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1959 Nr. 3

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Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 3

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liehen Frömmigkeit in Gestalt von Meditation, Kontemplation und
innerem Gebet mit dem wesensgerediten liturgischen Vollzug besonnen
hat. „Der engste Anschluß an das in der Kirche besonders durch das
Meßopfer und die Sakramente pulsierende Leben Christi wird auch der
individuellen Frömmigkeit mächtiger Ansporn sein" (S. 95).

Die pietas erga homines wird im altsprachlichem Teil zunächst in
ihrem Verhältnis zu Caritas und dilectio erörtert. Ebenfalls wird der
innere Zusammenhang von Caritas wie pietas mit der iustitia und die
gelegentliche Verbindung von pietas und humanitas besprochen. So gewinnt
der Begriff pietas hier den Inhalt von Liebe, Mitleid oder Erbir-
men. Zusammenfassend bezeichnet pietos hier die durch Pflicht uns gebotene
Haltung gegenüber denjenigen, mit welchen wir zusammengehören
, vor allem Eltern, Kindern, Freunden, aber auch Obrigkeit und
Vaterland. In der Vetus Latina wird nur selten das Verhalten zum
Mitmenschen mit pietas bezeichnet, auch in der Vulgata ist das Wort
nicht häufig. Die Väter gebrauchen den Begriff in seiner klassischen
Bedeutung. In der Kultsprache bezeichnet die pietas erga homines die
christliche Nächstenliebe und kirchliche Liebestätigkeit. Wichtig erscheint
hier, daß das Sakramentarium Leonianum die Verpflichtung zur
gegenseitigen Liebe gelegentlich mit dem Empfang des einen heiligen
Brotes begründen kann. Interessant ist ferner der Hinweis, daß die
ecclesiastica pietas, wie sie in Liebeswerken ihren Ausdruck findet, auch
ihre rechtliche Gestalt im kirchlichen Asylrecht und in der kirchlichen
Interzession gefunden hat.

Es mag manchen überraschen, daß die Sprache der Liturgie die Begriffe
pius und pietas zur Bezeichnung von Eigenschaften Gottes verwendet
. Diese bedeutsame Tatsache erläutert der Verf. nicht nur aus
biblischen, sondern auch aus kulturgeschichtlichen Zusammenhängen.
Zunächst freilich zeigt er uns pietas als den Ausdruck einer Wechselbeziehung
zwischen Gott und Mensch in der römischen Literatur bis
zur augusteischen Zeit. Pietas gewinnt hier im Blick auf die Götter
sowohl den Charakter der Gerechtigkeit wie den der Erbarmung und
Güte. Mit Recht macht der Verf. geltend, daß der vaterrechtlich betonte
Familiensinn der Römer nicht nur die patriarchalische Form des
Familien- und Staatslebens bestimmt hat, sondern auch das Walten der
Gottheiten sich demgemäß vorstellte. Von hier aus ergibt es 6ich, daß
die Gottheit ebenso wie der pater familias seinen Schutzbefohlenen
gegenüber zu Gerechtigkeit und Güte verpflichtet ist. Von unmittelbarer
Bedeutung für die liturgische Sprache ist der im zweiten Kapitel
behandelte Gebrauch von pietas als Ausdruck für das Verhältnis zwischen
Herrscher und Untertan in der Kaiserzeit. Auch hier, sozusagen in der
Großfamilie des Staates, geht es wesentlich um eine Wechselbeziehung,
die den Kaiser als Pater patriae genau so verpflichtet wie seine Untertanen
. Wenn der Römer von seinen Göttern die Erwiderung der ihnen
entgegengebrachten pietas erwartete, so mußte sich das in dem Maß
auch auf das Verhältnis zum Kaiser auswirken, in welchem dieser in die
Reihen der Götter aufzurücken begann. So wird im 3. und vor allem
4. Jahrhundert pietas zu einem Lieblingswort des Kaiserkultes. Damit
mag e6 zusammenhängen, daß der Begriff in der ältesten Schicht des
lateinisch-christlichen Schrifttums fehlt. Wo pietas in späteren Schichten
zur Charakteristik Gottes verwendet wird, ist das Wort etwa mit
dementia, also auch einer Herrschertugend, gleichzusetzen. Mit dem
3. Jahrhundert beginnend finden wir pietas als Eigenschaft Gottes auch
im außerbiblischcn kirchlichen Schrifttum. Zunächst scheint man damit
termini des Kaiserkultes antithetisch aufzunehmen. Seit Konstantin
vollzieht sich auch in der Verwendung dieses Begriffes die im weiten
Ausmaß festzustellende Projektion des irdischen Kaiserbildes auf die
Gottesvorstellung. Hieronymus mag deshalb in der Vulgata das Wort
nach Möglichkeit vermieden haben, während seine zunehmende Verwendung
bei Schriftstellern der christlichen Kaiserzeit offenbar macht,
daß nun die volkstümliche Frömmigkeit wie die höfische Theologie die
gleichen Vorstellungen von Gott auf den Kaiser und vom Kaiser auf
Gott übertragen können. Man wird den Ursprung dieser Entwicklung
in der politischen Theologie des Eusebius zu sehen haben. Aber nicht
nur in der kultischen Phraseologie wirkt sich das kultisch-höfische
Zeremoniell der christlichen Kaiserzeit aus, die Liturgiegeschichte zeigt,
daß seit dem 4. Jahrhundert für die gesamte Gestaltung des christlichen
Kultes bis in das Verständnis des liturgischen Raumes hinein das Hofzeremoniell
bestimmend geworden ist. Demgemäß kann der Verf. zur
Deutung der pietas Dei in der Liturgie mit Recht von den Zusammenhängen
zwischen der Majestätsphraseologie und den liturgischen Gottesanreden
ausgehen. Daraus ergibt sich, daß die ältere Liturgiesprache,
wenn sie das Wesen Gottes als pietas charakterisiert, die maiestas Domini
dahinter sieht, die sich in Huld des sündigen Menschen gnädig annimmt
. Gelegentlich können spätere Liturgietexte geradezu pietas durch
maiestas übersetzen. Selbst Wendungen wie paterna pietas, pater
piissime können nicht allein von der im klassischen wie im christlichen
Latein dadurch ausgedrückten Wechselbeziehung Vater-Kind, Kind-
Vater verstanden werden, sondern bedürfen zugleich der Beziehung auf
die kaiserliche pietas im Sinne der gnadenvollen Huld Gottes. Insofern

rückt pietas sehr nahe an den Begriff dementia heran, deren beider Beziehungen
aufeinander in einem besonderen Exkurs behandelt werden.
Während in der eben angedeuteten Verwendung des Wortes pietas das
Tremendum in Gott sich in erster Linie auswirkt, bestimmt sein Fas-
cinans die Benutzung der Wortgruppe pietas im Zusammenhang der
liturgischen Heilands- und Rettertheologie, wobei auch wieder nicht
der Ursprung des Begriffes salvator im Kaiserkult übersehen werden
darf. Auch in der Zusammenstellung mit Providentia und pax wirken
Erwartungen nach, die man einst mit dem Divus Augustus verbunden
hat. Ebenfalls trägt pietas als Eigenschaft des Kyrios-Dominus Christus
im Nachklang des einst mit dem Imperatortitel verbundenen Kyrios-
Dominus Titels einen majestätischen Klang in 6ich. Aber die pietas
Christi zugleich im Sinn der den Seinen zugewandten Huld bedeutet
auch Ausgleich zwischen der Herrschergewalt des Kyrios und der Ohnmacht
der ihm Unterworfenen. Erst der Einfluß der franziskanischen
Frömmigkeit hat diesen liturgischen Christus verdrängt und den dulcis
Jesus der Herz Jesu - Frömmigkeit an seine Stelle gesetzt. Insofern hat
sich in der Gegenwart durch die Reform der Karwoche seitens Pius XH.
eine bedeutsame liturgiegeschichtliche und liturgietheologische Wendung
vollzogen, als durch die Wiedergewinnung des ursprünglichen Reichtums
der österlichen Mysterien wieder der erhöhte und verklärte Herr gemäß
der Klangfülle der älteren liturgischen Sprache in den Vordergrund
getreten ist. Aber immer verbindet sich in der pietas Dei-Vorstellung
für die liturgische Theologie Gottes heilige, überweltlichc Majestät so
mit seiner Gnadenmächtigkeit, daß „keine jansenistische oder calvi-
nistische Gottesferne, kein Erdrücktwerden von der maiestas Domini'
zur Gefahr werden kann. —

Der Verf. verfolgt mit dem vorliegenden Werk zugleich
einen praktisch-theologischen Zweck: er will verhindern, daß
sich „die Gegner liturgischer Gemeinschaftsgottesdienste und die
absoluten Verfechter einer gottseligen Innigkeit auf die Bedeutung
von pietas-pius berufen" können, während er gleichzeitig
dem vorbeugen möchte, „daß durch übertriebenen (liturgischen)
Rigorismus die auch für einen echten und sachgerechten liturgischen
Vollzug unerläßliche Intimsphäre gefährdet wird". Seine
Untersuchungen wollen zugleich helfen, „den Vollzug der Liturgie
mit neuer Liebe und vertieftem Verständnis zu erfüllen". —

Da die Liturgie auch nichtkatholischer abendländischer Kirchen
weithin nur aus ihrem Zusammenhang mit der römischen
Liturgie voll verstanden werden kann, ist mit diesem Buche ein
Dienst geleistet, der auch jenseits der Grenzen der römischen
Kirche und Theologie dem Verf. sehr gedankt werden muß. Man
möchte wünschen, daß er in ähnlicher Weise weitere Zentralbegriffe
der abendländischen Liturgie bearbeitet. Vielleicht wird
schließlich als Zusammenfassung aller gleichartigen Bemühungen
ein Begriffswörterbuch der lateinischen Liturgie möglich, dessen
Unentbehrlichkeit einem ein Werk wie das vorliegende eindrücklich
bewußt machen kann.

Greifswald ' William Nagel

F 1 e t c h e r, R. A.: Three early Byzantine hymns and their place in

the liturgy of the rhurch of Constantinople.

Byzantinische Zeitschrift 51, 1958 S. 53—65.
Haag, Herbert: Zur französischen Orgelkunst (I).

Musik und Kirche 29, 1959 S. 28—33.
H a g e m a n, Howard G.: Three Reformed Liturgies.

Theology Today XV, 1959 S. 507-520.

Mahrenholz, Christhard: 75 Jahre Verband evangelischer Kirchenchöre
Deutschlands.
Musik und Kirche 29, 1959 S. 1—19.

Sittler, Joseph: Die Gestalt de6 Gottesdienstes als Antwort der
Gemeinde.

Ökumenische Rundschau 7, 1958 S.53—65.
S t e g 1 i c h, Rudolf: Wie schön leuchtet der Morgenstern. Über das

Sprechen und Singen alter Liedverse.

Musik und Kirche 29, 1959 S. 20—28.
Trapp, Paul (Bearb.): Der Aufgang aus der Höhe. Liturgische Andachten
zur Weihnachtszeit. Advent bis Epiphanias. Berlin: Evang.

Verlagsanst. [1958]. 30 S. kl. 8°. DM —.35.
Wiese, Klaus M.: Brauchen wir einen „Liturgischen Chor"?

Der Kirchenchor 19, 1959 S. 5—8 (= Beigabc zu Musik und Kirche

29, 1959).