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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1076–1077

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jonge, Henk Jan de, and Johannes Tromp [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Book of Ezekiel and its Influence.

Verlag:

Hampshire: Ashgate 2007. XIV, 218 S. gr.8°. Geb. £ 50,00. ISBN 978-0-7546-5583-1.

Rezensent:

Thomas Hieke

Dieser Sammelband dokumentiert die Kurzvorträge, die auf einer Konferenz des gemeinsamen Seminars für Biblische Studien der Universitäten Oxford und Leiden zum Titelthema 2004 in Leiden gehalten wurden. Im Wesentlichen geht es um den Einfluss des Ezechielbuches auf die biblische und nicht-kanonische Literatur. Dafür werden einige interessante Beispiele mit durchgehend großer Kompetenz präsentiert.
Noch immer ist der Anteil des historischen Propheten an dem nach ihm benannten Buch umstritten. Im ersten Beitrag nimmt Matthijs J. de Jong (Ezekiel as a Literary Figure and the Quest for the Historical Prophet, 1–16) klar Stellung: Die Figur »Ezechiel« ist ein literarisch-theologisches Konstrukt und die Prophetie des Buches ein vaticinium ex eventu, um die eigentliche Botschaft – die Wiederherstellung Israels und Jerusalems – umso glaubwürdiger zu präsentieren. Damit schließt sich de Jong ausdrücklich an die Position von J. Becker an. Eine genauere Datierung unternimmt er nicht. Paul M. Joyce dagegen (Ezekiel 40–42: The Earliest ›Heavenly Ascent‹ Narrative?, 17–41) nimmt zumindest für Ez 40–42 als frühestem Bericht einer »Himmelsreise« (im Vergleich zu äthHen 14) eine Entstehungszeit vor 515 v. Chr. an. Die weiteren Beiträge steigen nun in die Rezeptionsgeschichte des Ezechielbuches oder des Namens »Ezechiel« ein. So widmet sich Arie van der Kooij (The Septuagint of Ezekiel and the Profane Leader, 43–52) dem Vergleich von Ez 21,30–32 MT und Ez 21,25–27 LXX: Der LXX-Text scheint dabei konkret die Herrschaft der Makkabäer stützen zu wollen. – Ein anderer Ezechiel (der »Tragiker«) schrieb eine biblische Nacherzählung, und Pierluigi Lanfranchi (Moses’ Vision of the Divine Throne in the Exagoge of Ezekiel the Tragedian, 53–59) nimmt den Abschnitt in den Blick, da Mose in einem Traum den Thron Gottes sieht.
Zurück zum Buch Ezechiel: Eine der bekanntesten Visionen ist die von der Wiedererweckung der Totengebeine in Ez 37. Johannes Tromp (›Can These Bones Live?‹ Ezekiel 37:1–14 and Eschatological Resurrection, 61–78) zeigt, dass trotz des verbreiteten Glaubens an die Auferstehung der Toten im Frühjudentum dieses ezechielische Bild erst seitens der Christen ab dem 2. Jh. n. Chr. als Vorstellung für »Auferweckung« eingesetzt wurde.
Die nächsten Beiträge gehen auf Spuren des Ezechielbuches in neutestamentlicher Literatur ein. Der erste Befund ist negativ: Henk Jan de Jonge (Sodom in Q 10:12 and Ezekiel 16:48–52, 79–86) rechnet nicht damit, dass Q 10,12 etwas mit der Ezechielstelle zu tun habe. Damit mag er Recht haben; unverständlich bleibt aber, dass de Jonge mit keinem Wort die kritische Ausgabe von Q (J. M. Robinson; P. Hoffmann, J. S. Kloppenborg, The Critical Edition of Q, Leuven 2000) erwähnt und bis auf einen Titel nur Literatur vor dem Jahr 1997 anführt. Dass das Ezechielbuch (bis auf die Offenbarung des Johannes) im Neuen Testament keine große Rolle als Be­zugstext spielt, konstatiert zunächst auch Christopher M. Tu­ckett (The Parable of the Mustard Seed and the Book of Ezekiel, 87–101). Dann aber sieht er deutliche Berührungen zwischen dem Gleichnis vom Senfkorn und Ez 17,23LXX und 31,6LXX. Auch die implizite Christologie in der Rede Jesu vom Wiederaufbau des Tempels (Mk 14,58) ha­be eine allgemeine Parallele in der Tempel­vision am Ende des Ezechielbuches. Möglicherweise hat also das Ezechielbuch doch einen größeren formativen Einfluss auf die Verkündigung Jesu. Das gilt auch für die Theologie des Paulus. Wie Harm W. Hollander (›A Letter Written on Tablets of Human Hearts‹: Ezekiel’s Influence on 2 Corinthians 3:3, 103–121) zeigt, kann die paulinische Wendung in 2Kor 3,3 direkt auf Ez 11,19 und 36,26 zurückgeführt werden. Elizabeth R. Hayes (The Influence of Ezekiel 37 on 2 Corinthians 6:14–7:1, 123–136) stellt dar, wie alle in 2Kor 6,14–7,2 begegnenden Bezüge zu alttestamentlichen Stellen ihren je eigenen Fokus in die paulinische Argumentation einbringen, wobei Ez 37 die konzeptuelle Struktur liefert. Einen wieder negativen Befund erhebt John Muddiman (The So-Called Bridal Bath at Ezekiel 16:9 and Ephesians 5:26, 137–145): Gegen gewisse Trends weist er nach, dass Ez 16,9 und Eph 5,26 nichts miteinander und auch nichts mit dem angeblichen zeremoniellen jüdischen Brautbad (für das es allenfalls einen Beleg gibt) zu tun haben.
Auffällig ist es, dass nur zwei Beiträge sich mit dem Einfluss des Ezechielbuches auf die Offenbarung des Johannes befassen. Ian K. Boxall (Exile, Prophet, Visionary: Ezekiel’s Influence on the Book of Revelation, 147–164) bezieht sich in seinem Grundsatzartikel vor allem auf die schon mehrfach beobachtete analoge Reihenfolge der Visionen in Ez und Offb und schlussfolgert, dass sich der Seher auf Patmos nicht einfach als ein anderer Ezechiel verstand, sondern als gleichrangiger Prophet, der wieder sieht, was einst der große alttestamentliche Prophet schon sah. Dabei verwendet »Johannes« aber auch neue Gestaltungsmuster.
Die Bezüge von Ez 38–39 zum Ende der Offb untersucht Rieuwerd Buitenwerf (The Gog and Magog Tradition in Revelation 20:8, 165–181) gerade hinsichtlich möglicher vermittelnder Texte wie Am 7,1–3LXX, 4Q523, OrSib 3, 1QM XI,13–18, 4Q161 (4QpIsaa). Es zeigt sich, dass Offb 20,8 bereits auf eine entwickelte Gog-und-Magog-Tradition als Bezeichnung der eschatologischen Feinde zurückgreifen konnte und eher eine mündliche Überlieferung als das Ezechielbuch selbst rezipierte. – Ein Beispiel der Wirkungsgeschichte präsentiert Christopher Rowland (Ezekiel’s Merkavah in the Work of William Blake and Christian Art, 183–200): Er geht kurz auf Rezeptionen der Merkaba-Vision im Christentum (u. a. Joachim von Fiore) ein und stellt dann dar, wie der englische Künstler William Blake (1757–1827) Ez 1 bildnerisch umsetzte.
Der Sammelband wird durch Register für Bibelstellen, außerbiblische Literatur und moderne Autoren gut erschlossen.