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Ausgabe:

1959 Nr. 3

Spalte:

213-216

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Henrici, Peter

Titel/Untertitel:

Hegel und Blondel 1959

Rezensent:

Schmidt, Erik

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 3

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PHILOSOPHIE UND REL1GIOJSSPHIWSOPHIE

Henrici, Peter: Hegel und Blondel. Eine Untersuchung über Form
und Sinn der Dialektik in der „Phänomenologie des Geistes" und der
ersten „Action". Pullach bei München: Verlag Berdimanskolleg 1958.
XIX, 208 S. gr. 8° = Pullacher Philosophische Forschungen, hrsg. v.
W. Brugger S. J. u. J. B. Lötz S. J., Bd. III. DM 16.40.

Der Verf. will in seinem Buch einen neuen Weg der philosophischen
Kritik einschlagen. Er geht von der Tatsache der christlichen
Offenbarung aus und mißt daran den Grundchararakter
und die Wahrheit eines philosophischen Systems, um festzustellen,
was 6ich in diesem System nach seiner Struktur überhaupt
denken läßt (V). Diese Methode ist freilich nicht so neu,
wie H. meint, sie findet sich in der Theologie öfter, heute und
in früheren Zeiten. Seine Methode will er an zwei Denkern, Hegel
und Blondel, 60wie an zwei Werken, der Phänomenologie des
Geistes und der Action von 1893, erproben (VI). Man ist zuerst
überrascht, daß ein Denker vom Range Hegels mit einem Philosophen
wie Blondel konfrontiert werden soll. Aber der Verf.
kann zeigen, daß die beiden genannten Werke im Aufbau und in
der Durchführung der Gedanken sehr ähnlich sind, zugleich jedoch
gegensätzlich zueinander stehen (4/6). Dabei geht es H. letztlich
darum, das Verhältnis der Philosophie zur Theologie und zur
christlichen Offenbarung zu bestimmen (2).

H. weist zunächst an Hand der Jugendschriften Hegels auf
die bekannte Tatsache, daß Hegel von religiösen Fragen ausgegangen
ist (9 ff.). Sein Denken entzündete sich an einer persönlich
empfundenen Spannung zwischen Vernunft und Glauben
(14), dem Vernunft-Ideal und dem historisch Tatsächlichen, dem
absolut Geltenden und dem kontingent Positiven (l8/l9). Aber
auch Blondeis Denken ging von praktisch-religiösen Fragen aus,
aus dem Konflikt seines katholischen Glaubens mit seiner rationalistischen
Umwelt (22/24). H. behauptet weiter, beide Systeme
seien a) Philosophien des Konkreten, wobei das Konkrete
des Gedankens gemeint ist, b) Systeme des Panlogismus;
denn beide führen das Logische ins Konkrete ein und entfalten
das jeweilige Konkrete dialektisch (25/28). — Schon hier melden
6ich Bedenken. Es ist fraglich, ob H. den Sinn des Konkreten bei
Hegel richtig verstanden hat, noch fraglicher, ob Hegels System
als panlogistisch bezeichnet werden kann. Die neuere Hegel-
Forschung hat wiederholt betont, daß der Logos bei Hegel nur
ein Moment des Geistes ist, daß der Haymsche Begriff des Panlogismus
daher auf sein System wenig paßt. —

Nach diesen Vorfragen vergleicht H. in eingehenden und
scharfsinnigen Analysen die beiden Werke Hegek und Blondels,
indem ex die Einteilung der Phänomenologie zu Grunde legt, am
Anfang sehr ausführlich referiert, dann immer allgemeiner wird.
Es geht ihm um die Aufdeckung der Struktur der Hegeischen
Dialektik in ihrem Verhältnis zur Blondeischen. Wie charakterisiert
er nun die Dialektik Hegels? Er legt ihr den Begriff der
Dimension zu Grunde. Darunter versteht H. eine notwendige
Neuheit und Andersheit der ontologischen Struktur einer
Gegebenheit (39). Er behauptet, daß Hegels Dialektik jeweils
neben die 1. Dimension, das Gegebene, eine 2., das philosophische
Bewußtsein, setzt. Die 1. Dimension wird bei der Lösung
der Antinomie aufgehoben, sie verschwindet (41). Die 2. Dimension
ist der Ort der Wahrheit und der Wirklichkeit. Das philosophische
Bewußtsein ist mit dem „natürlichen" absolut identisch,
nicht diesem überwertig (42). Dieses wird zum Standpunkt jenes
Bewußtseins hinaufgeführt (43). Es handelt sich dabei um eine
Rückprojektion der Differenz in die 1. Dimension. Unstimmigkeiten
werden in der 2. Dimension synthetisch verbunden. Die
^ntithese tritt als neue These an die Stelle der ersten These

t Q.7)- Gegen diese Art Dialektik erhebt H. zwei Vorwürfe:
^ ->ic i6t eine rein formale Betrachtungsweise, welche die

egebenheiten und Verhältnisse nur auf ihre Formalbestimmun-
läV betrachtet und das Inhaltliche, Existentielle vernach-
B /36)- Dieser Vorwurf des Formalismus kehrt dann im

"ene immer wieder (41. 56. 85. 100. 144 usw.). b) Hegels Dia-
d a „eruht auf einer Vorentscheidung, kraft derer

•e Aufhebung der Sichtweise der 1. Dimension in die der 2. erst
notwendig erscheint (42). Das philosophische Bewußtsein wird

ohne Begründung als das allein maßgebliche hingestellt. Auch
dieser Vorwurf kehrt im Buch immer wieder (60/63. 80. 89. 95.
113. 115. 126 usw.). — Dem gegenüber wird an Blondels Dialektik
gerühmt, daß 6ie weder formal sei noch auf einer Vorentscheidung
beruhe, sondern von den Tatsachen ausgehe, 6ie als transzendente
Nonnen gelten lasse und existentiell sei (64/74). Blondel
kennt eine 3. Dimension, das Jenseits (105), er denkt dreidimensional
(161) und ist ohne theologische Vorentscheidung
für alles Gegebene offen. Er stellt sich der Situation und der Entscheidung
(182/84). — Uns scheint der Vorwurf des „Formalismus
" mindestens schief zu sein. H. hätte diesen Begriff deutlicher
machen sollen, auch hätte er das, was Hegel in seiner Logik
über die Kategorien Form-Inhalt und Form-Materie sagt, mehr
Beachten müssen. Das philosophische Bewußtsein ist bei Hegel
nichts Formales, es ist eminent „existentiell", ist es doch ein
Moment des Geistes selbst, der Geist, der im Philosophen sich
selbst und seinen Gegenstand begreift. In Hegels Dialektik versenkt
sich das philosophische Bewußtsein ganz in das Gegebene,
Objektive, in die „Sache", um ihren immanenten Prozeß zu erfassen
. Es will nichts anderes tun, als die Wirklichkeit widerzuspiegeln
. Allerdings kann das philosophische Bewußtsein nicht
beim Gegebenen, den Tatsachen, stehen bleiben, eine 3. Dimension
anerkennen, ohne 6ie zu begreifen. Denn das ist ja die Aufgabe
der Phänomenologie, die Entwicklung des Geistes, der sich
in Subjekt und Objekt, in Erkenntnis und Gegenstand der Erkenntnis
gespalten hat, zu begreifen. Sie „beobachtet, wie sich
der Geist als natürlicher in der ursprünglich gesetzten Spaltung
des Bewußtseins und des Gegenstandes zu seiner Freiheit, zu dem
An- und Fürsichsein entwickelt, worin ihn das absolute Wissen
nach seiner adäquaten Gestalt begreift" (Lasson, XII, LVID.
Es ist auch nicht richtig, daß die 1. Dimension bei Hegel einfach
verschwindet. Nur ihre antinomische Struktur wird jeweils beseitigt
, indem ihre Momente aufgehoben und bewahrt werden.
Die 2. Dimension ist auch nicht mit der 1. identisch — Hegel
kennt überhaupt nicht eine solche abstrakte Identität! —, sondern
hebt deren Einseitigkeit jeweils auf. Es tritt nicht einfach eine
neue These an die Stelle der früheren, sondern die Synthese
vereinigt die Momente der These und der Antithese. —

Etwas anders liegt die Sache bei dem Vorwurf der „Vorentscheidung
". Es ist wahr, daß Hegel mit der Vorentscheidung
— der absolute Geist i6t die alleinige Wirklichkeit — an die
Phänomenologie herantritt. Diese Einsicht ist eben sein spekulatives
Wissen, jenes philosophische Bewußtsein, das die Entwicklung
des natürlichen Bewußtseins und seines Gegenstandes betrachtet
. Ohne diese Vorentscheidung, ohne dieses Wissen hätte
Hegel sein Werk nicht schreiben können. Weil Blondel die«
Wissen nicht hatte, konnte er keine Phänomenologie des Geistes
schreiben! Ja, wir können noch mehr sagen: Ohne Zweifel
liegt dem ganzen Hegeischen System die frühe Intuition des
Begriffs des absoluten Geistes zu Grunde! Aber — ist Hegel daraus
ein Vorwurf zu machen? Alle großen Erkenntnisse beruhen
auf Intuitionen. Es fragt sich nur, wie diese Intuitionen gedanklich
, begrifflich verarbeitet werden! Hegel begnügt sich nicht
damit, seine Intuition assertorisch hinzustellen, sondern er begründet
sie in seinem grandiosen System Schritt für Schritt an
Hand der Erforschung der Wirklichkeit im Einzelnen. Es ist sehr
leicht, mit Blondel Tatsachen einfach stehen zu lassen oder einer
3- Dimension zuzuweisen, aber es ist die Aufgabe des wahren
Philosophen, alles Tatsächliche wo möglidi in das System begrifflich
einzufügen. Hegel begründet seine Intuition, indem er die
.Anstrengung des Begriffs" auf sich nimmt. Die Notwendigkeit
der Synthesen wird jeweils begrifflich einsichtig gemacht. Hegels
System ist ebenso existentiell, wie es allein auf Tatsachen beruht
. Ob Hegel die angestrebte Durchdringung der Tatsachen
durch den Begriff erreicht hat, ob ihm die gesuchten Synthesen
immer gelungen sind, das ist gewiß eine andere Frage, — nur
einem Gott könnte dies ganz gelingen! Daß er sich aber diese
Aufgabe gestellt hat, ist sein Ruhm als Philosoph und kein methodischer
Fehler. -

Aus seiner Kritik der Hegclschen und Blondelschen Dialektik
zieht der Verf. schließlich die theologischen Konsequenzen.
Gleich zu Anfang hatte er gefragt, wie 6ich Philosophie und
christliche Offenbarung miteinander vereinigen lassen. Jetzt greift