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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1226–1227

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hurth, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Between Faith and Unbelief. American Transcendentalists and the Challenge of Atheism.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. VIII, 219 S. gr.8° = Studies in the History of Christian Traditions, 136. Geb. EUR 99,00. ISBN 978-90-04-16166-5.

Rezensent:

Hermann Deuser

»There was ›a great deal more religion in a few lines of Xenophon, than in a whole course of Eichhorn.‹« (11) – Gemeint ist der Göttinger Professor Johann Gottfried Eichhorn, Vertreter des »higher crit­icism«, der konsequenten historisch-kritischen Methode um die Wende zum 19. Jh.; und geschrieben hat diesen Satz (1820) George Bancroft, amerikanischer Student und Vertreter jener »Harvard-Göttingen men«, deren unitarisch-supranaturalistischer Glaube an der deutschen Bibelkritik strandete. Bancroft und zahlreiche andere Repräsentanten einer neuen theologischen Epoche im Neuengland des 19. Jh.s werden international gesehen unbekannt bleiben, nicht aber der eine große Name der transzendentalistischen Bewegung, ihr literarischer Kopf und Maßstäbe setzendes Vorbild: Ralph Waldo Emerson. Es waren Kirchen- und Theologiekritik (gegen traditionellen Calvinismus und Unitarismus), moderne Bibelforschung und die breite Rezeption der philosophischen, theologischen und literarischen Debatten in Deutschland und Europa, die den (amerikanischen) Geist der Zeit zu einer einmaligen Gestalt bestimmten, zu der Europa selbst nicht in der Lage war. Deshalb signalisiert »Transzendentalismus« nicht etwa die Herrschaft der Transzendentalphilosophie, sondern Idealismus und Romantik, die beseelte Natur und historische Forschung, das Festhalten am Gottesglauben und der Menschheitsreligion Christentum.
Das Buch von H., im Überschneidungsfeld von Geistes- und Theologiegeschichte, Amerikanistik und Systematischer Theologie geschrieben, bietet acht ausgesprochen lesenswerte Detailstudien zur Rezeption vor allem der deutschen intellektuellen Konflikte um den Kirchen- und Religionsglauben durch Vertreter des amerikanischen Christentums bzw. einer sich teilweise abzeichnenden (atheistischen) Säkularisierung. Besonders einprägsam ist der Kampf um die Integration der Bibelkritik, von der semitischen Philologie in Göttingen über die Wunderdiskussion bis zu D. F. Strauss’ »Leben Jesu« und dem neuen Mythosbegriff – soweit sind die Dinge auch aus der deutschen Forschungs- und Diskussionslage lebendig und vergleichbar. Dass und wie aber Neuengland auf Schleiermacher, Feuerbach, Naturmystik (in der Tradition J. Böhmes) und Schopenhauer reagierten, ist eher unbekannt geblieben. Verlauf und Ergebnis dieser Adaptionsprozesse sind besonders interessant, und im Spiegel vieler Dokumente seiner Zeitgenossen und Mitstreiter, die in diesen Kontexten ausgewertet werden, ist es immer wieder Emerson selbst, der aus dem Hintergrund der Zeitschriften- und Universitätsdebatten in den Vordergrund tritt und die großen Linien repräsentiert: 1. Schleiermachers »experiential theology« wird mit, neben und gegen die rein historisierende Bibelkritik nach Neuengland übermittelt und führt zu einer »spir­itual epistemology« (14). Emersons Antwort lautet: »God is within us« (20). – 2. In der Wunderfrage verwirft Emerson sowohl die ortho­dox-objektive wie die »atheistische« Rhetorik (34 f.) zu Guns­ten einer »intuitive religion« (35). – 3. Diese (innere) Religiosität findet weiter ihr maßgebendes Vorbild in der »wahren« Menschheit Jesu (47); und diese hat lebensorientierend praktische Züge, die in Jesus als »poetic symbol« gehalten sind (81). – 4. Entsprechend zwiespältig fallen die Reaktionen auf (atheistische) Autoren wie Feuerbach aus: Die tief individuelle Religiosität ist nicht als selbstgemachte Projektion zu erklären, sondern setzt umgekehrt voraus, dass »God exists ›out of me‹« (112 [Emersons Essay »Nature«, 1836]) .– 5. So sprechen in (naturmystischen) Traditionen poetische Zeichen für die imaginative Kraft des Religiösen (165 ff.), die überzeugender ist als der »German-influenced … atheism« linkshegelia­nischer Einwanderer (101); und das gilt letztlich auch gegenüber der pessimistischen Haltung Schopenhauers (182).
H.s Studienarbeit verfolgt auch ein systematisches Interesse, zuletzt aufgedeckt in der kritisch abwägenden Frage: Sind nicht doch Emerson und der amerikanische Transzendentalismus nur ein Exempel für das, was K. Barth aller modernen Theologie als »apotheosis of man« (202) vorgehalten hat? Die begründete Antwort lautet: Auch wenn Unglaube und Atheismus, als Vorwurf von außen wie als Diskussionspartner von innen, ständige Gäste in dieser Epoche waren, durchgesetzt hat sich etwas anderes: Natur, Seele und Gott haben sich in dieser genuin amerikanischen Schulbildung doch nicht auseinanderdividieren lassen: »the immediate presence of the Deity is a firm anchor of an optimistic faith in man« (203).