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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

790–791

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gerhards, Meik

Titel/Untertitel:

Die Aussetzungsgeschichte des Mose. Literar- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu einem Schlüsseltext des nichtpriesterlichen Tetrateuch.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2006. X, 294 S. 8° = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 109. Geb. EUR 44,90. ISBN 3-7887-2137-5.

Rezensent:

Reinhard Achenbach

In der aktuellen Debatte der Pentateuchforschung, in der ein wachsender Kreis von Forschern der Urkundenhypothese den Abschied gibt und mit einem literarischen Zusammenwachsen von Väter- und Exodusüberlieferung erst auf der Basis der Priesterschrift und einer mehrstufigen nach-exilischen Redaktionsgeschichte rechnet, ist die Rückfrage nach den P vorausgehenden Erzählzusammenhängen zu einem komplexen Problem geworden. Mit einer Be­handlung des diesbezüglich exemplarisch wichtigen Textes der Aussetzungsgeschichte des Mose bezieht G. Stellung. Der priesterschriftliche Erzählfaden in Ex 1,7.13 f. gehe von einer Wende im Verhältnis zwischen Pharao und Volk zum Schlechten aus, der literarische Faden sei aber so dünn, dass nur auf Grund dieser spärlichen Aussagen der Text nicht verständlich werde. Das argumentum e si-lentio lautet: P scheint eine ältere »Grunderzählung« ge­kannt zu haben und vorauszusetzen. Darum entwickelt G. eine modifizierte Variante der Urkundenhypothese.
K. Schmid (Erzväter und Exodus, 1999, 154 f.) und E. Otto (Mose und das Gesetz, 2000, 49 f.) vertreten die Ansicht, in Ex 2,1 liege der Beginn einer ursprünglich eigenständigen Moselegende aus josi-anischer Zeit vor, die davon ausgehe, dass Mose der Spross einer nicht-ehelichen Beziehung gewesen sei, wodurch die Aussetzungslegende motiviert werde. Die Begründung hierfür, dem Verbum »er nahm (die Tochter Levis)« folgte nicht die diesbezüglich eindeutige Wendung »als/zur Frau« (vgl. dagegen Dtn 21,11; 24,1 ff.), hält G. für nicht stichhaltig und er ist der Auffassung, dass Ex 2,1–10* nach einer Vorgeschichte verlangte. Er rekonstruiert die Erzählung eines Jahwisten in Ex 1,8–12.22; 2,1–3.5a.b α.6.10aβ.b. Die Aussagen fremder Könige über die Überlegenheit Israels in Gen 26,16; Ex 1,9 und Num 22,6 seien ein Signal für eine Zugehörigkeit der diversen Erzählzyklen zu einer gemeinsamen Quellenschicht, ebenso die Ähnlichkeiten zwischen Ex 1,9 f. und Gen 11,6 f. Ex 1,6.8 bilde analog zu Ri 2,8ff. einen ursprünglichen Abschluss der Josefserzählung. Für den »Segens- und Hoffnungstheologen« war das Wachstum Israels in Ägypten das Ergebnis eines durch keine Bedrängnis aufzuhaltenden Wirkens Jahwes, welches hinter dem machtlosen Retter Mose stehe und die Macht des Pharao breche. Der königskritische Zug der Aussetzungsgeschichte habe traditionsgeschichtliche Wurzeln in der Zeit des Hosea (Hos 12,13 f.), die sprachliche Verbindung zur Turmbauerzählung deute auf eine babylonkritische Disposition der Erzählung und begründe eine Datierung nach 587 v. Chr. Ein Redaktor habe diese Quelle durch Fragmente der Hebammenerzählung des Elohisten (Ex 1,15–20a; 2,4.5b β.7–10aα) erweitert, so­dann sei P hinzugekommen. Ex 1,1–5* wird einer Endredaktion zu­gewiesen, die den Pentateuch in fünf Bücher einteilt. Im zweiten Teil der Untersuchung setzt sich G. mit der These E. Ottos (a. a. O.) auseinander, die Parallelen zwischen der Moselegende und der Aussetzungsgeschichte in der Version der akkadischen Sargonlegende ließen auf eine subversive Rezeption des assyrischen Schemas der Herrschaftslegitimation in josianischer Zeit schließen, mit dem Akzent, dass Mose nicht zum Königtum aufsteigt, sondern das Volk in die Freiheit und zur alleinigen Verehrung Jahwes führt. Die methodisch differenzierte und materialreiche Untersuchung der Form-, Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte der Sargonlegende und der Vergleich mit Ex 2 ergeben, dass die These einer unmittelbaren Rezeption der Sargonlegende plausibel ist. Die Moselegende gehört dem gleichen Subtyp von Aussetzungsgeschichten an, wonach »ein neugeborenes Kind von seiner Mutter in einem schwimmenden Behältnis auf einem Fluss ausgesetzt wird, aus dem es dann gerettet und vom Retter adoptiert wird« (213). Neben den Übereinstimmungen im Einzelnen (Geburt im Geheimen, Aussetzung in einem mit Asphalt verschlossenen Schilfkorb, Adoption durch den Finder), welche für die Abhängigkeit sprechen, stehen bewusste Abweichungen vom vorgegebenen Stoff (Sargons Eltern sind diesem unbekannt, Mose ist levitischer Herkunft, Sargon wird durch den Fluss dem Finder zugeführt, Mose wird vom Finder im Fluss entdeckt, weil die Mutter das Kind nicht dem offenen Strom überlässt). G. datiert die Rezeption der Sargonlegende nicht in neuassyrischer, sondern erst in neubabylonischer Zeit, weil ihm das Motiv der Deutung des Mosenamens im Sinne von »Retter« aus der Fronarbeit der Gefangenschaft eher vor einem exilischen Hintergrund verständlich scheint, als Nebukadnezar II. zahlreiche Deportierte in seinen Bauprojekten in Babylon beschäftigte (253, Anm. 6). Damit rückt die Moselegende des Jahwisten in die Nähe der deuterojesajanischen Prophetie.
Als Beleg für die Wirkungsgeschichte der Sargonlegende noch unter Kyros II. verweist G. auf Herodot (Hist. I,107 ff.) und auf ein (literarisch junges) Fragment der Kyroserzählung des Ktesias bei Nikolaus Damascenus (F. W. König, Die Persika des Ktesias von Knidos, 1972, 176 f.). Indes wird man hier einwenden müssen, dass die Aussetzungsgeschichte des Kyros nach Herodot einem völlig anderen Typus zuzuweisen ist. Welchen Sinn die Anspielungen auf die Legitimationslegenden eines besiegten Königreichs für Israel während der babylonischen Zeit gehabt haben sollen, ist fraglich. Gen 11,1–9 dürfte als eine legendenhafte Ätiologie über die Ruinen Babylons wohl erst in spätpersischer oder hellenistischer Zeit entstanden sein. Der Vorschlag, schlechterdings allen literarischen Quellen des Pentateuch eine exilische Entstehung zuzuschreiben, wird in der vorgetragenen Form wohl kaum auf breite Zustimmung stoßen, zumal die Frage, wie sich das dtn-dtr Mosebild zu den vom Vf. rekonstruierten Mosedarstellungen verhält, offen bleibt.