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Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

162 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Baumgarten, Albert I.

Titel/Untertitel:

The Flourishing of Jewish Sects in the Maccabean Era: An Interpretation.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1997. XIII, 240 S. gr.8 = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 55. Lw. hfl 143.-. ISBN 90-04-10751-7.

Rezensent:

Roland Bergmeier

Wer sich mit historischem Interesse der Frage zuwendet, warum und unter welchen Bedingungen im Umkreis der makkabäischen Erhebung spezielle Sonderrichtungen im Frühjudentum entstanden sind, wird gerne zu einer Monographie greifen, die ihm verspricht, Entstehungsgründe und Blütezeit jüdischer Sektenbildung zu beleuchten. Er wird eine Untersuchung erwarten über die Pluriformität des Judentums zur Zeit des II. Tempels, über die umstrittene Frage, ob es einen ’mainstream Judaism’ gegeben und welche der uns bekannten religiösen Strömungen ihn wohl am ehesten repräsentiert habe. Er wird etwas erfahren wollen über Art und Umfang des Einbruchs hellenistischer Kultur in Judäa, über Gruppen sodann, die sich diesem Einbruch widersetzten oder einen Neuanfang in der Wüste suchten, über apokalyptische und chasidische Aufbrüche und ganz speziell über die drei auffällig priesterlich orientierten Separationen, die a) zur Entstehung des Konkurrenzheiligtums von Leontopolis, b) zum endgültigen Bruch der Samaritaner mit Jerusalem und c) zur Gründung des Qumran-Jachad führten.

Mit seinem Versuch, "die Blütezeit jüdischer Sekten in der makkabäischen Ära" zu deuten, erfüllt B. keine der angesprochenen Erwartungen. Er will offenbar auch gar nicht historisch, sondern in soziologischem Deutungsrahmen phänomenologisch interpretieren. Im Grunde ist ja auch alles ganz einfach: Zum Verständnis der jüdischen Geschichte im Zeitalter des II. Tempels hielt es Josephus für unabdingbar, seine Leser über Pharisäer, Sadduzäer und Essener zu informieren. Das belegt deren Bedeutung "in Second Temple Judaism" (2). Für uns heute kommt die Qumrangemeinde noch hinzu, die man am besten einfach als weitere Gruppe nimmt, ohne sie mit den Essenern zu identifizieren. Üblicherweise wird von modernen Forschern auf diese Gruppen oder wenigstens einige von ihnen die Bezeichnung Sekte angewendet, "a usage which will be followed in this study" (5). Also muß man "Sekte" definieren: "a voluntary association of protest, which utilizes boundary marking mechanisms ..." (7). Solche Unterscheidungsmerkmale betrafen "food, dress, marriage, commerce and worship" (7). Deren Besprechung bildet den Hauptbestandteil des Kapitels über "die Begegnung mit dem Hellenismus" (81-113). Die religiösen Gruppen waren im übrigen entweder "reformist sects" wie Sadduzäer und Pharisäer oder "introversionist" wie Qumran (13). Nach Meinung B.s lassen sich nun aus (religions-)soziologischen Untersuchungen über Sekten - über heutige muslimische Sekten in Nordafrika oder über hinduistisches Sektierertum (5 u. ö.), über die Puritaner des 17./18. Jh.s (8 und "throughout the book"), über Ultraorthodoxe im heutigen Israel (9), über Zionismus (24), Quäker (52), Mun-Bewegung (139) und viele andere mehr - Erkenntnisse gewinnen, die die Entstehung, vor allem aber die Blütezeit der frühjüdischen Sekten (39) beleuchten und erklären. Dabei ist eigentlich zwischen "Antecedents, Forerunners and Full Fledged Forms" (23-28) zu unterscheiden, aber im wesentlichen fragt B. nach der Blütezeit unter hasmonäischer Herrschaft: "I propose that the decisive moment, which brought about the full fledged phenomenon, came with the victory of the Hasmonean dynasty and their claim for the restoration of traditional rule" (86). Zu den Vorläufern der jüdischen Sekten hingegen gehört Nehemia (18, 25, 115, Anm.7; 133, Anm. 68).

Überraschend ist immer wieder die Schlichtheit der Textwahrnehmung. Josephus, zitiert, als hätte er bekanntermaßen in Englisch geschrieben und seine Werke in LCL publiziert (vgl. z. B. Zitat und Auslassungen 121), gilt als zuverlässiger Augenzeuge und Experte in Sektenangelegenheiten, denn im Alter zwischen 16 und 19 verbrachte er nicht nur 3 Jahre bei Bannus, sondern auch noch ein weiteres Jahr, wie B. ausdrücklich schreibt, bei Pharisäern, Sadduzäern und Essenern, bevor er sich entschloß, als Pharisäer zu leben (51, 63), obwohl er doch weder ein Pharisäer noch gar ein Sektierer war, sondern nur sich entschied, sein politisches Wirken nach dem Beispiel der Pharisäer auszurichten (Vita 12). Aus (den biblischen Reminiszenzen Jes 13,4; 17,12 in) 1QH 6,7 wird entnommen, der Verfasser habe ein Leben in politischer Aktivität zugunsten seines Anschlusses an die Qumransekte aufgegeben, aus 1 QH 6,3-7 erhoben, daß der Verfasser einstmals wie viele andere (z. B. Josephus) ein "floater" war, bevor er in der Qumrangemeinde endgültig den Weg zur Wahrheit fand (55). "Shopping around" war nämlich möglich, weil alle genannten Sekten untereinander eine fundamentale Verwandtschaft aufwiesen (56), waren sie doch in einer Zeit rascher Veränderungen alle als rivalisierende Gruppen entstanden, d. h. "as alternate responses to basically the same set of dilemmas raised by a new age" (14). Die Reihe der "rapid changes in Jewish life" betraf: "(1) the encounter with Hellenism; (2) the persecutions of Antiochus IV ...; (3) the cooperation of at least some of the traditional leaders with those persecutions; (4) the successful revolt against Antiochus IV and his decrees; (5) the rise of a new dynasty of high priests, soon to be followed by the achievement of political independence" (26).

Diese Zeit rascher Veränderungen kam im Sieg der Hasmonäer auf ihren Höhepunkt, denn nun folgte "a series of accomodations with the foreign culture which was to provoke the flourishing of ancient Jewish sectarianism" (90). Deshalb lassen sich jetzt Alphabetisierung und Urbanisierung in die Betrachtung einbeziehen, zumal religionssoziologische Studien eine Fülle von Analogien bieten, z. B. so: "In all these cases, in Africa, CD, 1QS or the Iobacchi, the life of the group of the literate was run on the basis of a written code, setting forth the terms of agreement between members" (133). Mehr als alle anderen Veränderungen griffen "expanded literacy as well as the move from the farms to Jerusalem" in das persönliche Leben jener Eliteschicht ein, aus der sich die sektiererischen Bewegungen rekrutierten (198).

Am Ende des Buches stehen rein deskriptive Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Eschatologie und Sektentum (152-187) sowie Vermutungen über "Independence and its Consequences" (188-195). Den "Concluding Reflections" (196-200) folgt noch - vor Bibliographie und Indizes (209-240) - ein Appendix, der versucht, Erkenntnisse über das jüdische Sektenwesen im Umkehrschluß auf den Puritanismus anzuwenden: "Sectarianism in Seventeenth Century Britain from the Perspective of Boundary Marking" (201-207). Phänomenologisch tritt z. B. das Schwurverbot als Parallele zwischen Essenern und Puritanern hervor: "This rejection of oaths was an act of anarchistic social protest, more extreme than the practice of the Essenes, and was taken as proof presumptive of sectarianism" (206). Historisch müßte aber zumindest zur Kenntnis genommen werden, daß hier die größere Radikalität sachlich ihren Grund in Mt 5,34 hat.