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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

908–910

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Leuze, Reinhard

Titel/Untertitel:

Religion und Religionen. Auf der Suche nach dem Heiligen.

Verlag:

Münster: LIT 2004. 4, IX, 338 S. gr.8° = Religionen in der pluralen Welt, 3. Geb. EUR 24,90. ISBN 3-8258-7503-2.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Das Buch bewegt sich auf dem Feld, das üblicherweise als »Theologie der Religionen« bezeichnet wird. Sein Anliegen ist jedoch nicht die Bearbeitung eines Randgebietes der Theologie, das der Klärung von Außenbeziehungen dient, sondern die Grundlegung einer Theologie, die davon ausgeht, dass sie ihre kritischen Reflexionsaufgaben nicht auf die eigene Glaubensweise beschränken darf (16). Damit wird die Sache der Theologie als Ganze und ihre Begründung im Gespräch mit anderen Wissenschaften zum zentralen Thema.
L. vertritt eine pointierte Position, wie ein solches Programm gefüllt werden kann. Das missliche Trilemma der Religionstheologien der 90er Jahre (»Exklusivismus«, »Inklusivismus«, »Pluralismus«) wird dabei erfreulicherweise nicht wieder aufgewärmt. L.s Theologie bezieht sich auf die Welt der Religionen von einer klar erkennbaren Perspektive aus und geht differenzierend mit verschiedenen religiösen Traditionen um, so dass sie auch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangt, welche Relevanz sie einzelnen Religionen für das Thema der Theologie beimisst.
Religion definiert L. mit Rudolf Otto über den Begriff des »ganz Anderen«. Dies ist eine Grundentscheidung, die sich auf die gesamte weitere Bearbeitung des Stoffes und ihre Ergebnisse auswirkt: Die lebensweltliche Bedeutung von Religion wird keine nennenswerte Rolle spielen und Religionen, die sich hauptsächlich in lebensgestaltenden Ritualen ausdrücken, liegen so gut wie außerhalb des Blickfeldes. Die Stärken des hier gewählten Ansatzes liegen auf dem Gebiet der sog. »großen Transzendenzen«, und Möglichkeiten religionstheologischer Argumentation, die sich auf dieser Grundlage eröffnen, werden kundig und klar nachvollziehbar entfaltet.
In der Logik seines Religionsbegriffs benennt L. als wichtigstes Kriterium für die Beurteilung von Religionen: »Eine Religion wird um so höher bewertet werden müssen, als sie die Radikalität des ganz Anderen in seiner Andersheit erfasst« (46). In Anwendung dieses Kriteriums trifft L. deutliche Entscheidungen: Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass monotheistische Religionsformen eine radikalere Erfahrung des Göttlichen in seinem Anderssein ermöglichen als polytheistische (52). Als den entscheidenden Ort des Übergangs vom Polytheismus zum Monotheismus versteht L. unter Berufung auf Fritz Stolz den israelitischen Gottesglauben: Mit der Anerkenntnis, dass Gott für Israel Unheil bestimmt, wird das letztlich innerweltlich denkende Modell von »Kosmos und Chaos« verlassen; an seine Stelle tritt die radikale Unterscheidung von Gott und Mensch (55). Auf dieser Basis sieht L. es als möglich an, eine Höherstellung der monotheistischen Religionen gegenüber den polytheistischen zu behaupten. Eine »wertende Differenzierung innerhalb des gemeinsamen monotheistischen Credos« hält er dagegen für ausgeschlossen (74).
Mit den Religionen Indiens befasst L. sich ausführlich, nachdem diese Entscheidung bereits gefallen ist. Die sehr differenzierte Darstellung hinduistischer und buddhistischer Traditionen nimmt ernst, dass die Alternative Polytheismus – Monotheismus in diesem Bereich der Religionsgeschichte nicht weiterführt (81). Wo es zu Bewertungen kommt, bleibt der Maßstab dennoch die Leis­tungsfähigkeit, das »ganz Andere« zur Sprache zu bringen, die L. den monotheistischen Religionen zutraut. Als die Highlights indischer Religionsgeschichte in dieser Hinsicht beurteilt L. das Samkhya-Yoga und die Lehren des frühen Buddhismus. Dem Samkhya-Yoga schreibt er eine hohe Fähigkeit zu, das dieser Welt Entgegengesetzte radikal zur Geltung zu bringen, sieht es jedoch begrenzt darin, dass das »ganz Andere« im Inneren des jeweiligen Menschen verortet wird. »Das Wagnis des Monotheismus, der das ganz Andere sucht, indem er von sich absieht … will das indischen Denken nicht auf sich nehmen« (95). Den Lehren des Buddha gesteht L. zu, dass sie die Transzendenz des Heilsziels reiner ausdrücken als irgendeine andere Formulierung der Religionsgeschichte. »Während die von der jüdischen Apokalyptik geprägten Ziel-Vorstellungen immer in der Gefahr stehen, menschliches Wunschdenken in ihre Beschreibungen der letzten Dinge … einfließen zu lassen, wird hier der Gegensatz zur Welt so absolut zur Sprache gebracht, dass ›Beimengungen‹ des Irdischen nicht mehr zu erkennen sind« (98). Dennoch sieht L. den Buddhismus letztlich gescheitert an seiner »Übersteigerung« des ganz Anderen (106): Dieses ließe sich nicht mehr zur Sprache bringen und in der für den Mahayana-Bud­dhismus grundlegenden Philosophie des Nagarjuna sei der Gegensatz von Nirvana und Welt aufgehoben zu Gunsten einer allumfassenden Leere (104). – An diesem Punkt ist zu fragen, ob L. es sich nicht zu leicht damit macht, die stärkste Konkurrenz für das mo­notheistische Konzept des ganz Anderen abzuhängen: Bud­dhis­mus und monotheistische Religionen stehen sich als zwei Bereiche mit einer jeweils so großen inneren Vielfalt an Formulierungsvorschlägen für das ganz An­dere gegenüber, dass man auf beiden Seiten nach L.s Maßstäben mehr und weniger gelungene Beispiele finden kann und bei entsprechender Auswahl der Quellen ebenso ein Scheitern des Mo­notheismus aufzeigen könnte.
Die zweite Hälfte des Buches buchstabiert eine Reihe von inhaltlichen Grundfragen der Theologie auf der Basis des hier vertretenen Ansatzes. Die drei großen Überschriften dieser Teile sind »Gott als Person?«, »Wege zum Transzendenten« und »Das Transzendente als Beziehung«. Von der Gewichtung her stehen in der Bearbeitung christliche Traditionen an erster Stelle, jüdische und islamische an zweiter, buddhistische und hinduistische an dritter Stelle. Jenseits des damit abgesteckten religionsgeschichtlichen Horizontes spielt nur noch die griechische Philosophie eine gewisse Rolle.
Interessant und diskussionsbedürftig ist vor allem die Einordnung, die der Islam dabei erfährt: Die Offenbarung Gottes an Mu­hammad wird eingereiht in die christlich verstandene Heilsgeschichte. Das Drama vom Tod Gottes, wie es im Christentum vor Augen geführt wird, hat die Radikalität der Selbstentäußerung Gottes so auf die Spitze getrieben, dass danach eine »Neugewinnung des göttlichen Wesens« erforderlich ist. Die »neu gefundene göttliche Identität … muss in einem selbständigen Handeln zur Erscheinung kommen, das nicht durch seinen Bezug zu einem vorhergehenden Geschehen definiert wird, sondern sich in der Vitalität eines ur­sprünglichen Ereignisses Aufmerksamkeit verschafft. Die Offenbarung Gottes an Mohammed ist eben dieses Ereignis« (325). Damit nicht genug: Für L. kommt es in Frage, die gegenwärtige Renais­sance des Islam als »eine von Gott bewirkte Antwort auf den neuzeitlichen Säkularismus« zu verstehen, »der in Nietzsches Rede vom Tod Gottes seinen vertieften Ausdruck gefunden hat« (326).
Als vorzügliche Aufgabe des christlichen Denkens sieht L. die »Wiedergewinnung des göttlichen Anderssein«. Diese Aufgabe kön­ne christliche Theologie nicht bestehen, ohne sich der religiösen Wirklichkeit der anderen monotheistischen Religionen zu vergewissern. Gerade wenn man dieser letzten These zuzustimmen geneigt ist, erscheint die religionsproduktive Art, wie L. den Islam dem christlichen Heilsgeschehen zuordnet, als zu sehr dem Selbstverständnis des Islam entgegengesetzt. Der Islam würde sich ja nicht damit begnügen können, »Aufhebung« des vom Christentum erzählten göttlichen Dramas im Hegelschen Sinne zu sein, sondern bestreitet dieses kategorisch. L.s Arbeit am »ganz Anderen« wäre m. E. noch konsequenter durchgeführt, wenn sie die herausfordernde Spannung, in der sowohl Buddhismus als auch Islam zum christlichen Glauben stehen, mit größerem Respekt vor der grundsätzlichen Andersartigkeit dieser Religionen stehen lassen könnte.