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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

923–925

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kauppi, Lynn Allan

Titel/Untertitel:

Foreign But Familiar Gods. Greco-Romans Read Religion in Acts.

Verlag:

London-New York: T & T Clark Internati­onal (Continuum) 2006. XVIII, 165 S. gr.8° = Library of New Testament Studies, 277. Lw. £ 65,00. ISBN 0-567-08097-8.

Rezensent:

Manfred Lang

Diese Dissertation (PhD), die von David Rhoads betreut wurde, verfolgt auf 128 Seiten zzgl. Literaturverzeichnis ein sehr interessantes und ehrgeiziges Ziel: Ein griechischer Leser vermag es, lukanische Re­ferenzen zur griechischen Religion aufzunehmen und zu verstehen. Diesbezüglich werden Methodik und Annahmen wie folgt bestimmt: 1. archäologische Daten illustrieren das Bild neben und hinter Lukas; 2. in ›soundings‹ kommen Anspielungen des griechisch-römischen Orakelwesens zum Ausdruck. In methodischer Hinsicht erfolgt ein Anschluss: an die sozialgeschichtlichen Analysen Stambaughs und Balchs; an die rezeptionsästhetischen Ergebnisse von H. R. Jauß und P. I. Rabinowitz; an die Ritus-Forschung R. L. Grimes und C. Bells sowie endlich hinsichtlich der ›soundings‹ an diejenigen Ergebnisse von C. Baldicks. Bemerkenswert ist dabei, dass sich die zuletzt genannten Annahmen mit einer produktionsästhetischen Sicht verbinden: Der antike Leser teilt jenen kulturgeschichtlichen Horizont, der auch von Lukas erwartet wird. Gleichwohl wird nicht davon ausgegangen, eine auktoriale Konstruktion zuallererst vornehmen zu sollen (11 f.): »By emphasizing the Greco-Roman reader of Acts, I avoid attempting to determine Luke’s authorial intention. A Greco-Roman reader would apply their religious cultural competencies to Luke’s text and would either understand overt references to Greco-Roman religion in light of these competencies or interpret portions of the text as allusions to Greco-Roman religion in light to these cultural competencies.« Gleichwohl wird die Position des Autors nicht zurückgedrängt, sondern beachtet, dass für die Rezeption nicht die Rekonstruktion aukto­rialer Intention relevant ist. Von großer Relevanz ist diesbezüglich die Näherbestimmung, dass unter griechisch-römischer Religion keine einheitliche Entität gemeint sein soll, da römische Religion auf Rom beschränkt und griechische Religion an Lo­kal­hei­ligtümer gebunden war.
Mit Kapitel 2 erfolgt der Einstieg in die konkrete exegetische Arbeit, die anhand von Apg 1,15–26; 16,16–18 die griechisch-römischen Orakel (19–41) nachzeichnet. Dabei werde, so der Vf., für den griechisch-römischen Leser deutlich, dass christliche Prophetie als direkt unter dem Wirken des Geistes stehend unverfügbar sei, wie dies auch für das Orakel-Wesen der Fall sei. Das dritte Kapitel (42–63) beschäftigt sich mit dem großen Thema des Herrscherkultes, das anhand von Apg 20,20–23 entfaltet wird. Dabei trete Agrippas Hybris insgesamt und seine Divination sowie endlich seine Strafe in Kontrast zum Selbstverständnis der urchristlichen Gemeinde. Ein ganz anderer Doxa-Begriff trete zu Tage. Im vierten Kapitel (64–82) wird die Thematik der Prozession anhand von Apg 14,8–18 dargelegt, die letztlich zu der Überlegung führt, wonach der griechisch-römische Leser eine »parodying allusion« (81) wahrnehmen konnte, die gleichzeitig eine scharfe Trennung zwischen Gottheit und Mensch erkennen lasse, die letztlich zu der Beobachtung führe: »humanity is humanity; God is God« (82). Das große Kapitel von Apg 17,16–34 wird hinsichtlich Aeschylos’ Eumenides (83–93) entfaltet und lässt folgendes Ergebnis formulieren (92): »If Luke’s Greco-Roman audience did observe an allusion to Eumenides, they may have understood this allusion as both a commendation and condemnation of Greek culture and religion as found in Aeschylus’ Eumenides.« Drei Aspekte seien diesbezüglich relevant: Anhand von ἀνάστασις sei die Anspielung als Kontrast wahrzunehmen (besonders hinsichtlich Aesch Eum 647, wonach für einmal Tote kein Aufstehen [ἀνάστασις] möglich sei); die Parallelisierbarkeit von Orest und Paulus zeige ferner, dass Paulus als Unschuldiger auf dem Areopag stehe; schließlich sei die Thematik der sog. ›Neuen Religion‹ auf diejenige des ›unbekannten Gottes‹ zu beziehen. Dabei lasse sich jed0ch der christliche Gott nicht in die Konzeptionen bereits bestehender Gottheiten Athens integrieren, sondern verlange Umkehr und Ab­kehr von diesen alten Gottheiten.
Anhand von Apg 19,23–41 werden die beiden Themen des Votiv-Wesens sowie des διοπετής (der ›Vom-Himmel-Gefallene‹) be­nannt (94–106; 101): »a reader might have concluded that ostentatious religiosity is strongly disassociated from true worship«. Mit den Motiv-Feldern ›Schlange‹, personifizierte δίκη und den Dioskuren wird anhand von Apg 28,1–11 der letzte Block im Durchgang durch die Apostelgeschichte beschrieben (107–117).
Ein Literaturverzeichnis (129–153) sowie ein Stellen- und Personenregister (154–160.161–165) beschließen diesen Band.
Als Fazit der anregenden Untersuchung bleibt festzuhalten, dass die Konzeption der Kontrastierung mit bereits vorherrschenden Gegebenheiten und Vorstellungen interesseleitend für die Rezeption gewesen sein mag, so etwa beim Herrscherkult anhand des Agrippa I. Ferner lasse sich Parodie und Ironie im Rahmen des Ritual-Wesens nachweisen, so etwa in Apg 14,8–18. Schließlich lasse sich eine Strategie der Personalisierung etwa anhand der δίκη feststellen, die wiederum Teil der Konzeption sei, griechisch-römische Mythologie seitens des Lukas für seine Rezipienten zu transformieren.
Der Vf. verfolgt eine sachlich sehr interessante Frage nach dem potentiellen Rezipienten der Apostelgeschichte, die hier gleichsam als Verlängerung kompositionsgeschichtlicher Methodik verhandelt und dahingehend begründet beantwortet wird, dass die Re­zeption anhand des Themas ›Religion‹ durchaus denkbar sei. Es bleibt jedoch vor allem kritisch zu bedenken, dass dem anhand der einzelnen Perikopen vorgestellten Rhema durchweg kein Thema zur Seite gestellt wird: Welchen theologischen Gedanken soll der Rezipient im Ganzen anhand der einzelnen Rhemata wahrnehmen, wenn er bei der bloßen Konfrontation oder der Parodie eines einzelnen Rhemas nicht stehen bleiben will? Hier hätte eine Berücksichtigung der neueren deutschsprachigen Forschung zur redaktionsgeschichtlichen Analyse (z. B. Florian Wilk, Jesus und die Völker in der Sicht der Synoptiker, BZNW 109, Berlin-New York 2001; Martin Meiser, Die Reaktion des Volkes auf Jesus. Eine re­daktionskritische Untersuchung zu den synoptischen Evangelien, BZNW 96, Berlin-New York 1998) die Frage des Vf.s deutlich ge­schärft und profiliert. Ferner hätte es beispielsweise eindringlicher begründet werden müssen, weshalb das rezeptionsästhetische Modell von H. R. Jauß und P. I. Rabinowitz gewählt worden ist – zwingend legt es sich jedenfalls nicht nahe.
Eine anregende und in sich stimmige Arbeit folgert sachgemäß die kompositionsgeschichtliche Frage in die Rezeptionsästhetik und lädt ein, neues Terrain zu erkunden. Das ist gelungen und begrüßenswert. Gleichwohl hätte die kritische Berücksichtigung der neueren deutschsprachigen Forschung zur Präzisierung und Profilierung beigetragen.