpunkte seelsorgerlichen Handeln auf. Ausführlich werden schließlich die Kompetenzanforderungen an den Seelsorger und die Seelsorgerin dargestellt, die wiederum auf die angesprochenen Schwerpunkte der Alltagspraxis zurückbezogen werden. Damit ist der Hauptteil abgeschlossen und nur noch eine Summe des eigenen Konzeptes der »[m]ultidimensionale[n] Sorge um die Seele« (281–293) angeschlossen.
Die Übersicht über den Inhalt zeigt, dass ein deutliches Schwergewicht auf der Theologie liegt, zugleich aber die Pluralisierung gegenwärtiger Seelsorgeansätze und die Vielfalt von Seelsorge in der modernen Gesellschaft im vollen Umfang wahrgenommen werden sollen. Die theologische Nachfrage führt also nicht etwa zu einem Komplexitätsverlust, auch wenn psychologische (besonders religionspsychologische) Themen zurücktreten. In dieser theologischen Fundierung hat N.s Buch seine Stärke. Ein großer Gewinn ihrer Darstellung liegt zudem darin, dass sie sowohl evangelisch-theologische als auch katholisch-theologische Literatur zum Thema ohne große Umstände miteinander ins Gespräch bringt. Während die Diskurse ansonsten häufig nur punktuell miteinander Kontakt aufnehmen, arbeitet N. konsequent alles, was ihre Themenstellung betrifft, in die Darstellung mit ein.
Als implizite Leser dürfte N. Theologen und Theologinnen, aber auch Laien im Blick haben, die im weitesten Sinne in der Praxis stehen und sich dazu anleiten lassen, über ihr eigenes Verständnis von Seelsorge nachzudenken, sich auf blinde Flecken der eigenen Wahrnehmung aufmerksam machen zu lassen und auch praktische Hinweise auszuprobieren. Sehr konkrete Ratschläge und schematische Schaubilder im Format von Folien signalisieren ebenso wie die resümierenden Passagen, dass N. einen sehr breiten Leserkreis im Blick hat. Tatsächlich wirbt der Klappentext damit, dass das Buch kein Lehrbuch der Seelsorge sein will, sondern »als eine Art Theorie-Praxis-Baukasten zur Vergewisserung des eigenen Seelsorgekonzeptes genutzt werden« soll. Damit sind zugleich aber die Schwächen angesprochen, die das Buch in wissenschaftlicher Hinsicht hat. Wie schon in ihrem Kompendium verbindet N. eine Fülle von durchaus unterschiedlichen Theoriekonzepten miteinander, ohne diese deutlich genug in ihrem je eigenen Kontext zu interpretieren. Was man also durchaus vermissen kann, ist eine Konzentration auf das Wesentliche, die sich mit einer Analyse verbindet. Auch eine programmatische Multidimensionalität kommt nicht ohne eine gewisse Tiefenschärfe aus. Leider reicht die Dar­stellung aber zum Teil über Aufzählungen und collagenhafte Zu­sammenstellungen nicht hinaus. Die Stärke dieses Buches liegt klar in der Übersichtlichkeit und der weiten Öffnung gegenüber vielen möglichen Aspekten, die sich mit einem selbstbewussten Verständnis des christlichen Propriums in der Seelsorge verbindet.