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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

820–821

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Baumgart, Peter

Titel/Untertitel:

Universitäten im konfessionellen Zeitalter. Gesammelte Beiträge.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2006. X, 519 S. m. Abb. gr.8° = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 149. Kart. EUR 65,00. ISBN 3-402-03817-X.

Rezensent:

Marcel Nieden

Makrohistorische Interpretationsmodelle wie Reformation und Revolution, Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung kommen von ihrem Anspruch her schwerlich um eine bildungsgeschichtliche Verifizierung herum. Wirken die tatsächlichen oder vermeintlichen Zäsuren der allgemeinen Geschichte, wirken die behaupteten »Ereigniszusammenhänge« und »Fundamentalvorgänge« zurück auf das Bildungswesen? Oder folgt die Bildungsgeschichte letztlich ihren ›eigenen Gesetzen‹?
B.s solide, die Perspektive von Kontinuität und Wandel sensibel mitbedenkende Studien lassen sich als universitätsgeschichtliche Antwort auf derlei Fragen lesen. Die in diesem Band versammelten 16 Aufsätze des Hinrich-Schülers und langjährigen Inhabers des Würzburger Lehrstuhls für Neuere Geschichte, hinter deren Wiederveröffentlichung man B.s 75. Geburtstag vermuten darf, entstammen einem Zeitraum von rund 40 Jahren. Die meisten von ihnen erschienen bereits in den 60er und 70er Jahren, zum Teil an entlegener Stelle (nur die Studie über »Die Breslauer Leopoldina zwischen Habsburg und Preußen [1702–1811]« ist ein Originalbeitrag). Sie sind jetzt in der RGST-Reihe leicht zugänglich gemacht – ergänzt um einige Abbildungen und vor allem um ein hilfreiches Orts- sowie Personen- und Sachregister. Der Band ist der Conspectus eines von B. intensiv beackerten Forschungsfeldes.
Thematisch befassen sich die Beiträge mit den deutschen Hochschulen in der Zeit zwischen Reformation und Aufklärung, erstre­cken sich in weit gespanntem Bogen von Marburg (1527) bis Breslau (1702). Dabei stehen zwei Hochschulen im Mittelpunkt, denen B. biographisch, durch Habilitation und Professur, be­sonders verbunden ist: die lutherische Julius-Universität zu Helmstedt im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel und die katholische Julius-Universität im Fürstbistum Würzburg. In seinen einge­henden Untersuchungen zur Gründungsgeschichte, zur Ver­fassung und Ausstattung, zum Bildungsprofil dieser beiden prominenten, in enger zeitlicher Nachbarschaft (1576/1582) eröffneten, aber eben konfessionell unterschiedlich ausgerichteten Hochschulen gewinnt B. immer wieder die vergleichende Ebene, auf der er bedeutsame strukturelle Gemeinsamkeiten aufzuzeigen vermag, die »größer sein dürften, als die aus unterschiedlichen Organisationsmodellen und aus konfessionspolitischen Besonderheiten resultierende spezifische Differenz im Einzelfall erkennen lässt« (63). An solchermaßen typuskonstituierenden Merkmalen, durch die sich seiner Meinung nach die Universitäten im konfessionellen Zeitalter sowohl von den Hochschulen des Hoch- und Spätmittelalters einerseits, wie von den Universitäten der Aufklärung andererseits unterscheiden, werden von B. genannt: »die Dominanz der Landesherrschaft als Ausdruck früher deutscher Territorialstaatlichkeit, der durchgängig vom Humanismus ge­prägte Bildungshorizont, wie er durch die Artes-Studien den Studierenden vermittelt wurde, und schließlich die allenthalben konfessionsgebundene Orientierung der Hochschulen« (VII; vgl. auch 8 f. 64. 312f.337.361 f. 484 f.). Mit der Entstehung dieses Hochschultypus beginnt nach B. zugleich der speziell deutsche Weg innerhalb der gesamteuropäischen Universitätsgeschichte. Der »Konfessionalismus« erweise sich damit in der Tat als »ein Veränderungsfaktor von großer Intensität und erheblicher Tragweite« (6). Und insofern bedeute die Reformation tatsächlich den Beginn einer neuen universitätsgeschichtlichen Epoche (vgl. 7.61 f.391 f.).
Allerdings bleibt für B. der festgestellte Typus in ein übergreifendes strukturelles Kontinuum eingebettet. Die tragenden Elemente des mittelalterlichen Universitätsgebäudes, die korporative Verfassung, die relative Autonomie, das Graduierungsrecht, die tendenzielle Freizügigkeit, Universalität und soziale Offenheit, seien von der Reformation und Konfessionalisierung nicht in Frage gestellt worden. Die deutsche »vorklassische« Universität des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit sei vielmehr »ein relativ homogenes Gebilde sui generis« (6) gewesen. Erst die Universitätsreformen des 19. Jh.s hätten dann auch in struktureller Hinsicht ein neues Kapitel der europäischen Universitätsgeschichte aufgeschlagen. Die Bedeutung des konfessionellen Veränderungsfaktors wird damit wieder relativiert. Er hat entscheidenden Anteil daran, dass sich im frühneuzeitlichen Deutschland ein eigener Hochschultypus ausbilden konnte, ohne dass der überkommene institutionelle Kern der Universität beseitigt worden wäre (vgl. 394). Aufs Ganze gesehen entsteht ein differenziertes, je nach betrachtetem Faktor recht unterschiedlich ausfallendes Bild der »Universitäten im konfessionellen Zeitalter«.
B.s Studien sind wichtige Beiträge zur deutschen Universitätsgeschichte des 16. bis 18. Jh.s. Klar strukturiert, verständlich ge­schrieben, aus profunder Quellenkenntnis erarbeitet, lassen sie sich immer noch mit Gewinn lesen. Vor allem ist der in ihnen entfaltete »Typisierungsversuch« (VII) nach wie vor diskussionswürdig. Die Texte wurden – abgesehen von kleineren formalen Vereinheitlichungen – für die Neuauflage nicht überarbeitet. Natürlich ist die Forschung inzwischen weitergegangen. B. verweist im Vorwort auf einige neuere Arbeiten zu den beiden Julius-Universitäten. Ergänzend seien genannt: Sabine Ahrens: Die Lehrkräfte der Universität Helmstedt (1576–1810) (Veröffentlichungen der Kreismuseen Helmstedt, 7), Helmstedt 2004; Markus Friedrich: Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie und gelehrte Konflikte am Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits und seiner Wirkungen auf das Luthertum um 1600 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 69), Göttingen 2004; sowie neuerdings Peter A. Süß: Grundzüge der Würzburger Universitätsgeschichte 1402–2002. Eine Zusam­menschau (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Würzburg, 10), Neustadt an der Aisch/Rothenburg ob der Tauber 2007. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die zu unterschiedlichen Anlässen entstandenen Studien gewissermaßen organisches Material darstellen, das einerseits, in einem Band zusam­mengefügt, manche Text- und Gedankenwiederholung mit sich bringt, das andererseits aber auch, bei zu großer thematischer Differenz, sich nicht immer leicht durch eine gemeinsame Kapitelüberschrift verklammern lässt (Kapitel IV).
Gefragt sind jetzt vor allem komparatistische Studien, vielleicht nicht nur zwischen Neugründungen der Zeit, sondern auch zwischen bestehenden Universitäten, die infolge der humanistischen und reformatorischen Bewegung umgestaltet wurden. Dabei dürfte insbesondere eine stärkere Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Perspektiven weiterführend sein. Tendenzen zur Ausrichtung an adligen Lebensformen (Aristokratisierung) und zur be­rufsspezifischen Ausbildung (Professionalisierung) scheinen für die Universitäten dieser Zeit nicht weniger charakteristisch zu sein als die konfessionsgebundene Orientierung oder die landesherrliche Dominanz.