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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

48-50

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Waltke, Bruce K.

Titel/Untertitel:

A Commentary on Micah.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2007. XVIII, 490 S. gr.8°. Geb. US$ 34,00. ISBN 978-0-8028-4933-5.

Rezensent:

Burkard M. Zapff

Mit der ausführlichen Kommentierung des Buches des Propheten Micha liegt ein neuer englischsprachiger Kommentar zu dieser wichtigen Schrift im Zwölfprophetenbuch vor. Nach einer euphorischen Beurteilung auf der Umschlagrückseite ist das in dieses Werk investierte Geld gut angelegt. So erweckt die Kommentierung nicht zuletzt auch angesichts der stürmischen Entwicklung der Zwölfprophetenforschung, bei der das Buch Micha eine wichtige Rolle spielt, hohe Erwartungen. Dazu gehört nicht nur eine philologisch gründliche, sowohl synchrone wie diachrone Aspekte be­rücksichtigende Exegese, sondern auch eine Analyse, die die Entstehung des Buches Micha unter Beachtung seiner Einbettung ins Zwölfprophetenbuch darzustellen sucht. Bei zahlreichen Stärken, die der Kommentar durchaus zu bieten hat, wird – dies sei bereits vorweg gesagt – der Leser jedoch in den beschriebenen Erwartungen zum Teil herb enttäuscht.
Zur Anlage des Kommentars: Seine Zielsetzung beschreibt ein kurzes Vorwort auf S. X. Demnach soll der Text mittels der »grammatico-historical method« interpretiert werden. Darunter versteht W. eine Analyse des historischen Kontextes des Buches, der Textkritik, der Semantik und Syntax, der Redefiguren, der rhetorischen Techniken sowie seiner literarischen Form. An zweiter Stelle steht das Ziel, aufzuweisen, was das Buch Micha für die zeitgenössische Kirche bedeutet. Insofern versteht sich der Kommentar nicht lediglich als streng wissenschaftlich, sondern zugleich als Hilfe für jeden, der konkrete Anregungen zur Predigt über das Buch Micha wünscht. Angesichts der Tatsache, dass viele gestresste Seelsorger und Seelsorgerinnen den zu leistenden Transfer von einer wissenschaftlichen Exegese zur Predigt oft als recht schwierig empfinden, ist dies ein gewiss lobenswerter Ansatz. Erreichen will W. dies durch die Berücksichtigung der Rolle, die das Buch Micha innerhalb des Kanons der Heiligen Schrift spielt, sowie den Aufweis der Korrespondenz zwischen seinem historischen Horizont und dem Horizont der zeitgenössischen Kirche.
Interessant ist die auf S. X von W. vorgenommene hermeneutische Positionierung. Demnach will er sich durch die vom Buch selbst vorgenommene Datierung (gemeint ist wohl die Königschronologie in Mi 1,1) leiten lassen. Gleichzeitig weist er das »profane Vorurteil« (»secular prejudice«) zurück, wonach es keine auf die Zukunft gerichtete Prophetie, sondern nur vaticinia ex eventu gebe und eine übernatürliche Prophetie (»supernatural prophecy«) nicht möglich sei. W. berührt hier eine Grundlage historisch-kritischer Prophetenexegese, worüber umfangreichere Ausführungen wünschenswert wären; nicht zuletzt deshalb, weil bei der Lektüre bisweilen der Eindruck entsteht, es handle sich eher um Glaubenszeugnisse als um eine sich an allseits anerkannten wissenschaftlichen Kriterien orientierende Exegese. Dies ist beispielsweise auf S. 207 der Fall, wo W. die Auffassung vertritt, dass – unter christlicher Perspektive – die Zionswallfahrt in Mi 4,1–4 so zu interpretieren sei, dass Micha nicht ein universales »fleischliches« (»carnal«) Königtum im Blick habe, vielmehr ein geistliches, das im Himmel beginne, auf das Gesetz des Himmels bezogen sei und himmelwärts wandere. Besonders »zeitgenössisch« wird W.s Interpretation, wenn er sich ausgehend von der Gegenüberstellung Babylon-Zion zu der Bemerkung hinreißen lässt: »In many respects the United Nations building in New York City is a long shadow of the Tower of Babylon, whereas the church is united with the Prince of Peace and shows the way of lasting peace.« (211)
An die einführenden Überlegungen schließt sich nach einem Abkürzungsverzeichnis eine kurze Hinführung zur Gestalt des Propheten, zu dem historischen Hintergrund seiner Prophetie, der Datierung des Buches und seiner Verfasserschaft an, die schließlich in Hinweisen zur Form und Struktur, sowie zur Gestalt des Textes mündet (1–19). Die – neueren Erkenntnissen zufolge – dtr Einflüssen zuzuweisende Chronologie der Überschrift wird dabei fraglos für die Datierung der Prophetie des Micha übernommen (742–686 v. Chr.). Davon ausgehend folgen Ausführungen über die zeitgenössische politische Situation in Syropalästina, insbesondere das assyrische Vordringen in diesen Raum. Bevor er auf die Autorenschaft des Micha zu sprechen kommt, wendet sich W. nochmals gegen den bereits erwähnten Ausschluss einer auf Zukunft gerichteten Prophetie seitens der historisch-kritischen Exegese (9). Von daher stellt er den – in der deutschen Exegese – weithin geltenden Konsens in Frage, wonach Mi 2,12–13; 4,1–5,9 und 7,8–20 nicht auf den historischen Micha zurückzuführen sind. Er kommt zu dem Schluss: »There is nothing in 5:6–8(7–9) and 7:8–20 to rule out an eighth-century provenance« (13). Das sich hier stellende Problem ist jedoch weniger das der Erklärung der genannten heilsprophetischen Texte als vaticinia ex eventu – schließlich nimmt hier der Prophet nicht auf ein bereits geschehenes Ereignis Bezug –, als vielmehr die Frage, ob Motivik und Sprachgestalt alttestamentlicher Heilsprophetie tatsächlich bereits auf die Situation der vorexilischen Zeit hinweisen oder nicht vielmehr, wie gerade Deuterojesaja zeigt (diesen Vergleich lehnt W. ohne Begründung ab, vgl. 13), in einer Zeit anzusetzen sind, in der sie einem zutiefst erschütterten Volk neue Hoffnung und Zukunft eröffnen wollten. Dabei entzieht es sich meiner Einsicht, was überhaupt theologisch damit gewonnen sein sollte, die Heilsprophetien im Michabuch unbedingt dem Propheten des 8. Jh.s zuschreiben zu wollen.
Das sich anschließende Literaturverzeichnis ist umfangreich und enthält – für amerikanische exegetische Arbeiten eher ungewöhnlich – eine Vielzahl nicht-englischsprachiger Literatur. Überhaupt ist W. das Bemühen anzumerken, möglichst viele Autoren zu Wort kommen zu lassen. Neuere deutsche und englischsprachige Arbeiten (z. B. J. Nogalski, BZAW 217/218) zur buchübergreifenden Interpretation des Michabuches im Kontext des Zwölfprophetenbuches werden hingegen nicht zitiert, wie überhaupt dieser neue Ansatz der Zwölfprophetenforschung im Kommentar keine Berücksichtigung findet. Naturgemäß ist das die Konsequenz, wenn man wie W. davon ausgeht, dass das gesamte Buch (samt Überschrift!) vom Propheten des 8. Jh.s stammt.
Die eigentliche Exegese orientiert sich an folgendem Schema: Einer Übersetzung des Textes – entsprechend den Sinnabschnitten– schließt sich eine Wort-für-Wort Exegese an, die auch syntaktische Fragen und abweichende Versionen von LXX, Targum, Pe­shitta und Vulgata ausführlich berücksichtigt. Von dieser mit großer Exaktheit durchgeführten Analyse dürfte der Leser am meisten profitieren. Ein dritter Teil, mit »Exposition« überschrieben, beinhaltet eine formale Analyse und eine Zusammenfassung der theologischen Aussagen vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Textes. Hier fällt nicht zuletzt die intensive Auseinandersetzung W.s mit der Sekundärliteratur auf. Das Ganze mündet in eine Aktualisierung, in die, wie bereits kurz gezeigt, die christliche Überzeugung W.s einfließt. So findet sich etwa am Ende der Interpretation von Mi 1,2–7 folgende aktuelle Übertragung: »Unless nations de­throne the new temples erected to Mammon in the great metropolises of the world, they will all fall together at last when the figurative language of I’AM’s [in dieser Form wird durchgängig der Gottesname wiedergegeben, Anm. von mir] epiphany in vv 3–4 shall be most exactly fulfilled at the appearing of the Lord Jesus Christ in blazing fire with his powerful angels from heaven (2Thess 1:7–10).« (61)
So bleibt ein zwiespältiger Eindruck. In jedem Fall handelt es sich um einen philologisch detailreichen und informativen Kommentar, der jedoch neuere Erkenntnisse der Micha- und Zwölfprophetenforschung vermissen lässt und damit einem Profil der prophetischen Botschaft und des Propheten verhaftet bleibt, das mit dem des historischen Micha wohl wenig zu tun hat. Die Aktualisierungen wirken bisweilen ein wenig aufdringlich und entsprechen eher dem Stil einer freikirchlichen Erweckungspredigt.