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Ausgabe:

1959 Nr. 3

Spalte:

221-223

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Daniélou, Jean

Titel/Untertitel:

Vom Geheimnis der Geschichte 1959

Rezensent:

Delekat, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 3

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Demut ist. (Vgl. Hegel, Werke Lasson, XII, 137 f.) Aber wenn
T. hier auch ein Opfer der so weit verbreiteten Mißdeutung Hegels
wird, so schließt das nicht aus, daß seine Theologie und
Christologie maßgeblich von Hegels Transzendentalismus beeinflußt
ist. Sein Gottesbegriff jenseits von Supranaturalismus und
Naturalismus ist der hegelsche (13/14). Er übernimmt Hegels
dialektisch-spekulative Lehre vom innergöttlichen Leben und
vom Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen (lOO'Ol). Und
Wer verstanden hat, was Hegel mit der „Idee der Gottmenschheit
" und sein Schüler A. E. Biedermann mit dem „christlichen
Prinzip" gemeint haben, wird die Ähnlichkeit dieser Begriffe mit
T.6 Begriff des Neuen Seins in Christus nicht verkennen können.
Man vergleiche nur T.s „ewige Gott-Mensch-Einheit in Christus"
mit folgenden Sätzen Biedermanns: Das christliche Prinzip ist die
Gottmenschheit, die reale Einigung des göttlichen und des menschlichen
Wesens zur wirklichen Einheit persönlichen Geisteslebens,
wodurch Gott sich voll offenbart und der Mensch zu seiner wahren
Bestimmungserfüllung in Gott kon.mt. Jesu persönliches
religiöses Leben ist die erste Selb6tverwirklichung dieses Prinzips
in einer weltgeschichtlichen Persönlichkeit und der Quellpunkt
der Wirksamkeit dieses Prinzips in der Geschichte. (Dogmatik,
II. 1885, 583. 592/3.) Bei allem Unterschied in der Terminologie
ist der Grundgedanke bei T. und bei Biedermann derselbel —

3. Ergebnis. Überdenkt man diese Elemente der Theologie
T.6, so darf man sagen, daß sie eine sehr eigentümliche,
feine und eigenwillige Synthese von Kritik und Gläubigkeit,
Liberalismus und Orthodoxie, Existentialismus und Transzendcn-
talismus darstellt, und eben diese Synthese gibt ihr ihre Tiefe
und Weite. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß T. u. a. auch
in vollem Ernst ein Problem aufwirft, daß die Theologen sonst
sorgfältig zu umgehen pflegen, nämlich die Frage, welche Bedeutung
Christus angesichts der räumlichen und zeitlichen Unermeßlichkeit
des Universums und der Winzigkeit und Kurzlebigkeit
unserer Erde haben kann?! (105/06) In der Tat, T. schenkt den
Christen und den Theologen nichts, er stellt 6ie auch vor die
letzten Fragen. Und er muß das, weil er, wie er selbst sagt, nicht
mit Schleiermacher im Anthropologischen stecken bleiben kann,
sondern überall zur Ontologie vorstößt (162). — Gewiß, es können
gegen einzelne Thesen T.s schwere Bedenken erhoben werden
. Rez. kann sich z. B. unter einem praeexistenten Sündenfall
trotz I. Kant und Julius Müller schwer etwas vorstellen, und wie
fiich ein solcher Sündenfall mit dem Schuldcharakter der Sünde
reimen soll, ist uns nicht klar. Zwischen der Essenz und der Existenz
klafft bei T. eine Kluft, die fast dualistisch wirkt und die
Einheit des Gottes- und Weltbildes schwer gefährdet. In dieser
Beziehung ist T. jedenfalls kein Hegelianer! Bedenklich
scheint uns auch die häufige Verwendung des Schicksal-Begriffs.
Das Wort Schicksal ist ein heidnischer Begriff. Wie will T. die
Allmacht Gottes mit dem universalen und schicksalhaften Sündenfall
vereinigen? Wie kann er sagen, daß die Natur (in sittlicher
Hinsicht!) schuldig ist, da 6ie doch keine Freiheit im
menschlichen Sinne besitzt? Wo bleiben bei T. Pracdestination
und Vorsehung? Allein, diese und andere Fragen können erst
nach dem Erscheinen des 3. Bandes, der hoffentlich nicht lange
auf sich warten lassen wird, gestellt werden. Erst dann kann auch
«er nicht leichte Versuch gemacht werden, T.s Theologie als
Ganzes zu betrachten und zu würdigen. Heute kann nur wiederhat
werden, daß diese Theologie zu den bedeutendsten Erscheinungen
unseres Geisteslebens gehört und daß die Stellung zu ihr
und ihren Prinzipien über die Zukunft von Theologie und Kirche
ln ^r Welt mit entscheiden wird. —

Derben/Elbo Erik Schmidt

'*n'clou, Jean: Vom Geheimnis der Geschichte. Stuttgart: Schwa-
benverlag [1955]. 404 S. 8° = Peter u. Paul-Bücherei. Lw. DM 14.50.

Das Buch enthält drei große Abschnitte, die durch die Worte
". r^gen", „Geheimnisse" und „Entscheidungen" überschrieben
pnd- Nur der erste Abschnitt befaßt sich mit den Problemen der
^esduchtsphilosophie im engeren Sinn (Verhältnis von Heilsgeschichte
und Profangeschichte, Christentum und außerchrist-
c Kulturen, christliches und marxistisches Geschichtsbild,
Symbolismus und Geschichte). Verf. sieht Heilsgeschichte und

Weltgeschichte in unlöslicher Wechselbeziehung zueinander. Aus
dieser Wechselbeziehung ergeben sich die konkreten Formen des
jeweiligen kulturellen Lebens. „Die Heilsgeschichte umfaßt nicht
nur die beiden Testamente. Sie setzt sich auch in unsere Zeit fort.
Wir selbst leben mitten in der Heilsgeschichte" (S. 18). Aufgabe
der Geschichtstheologie sei, das Verhältnis von christlicher Botschaft
und Welt in jeder Epoche neu zu bestimmen. Dabei müsse
man sich davor hüten, die Formen, die dieses Verhältnis in einer
bestimmten Geschichtsepoche angenommen hat, zu einer idealtypischen
Norm zu erheben und dogmatisch zu kanonisieren.
Ausdruck für ein aktuelles Zusammenstoßen der Heilsgeschichte
mit der Weltgeschichte sei das Martyrium, die aus ihm sich entwickelnde
Theologie häufig der Keimboden für eine Neuorientierung
de6 christlichen Bekenntnisses.

Ähnlich sieht Verf. das Verhältnis des Christentums zu den
Kulturen. Bereits die Übersetzung zentraler theologischer Begriffe
aus einer Sprache und dem ihr zugehörigen Kulturbereich in eine
andere, z. B. die Übersetzung des hebräischen „dabar" in das
griechische „logos", setze das Evangelium in eine bestimmte Beziehung
zur Kultur. Die Hellenisierung des Christentums in den
ersten drei Jahrhunderten habe sowohl in der Dogmatik wie in
der Liturgie feste Formen geschaffen, die für die abendländische
Kirche zufolge ihrer geschichtlichen Tradition verbindlich geworden
seien. Deshalb sei es aber doch nicht erlaubt, afrikanischen
und ostasiatischen Christen zu verbieten, die Wahrheit des Evangeliums
theologisch neu zu formulieren und Christus auf ihre
Weise liturgisch zu verehren. In der gleichen Weise versucht Verf.
die Türen der Kirche nach der Seite des Marxismus hin aufzustoßen
. Kapitel 5 und 6 des Teils I geben einen instruktiven Einblick
in Auseinandersetzungen, wie sie unter den französischen
Arbeiterpriestern geführt worden sind und wohl noch geführt
werden.

Der zweite mit dem Wort „Geheimnisse" überschriebene
Abschnitt des Buches enthält mehrere gleichwichtige exegetische
und dogmatische Besinnungen über die Akte des göttlichen Heilshandelns
in der Geschichte. Verf. bezeichnet sie als die magnalia
Dei. In diesen Betrachtungen verbinden sich Einsichten der heutigen
alttestamentlichen und neutestamentlichen Wiseenschaft
(von manchen möchte man annehmen, daß wesentliche Anregungen
der protestantischen Forschung mitverarbeitet sind) mit dem
Wunsche nach einer pietätvollen Umdeutung des katholischen
Dogmas. Manches ist sehr überraschend. So wird z. B. die klassische
Lehre von der Einheit der göttlichen und menschlichen
Natur in Christus vom Verf. nicht nur ontologisch als Lehre vom
Sein der Person Christi, sondern zugleich eschatologisch als Lehre
von der Bestimmung der mit Christus verbundenen Gemeinde
verstanden. „Wie das Wort in den Strom des Menschengeschlechtes
eingetreten ist, um dieses in sich zu seinem Sinnziel zu führen
, so wirkt es in diesem Menschengeschlecht durch seine Gnade
fort, um es zur Teilnahme an seiner Auferstehung gelangen zu
lassen . . . Dieses Wirken trifft nicht nur die Einzclseele, 6ondern
die ganze Menschheit.. ., und die Geschichte bekommt somit
in dem Maß einen Sinn, als sich in ihr das herausbildet, was da
befreit werden soll" (S. 233). Der Satz: Jesus Christus ist wahrer
Mensch, erhält von da aus einen besonderen Akzent. Denn der
auf dieser Erde weilende Leib des Erhöhten kann 6ein „In-
Christus-Sein" nur in den Formen einer räumlich und zeitlich
artikulierten Menschlichkeit verwirklichen. Dahinter steht die
Absicht, zu verhindern, daß die Gestalt Jesu Christi mit einer
Gloriole umgeben wird, die sie der Wirklichkeit des heute gelebten
Lebens entrückt und ihrem Anspruch an den heute
lebenden Menschen seine Verbindlichkeit nimmt.

Der dritte, mit dem Wort „Entscheidungen" überschriebene
Abschnitt, zieht hieraus die ethischen Konsequenzen. Zum
Christsein in der heutigen Welt gehört ein „geistlicher Mut", der
den Glaubensboten gerade in der Gewißheit um seine Sendung
„in der Regel ein gefährliches Leben führen läßt"; er erfährt
ständige Widersprüche von Seiten seiner Brüder, aber auch beglückende
Bestätigungen der paulinischen Erfahrung, daß „die
? * Christi in den Schwachen mächtig ist" (S. 325 f.). Dazu
gehört ferner „Armut", nicht als Verwirklichung eines mönchischen
Ideals, sondern als eine Konsequenz, die sich aus der Pflicht
zur Aufrichtigkeit und dem Verlangen nach Glaubwürdigkeit der