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Ausgabe:

1959 Nr. 3

Spalte:

200

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hickel, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Abendmahl zu Zinzendorfs Zeiten 1959

Rezensent:

Schmidt, Martin

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199

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 3

200

personales Dasein, lebendige Wirklichkeit, die zu glauben ist.
Dies Dasein ist ganz von der Erde, vergänglich, endlich, auch
seine Vernunft ist nicht absolut und kann nicht transzendieren;
der Leib ist ganz ebenso Gottes Schöpfung und Vorsorge. Der
Tod gehört mit zu dieser Ge6chöpflichkeit und ist nidit erst Folge
der Sünde; ohne Verwandlung ist das Irdische nicht unsterblich.
Ebenso ist der Mensch aber auch wieder Ebenbild Gottes, unter
dem Gesamthandeln des Dreieinigen. Auch das Genie lebt aus
dieser Ursprünglichkeit in der Beschränktheit, Abhängigkeit und
Schwäche seiner Gaben. Der ursprüngliche Mensch lebt aus dem
unendlichen Wirken einander im Zueinander entgegengesetzter
Kräfte; seine innere Verborgenheit (Seele) und sein sichtbares
Äußere (Leib) bezeugen das Dasein seiner Ganzheit aus Gott.
Das unsichtbare Wesen unserer Seele offenbart sich durch Men
schenwort; der Fähigkeit zu diesem liegt Gottes Wort zu Grund;
Sprache kommt aus der Rede Gottes in seiner Schöpfung. Mit
dieser Ebenbildlichkeit ist der Mensch ganz auf die Erde gewiesen
, auf ihr als Fürst über die Kreatur fruchtbar zu sein. Das Böse
ist dabei nicht zu erklären; es dient als Instrument in der Ökonomie
Gottes; Satan und sein Übel lebt aus dem Unglauben der
Menschen in der Einheit der Schöpfung. Das Wesen der Sünde ist
Unglaube und allumfassender Widerspruch, nicht Natur des
Menschen, sondern das Uneigentliche an ihm, eine Handlung
nicht seines Seins, sondern seines Bewußtseins, Selbsthaß und
Selbstabgötterei. Dabei kommt alles hinaus nicht auf eine Lehre
über den Menschen, sondern auf die rechte Selbsterkenntnis, in
Glauben, Ärgernis und somatischer Unwissenheit.

Der III. Teil zieht nur kurz die bisherigen Linien aus. Infolge
der Ausweitung des communicatiogedankens fehlen eine
besondere christologische Zweinaturenlehre, die Rechtfertigung,
die Lehre von der Kirche. Das übrige bietet kaum Neues. Der
Gekreuzigte ist der Erhöhte. Der einzelne Christ hat seine Wiedergeburt
zur Eigentlichkeit des Schöpfungsseins, zurück zum
Ursprung, im Verborgenen, als Werden, im Kampf. Ebenso wird
das himmlische Reich auf Erden nicht sichtbar. So sehr Hamann
im dritten Artikel lebte, dem Wissen, theologisch, bleibt es stets
eine „verborgene" Erfüllung. Genügt dies wirklich als Wiedergabe
Hamanns? —

Die vielen sachgemäßen Zitate, die Darstellungsreihe atmen
ganz Geist und Glauben Hamanns. Es gibt kein fremdes System,
etwa das orthodoxe, oder ein suprarationales, als Auffangnetz.
Das Ganze orientiert gut, bequem, alles auf einer Fläche. Dennoch
wird man der Sache nicht recht froh. Der Autor selbst sagt oft
genug: man dürfe aber Hamann um alles nicht zu straff systematisieren
, wenn man auch „solche mehr systematische als historische
Zusammenfassung" versuche; „System an sich" war für
Hamann „Lüge", „ein Hindernis der Wahrheit" (S. 15 f., 24,
75 f., 92); die Interpretation solle nur zum eigenen Lesen Hamanns
anregen (78, 174 etc.). Nicht selten endet die Darstellung
im Paradox (das ist dann das „Ärgernis Hamanns"), oder, etwa
gleich beim Einsatz der Gotteslehre, es regiert der Gedanke der
unerklärlichen überraschenden Gnade mit ihren beiden Seiten,
der (ganz allgemeinen) Herablassung und der (ebenso allgemeinen
) Verborgenheit Gottes. Nicht vereinbare Gegensätze klaffen
auch auf bei der Sprache Gottes (Gotteswort und Menschenwort
39), beim Gedanken des Genius (120 ff.), bei der Frage von Zeit
und Ewigkeit (50 ff., 67), vom Zueinander und Gegeneinander
der Schöpfungsmächte (122), beim Subjekt-Objekt-Denkschema
(173), merkwürdigerweise undeutlicher bei der leidenschaftlich
durchdachten Frage nach dem Bösen (145, 154) und bei der
Wiedergeburt. Andere Gedanken stehen bei Hamann daneben:
die coincidentia oppositorum, mit der Hamann nicht recht zurechtkam
(ob sie wirklich der entscheidende Ausgangspunkt all
6eines Denkens war, scheint mir fraglich), und die ausgeweitete
communicatio idiomatum, die Lehre von der letzten Einheit alles
Göttlichen und Menschlichen überhaupt („ein Grundgesetz und
der Hauptschlüssel" 21, 74, 116u u. a.).

Leibrecht begnügt sich, dies alles aufzureihen, und geht ihm
kaum weiter nach. Die systematisierende Aufnahme genügt. Man
fragt sich immer wieder, ob man nicht den Bedenken gegen eine
Systematisierung radikaler folgen müsse. So dankenswert das
Buch ist, der eigentliche Hamann selbst, die unerhörten Spannungen
und Blitze seiner Denkgewitter, die rätselvollen liefen

der Paradoxien des Magus des Nordens begegnen nicht. Die Faltungen
des Gebirges fehlen, man 6ieht nur die Konturen, und
der Nichtkenner wird irregeführt: eine reichlich seltsame und
eigenwillige und doch wieder glatte Ineinssetzungsorthodoxie,
die man beiseits legt. Zudem entsteht erst recht kein Bild, wie
die meisten Glaubensgedanken Hamanns aus einer Fülle ganz
anderer, philosophischer, ästhetischer, momentgesättigter höchst
geistvoller Betrachtungen sich überraschend entwinden (vgl. die
Urteile Fr. Blankes, K.Gründers 1956, M.Seils 1957). Hamann
wird besser hinausgeführt auf ein Verkündigungsgenie als auf
eine Glaubensgedankensammlung. Zumindest bleibt die Frage
nach einer „Theologie" eines „Theologen" Hamann noch sehr
offen. Seils gibt dazu Aspekte, Leibrecht Bausteine, andere andere
Gesichtspunkte. Vielleicht müßte man erst einmal das Paradox
Hamanns, seine coincidentia oppositorum und seine ursprünglich
sehr paradox entworfene communicatio idiomatum
bis in ihre letzten Wurzeln, Zusammenhänge und Einheit erforschen
. Das Ergebnis könnte man dann vielleicht einer Zusammenschau
zu Grunde legen. Es käme wohl eher auf eine Paradox-
Pansophie als auf eine Theologie hinaus (vgl. auch meinen Aufsatz
„Hamanns Absage an den Existenzialismus", Ztschr. d. Univ.
Rostock 1955/6). — In den genannten Grenzen wird bei dem
allen das Buch von Leibrecht ein gern benutztes Handwerkszeug
sein.

Berlin Wilhelm Kocpp

Hickel, Helmut: Das Abendmahl zu Zinzcndorfs Zeiten. Hamburg:
Appel [1956]. 39 S. 8° = Herrnhuter Hefte 9. DM —.90.

Das kleine Heft gibt in gedrängter Weise eine eindrucksvolle
Darstellung des Brüderabendmahls in seiner praktischen
Gestaltung, in seiner unmittelbaren Erlebnisbedeutung, in seinem
inneren Gewicht, das in der zentralen Stellung der Liebe liegt,
in seiner besonderen lehrmäßigen Ausprägung, die auf den Grafen
Zinzendorf 6elbst zurückgeht. Anschaulich werden die Differenzierungen
der urchristlichen Feier innerhalb der ausgebildeten
Gliederung der Brüdergemeine dargeboten. Im Gegensatz zu der
lutherischen Betonung der Leiblichkeit und Objektivität hebt
der Graf nur seelische Bedingungen als wesentlich für den Abendmahlsempfang
hervor: den Glauben, den lüngersinn und den
Sündersinn, und lehnt Dispute über das Abendmahlsgeheimnis
ab. Das Ganze ruht auf eindringenden, auch archivalischen Studien
. Leider ist die Zitierung und Quellenangabe oft summarisch
ungenau, ebenso die Vertrautheit mit der Gesamtkirchengeschichte
dürftig. Beides vermindert den wissenschaftlichen Wert
der fleißigen kundigen Studie, die für den herrnhutischen Bereich
selbst eine Bereicherung unsrer Kenntnis bedeutet.

jferlia Q. ^ ,jg _ gMartin Seh m id t

Nuntiaturberichte aus Deutschland 1560— 1572
/ nebst ergänzenden Aktenstücken. H. Bd.: Nuntius Commendonr 1560
(Dezember) — 1562 (März). Hrsg. v. A. Wandruszka. VII. Bi:
Nuntius Biglia 1570 (Jänner) — 1571 (April). Aus dem Nachlaß von
I. Ph. Dengel, hrsg. u. eingcl. v. H. Kramer, Graz-Köln: Böhlau
1953 u. 1952. XVI, 183 S. u. XXVI, 105 S. gr. 8° = Nuntiatur-
berichte II. Abt., Bd. II u. VII, hreg. v. d Hi6t. Komm. d. öst. Akademie
d. Wiss. in Wien u. d. öst. Kulturinstitut in Rom. DM 18.80
u. DM 12.80.

Mit den beiden genannten Bänden liegt nunmehr die gesamte
2. Abteilung der Nuntiaturberichte aus Deutschland, die
den Zeitraum von 1560—1572 umspannt, vollständig vor. Dieser
Abschluß einer beinahe 60jährigen Editionsarbeit verdient als
solcher hervorgehoben zu v/erden; denn die in der wissenschaftlichen
Hochstimmung des ausgehenden 19. Jahrhunderts begonnenen
großen Quellenpublikationen sind ja leider nur allzu oft
unvollendet steckengeblieben. Freilich ist die nun abgeschlossene
Reihe selbst nur ein Teilstück der Gesamtausgabe der „Nuntiaturberichte
aus Deutschland", deren Fertigstellung noch keineswegs
abzusehen ist. Zudem ist der ursprüngliche Grundsatz einer möglichst
vollständigen, wortgetreuen Veröffentlichung der Berichte
der Nuntien sowie der an 6ie gerichteten Weisungen zunehmend
durch das Prinzip einer Auswahl in Regestenform abgelöst worden
— zum einen aus finanziellen Gründen, zum andern unter
dem Einfluß einer veränderten wissenschaftlichen Wertung der
Nuntiaturberichte, über die man im übrigen 6ehr verschiedener
Meinung sein kann.