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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

968–970

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Banaawiratma S. J., Johannes Baptista u. Johannes Müller

Titel/Untertitel:

Kontextuelle Sozialtheologie. Ein indonesisches Modell

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1995. 237 S. 8° = Theologie der Dritten Welt, 20. Kart. DM 39,80. ISBN 3-451-23631-1

Rezensent:

Olaf Schumann

Theologie kann nur in einem Beziehungsrahmen betrieben und entwickelt werden: "im Kontext von Gemeinde und Glaubensgemeinschaft" (23). Daher ist der Ort christlicher Theologie "die christliche Gemeinde, die das Evangelium Jesu Christi in der konkreten gesellschaftlichen Situation leben und bezeugen will" (ebd). Das führt sie über sich hinaus in die Umwelt, in die Gesellschaft, in deren Mitte sie lebt und an deren Leben sie partizipiert. Will die Kirche selbst an ihrem Ort relevant sein, so muß ihre Theologie relevante Aussagen über diesen Ort formulieren können und gleichzeitig die Rolle beschreiben, die sie an diesem Ort zu übernehmen gedenkt. Wenn auch nicht der einzige, so ist der konkrete Ort der Gemeinde in der Welt und der Geschichte doch ein entscheidender "locus theologicus" (23).

J. B. Banawiratma S. J., 1946 in der Nähe der alten Residenzstadt Yogyakarta in Mittel-Java geboren, hatte in seiner Heimatstadt Philosophie, Pädagogik und Theologie studiert und seine Studien 1970 mit einer Promotion in Innsbruck abgeschlossen Mit dem aus Deutschland stammenden Mitvf. dieses Buches, ebenfalls einem Jesuiten, und anderen Ordensbrüdern hatte er sich nach seiner Rückkehr nach Indonesien und neben seiner Lehrtätigkeit an der (jetzigen) Katholischen Universität in Yogyakarta den Entwicklungsfragen in seiner Heimat und ihrem Kernproblem, der Verarmung der Bevölkerung, zugewandt. Angeregt durch das II. Vatikanische Konzil und die nach dem Machtwechsel in Indonesien von dem neuen Staatschef, General Soeharto, 1967 verkündete und ebenfalls entwicklungsorientierte "Neue Ordnung" waren auch die religiösen Gemeinschaften in Indonesien, unter ihnen Katholiken und Protestanten, aufgefordert, ihre Klientel zur Beteiligung am Aufbau zu motivieren. Anhaltende Konflikte mit der Regierung über Zielvorstellung und Methodik des Aufbaus, die u.a. Anfang der 70er Jahre zur Inhaftierung von 41 katholischen Sozialpriestern in Mittel-Java führten, mahnten zur Vorsicht und auch zu einer gewissen, wenn auch nach wie vor von Sympathie geprägten, Distanz zur Theologie der Befreiung in Lateinamerika und riefen nach einer eigenständigen theologischen Begründung, warum auch hier die theologische Orientierung sich für die "Option für die Armen" entschieden hat.

Für die Vff. stellte sich auch die Frage, wie im Rahmen der theologisch-philosophischen Ausbildung die künftigen Priester und geistlichen Führer der Gemeinden praktisch nicht nur "konszientialisiert" (ein Begriff aus der Pädagogik der Befreiung, z.B. Freire; Bewußtsein und Gewissen wachrufen), sondern auch befähigt werden, die Option für die Armen selbst in ihrer pastoralen Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen und damit ­ und dies ist ein cantus firmus durch das ganze Buch hindurch ­ in die Nachfolge Jesu und seiner Option einzutreten. Das vorliegende Buch, ein pädagogischer Leitfaden allerdings nicht nur für Theologiestudierende, sondern für alle, denen der soziale Kontext, in dem sie ihre christliche Existenz zu bewahren haben, wichtig ist, ist als ein Ergebnis dieser Bemühungen zu verstehen. Die angestrebte "Sozialtheologie" ist in weiterem Sinne eine kontextuelle Theologie bzw. eine Art "Fundamentaltheologie", in engerem Sinne "eine spezielle Theologie" (25). Sie steht am Ende des Buches in klaren Umrissen vor Leser und Leserin, auch wenn sie zur Erhebung ihres eigenen kontextuellen Umfelds noch einiges selbst beitragen müssen.

Die drei Hauptteile (Verständnis und Methode der Sozialtheologie, Soziale Analyse, Grundlegende Aspekte einer sozialen und theologischen Reflexion) sind in insgesamt 12 Kapiteln unterteilt: Teil I,1. Verständnis der Sozialtheologie; 2. Von der Soziallehre der Kirche zur Kontextuellen Theologie; 3. Methode, Prozeß und Programm der Sozialtheologie; II,4. Sammlung von Daten und Informationen; 5. Verständnis und Schritte der sozialen Analyse; III,6. Religion und Gesellschaft ­ Glaube und Welt; 7. Entwicklungsverständnis und Reich Gottes; 8. Armut und "die vorrangige Option für die Armen"; 9. Strukturelle Armut ­ Strukturen der Sünde; 10. "Kultur der Armut" und Leben aus dem Glauben; 11. Armut als ökonomisches und ökologisches Problem; und 12. Die politische Dimension der Praxis der Kirche.

Jedes Kapitel folgt einem ähnlichen Aufbau. Am Anfang steht eine Einführung in die im jeweiligen Subtitel genannte spezielle Problematik, wobei sowohl das intensive und durchaus auch kritische Gespräch mit den Sozialwissenschaften sowie der nichtkatholischen Ökumene und ihrer seit "Vancouver 1982" besonders durch die "Bundesschluß"-Thematik geprägten Theologiegepflegt gepflegt wird als auch die Orientierung und ggf. Auseinandersetzung mit den offiziellen Verlautbarungen der (katholischen) Kirche zu gesellschaftlichen Problemen seit "Rerum Novarum" bis zu "Centesimus Annus" hervortritt (ein Überblick über die päpstlichen Verlautbarungen bes. in I,2). Der kontextuelle Hintergrund, nämlich die Situation in Indonesien, der die Ausführungen paradigmatisch begleitet, ohne sie jedoch in einer Weise zu dominieren, die die Anwendung auf andere Kontexte erschweren könnte, führt auch wiederholt in das Gespräch mit muslimischen (Religions-)Soziologen, so daß sich auch in diesem Bereich eine ausführliche interdisziplinäre und interreligiöse Diskussion anbahnt, die die gemeinsamen Erfahrungen widerspiegelt, die in gemeinsamen Aktionsgruppen besonders in ländlichen Gebieten in Mittel-Java von beiden Seiten bisher gemacht wurden.

Das pädagogische Anliegen, das beide Seiten mit diesem Buch verfolgen, kommt am Ende eines jeden Kapitels durch gezielte Fragen an die Leser, die ihnen bei der Analyse ihres eigenen Kontextes helfen sollen, zum Ausdruck.

Auch wenn in Deutschland die sozialen Probleme, die dringend einer Lösung bedürfen und mehr Engagement seitens der Kirche(n) und ihrer Theologien fordern, anders definiert werden sollten als in diesem Buch, so ist es dennoch eine substantielle Hilfe für alle, denen die Ausbildung einer für die Kirche (die katholische wie die evangelische) relevanten und für die Theologie glaubwürdigen "Sozialtheologie" mehr ist als nur ein Anliegen geschäftiger Alltagsroutine. Auch ansonsten weniger mit den theologischen Problemen der außereuropäischen Ökumene befaßte Theologen werden dieses auch an exegetischen Einsichten reiche Buch mit Gewinn lesen, und die "Fach-Ökumeniker" dürfen sich über ein neues Werk in dieser renommierten Reihe freuen, das die bisherige Tradition würdig fortsetzt.