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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

421-422

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Die Existenz der Kirche Jesu Christi 1951

Rezensent:

Schneider, Johannes Ferdinand

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

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Zuhilfenahme der dialektischen Theologie führe letzten Endes nurzu der Feststellung
, daß Christus Gottes Wort nur reden will, weil er Oottes Sohn ist.
..Darum ist der Olaube an das Wort nicht möglich, ohne den Glauben an den
Träger des Wortes" (S. 293). Die Apostel selbst wissen, daß nur die absolute Geschichtlichkeit
des Heilsgeschehens das Heil allein begründen kann (vgl. Joh.
'9. 35; 1. Joh. 5,6; 1. Kor. 15. 12—20; Apg. 1, 22). Auf die Passionsgeschichte
bezogen heißt das: „Das Leiden und Sterben Jesu von Nazareth Ist nicht
untergegangen in einem Glauben und einer Frömmigkeit, an die er selbst nie
dachte, sondern sein Leiden und Sterben bestimmt das Leben der Gemeinde
nach seinem eigenen Willen. In seinem Leiden und Sterben ist die Kirche nach
seinem Willen gegründet" (S. 298). Vom Standpunkt historischer Kritik an der
bisherigen Darstellung des Verf.s wären hier natürlich allerlei Fragen aufzuwerfen
, in welchem Verhältnis hier Gemeinde und Kirche, Kerygma und
Dogma, Schrift und Tradition zueinander stehen, und die protestantische
Wissenschaft hätte hier abweichende Meinungen zu äußern, aber darin kann
man dem Verf. zustimmen: hinter der Passion Jesu wird ein Kerygma sichtbar
, das feste geschichtliche Grundlagen hat.

Auf der letzten Seite seines Buches zieht nun der Verf.
in Übereinstimmung mit vielen protestantischen Forschern
fin Fazit für die Interpretation der Schrift, die, da sie Verkündigung
ist, durch eine angeblich objektive historisch-
kritische Exegese nicht richtig verstanden werden kann, weil
sie — auf den Leser gerichtet und ihn zur Entscheidung fordernd
— ein neutrales Verhalten ausschließt. Es ist gewiß
richtig, daß die Verkündigung (Joh. 20, 31) die Kraft des
Wortes lebendig zu machen hat und daß unsere Evangelien
nicht historische Akten, sondern gläubige Darstellung, die
wieder Glauben wecken soll, bieten wollen, das sehließt aber
die aus wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit geborene Prüfung
der Frage nicht aus, ob nicht die Gemeindetradition als „gläubige
Geschichte" so viel widersprechende Einzelheiten darbietet
, daß man sie unmöglich — Synoptiker und Johannes
zusammenfassend — zu einem „Christusbild" vereinigen kann.
Die übertriebene Skepsis mancher Formgeschichtier vermeiden
, heißt ja nun nicht, mit Hilfe der Formgeschichte
dogmatische Formeln entdecken, mit denen man die Fragen
echter historischer Kritik verdeckt. Der Verf. will gewiß in
Einzelheiten der kritischen Forschung Raum geben, möchte
aber doch im Ganzen alle geschichtlichen Gegensätze durch
ein von Anfang an vorhandenes kirchliches Dogma (mit Hilfe
der Gleichung Urgemeinde = Kirche, Kerygma = Dogma,
synoptischer Jesus = johanneischer Christus) überwölben.
Mit dem Dank für die von ihm empfangene reiche Belehrung
und der erfreulichen Feststellung, wieviel er selbst aus der
modernen protestantischen Forschung in unbefangener Forschung
gelernt hat, wird sich ein erneutes Fragen nach dem
Verhältnis von traditio activa und schöpferischer Phantasie,
Tradition und Schrift verbinden, solange man den Drang nicht
aufgibt, als Historiker zu fragen, wie es eigentlich gewesen ist.
Möglich, daß der fragende Forscher aus den widersprechenden
Jesusdarstellungen sich ein eigenes Bild erarbeiten muß. Möglich
, daß dieses für ihn als geschichtlich wahrscheinliche Bild
von anderen als subjektiv abgelehnt wird. Aber dieses Wagnis
muß jeder eingehen, der nicht widersprechende Tradition
lebendiger Geschichte auf ein allgemein gültiges zeitloses Dogma
reduzieren kann, weil für ihn das Dogma nicht vor, sondern
hinter der Tradition der Urgemeinde kommt. Möchte im
weiteren Ringen um diese Fragen, die der Verf. von seinem
Standpunkt aus mit großer Umsicht erörtert hat, eine weitere
fruchtbare wissenschaftliche Auseinandersetzung und Zusammenarbeit
katholischer und protstantischer Forschung an
dem ihnen gemeinsamen Neuen Testament erfolgen, nachdem
der Verf. mit seinem in langjähriger Arbeit entstandenen Buch
dafür ein so erfreuliches Beispiel gegeben hat!

Greifswald Erich Fascher

Fendt, Leonhard: Die Existenz der Kirche Jesu Christi. Eine Lehre von

der Gemeinde für die Gemeinde Jesu Christi. Stuttgart: Quell-Verlag 1949.

56 S. gr. 8° = Christus in unserer Oegenwart. Eine evang. Schriftenreihe

'■ d. Gemeinde, hrsg. v. Max Loeser Nr.l. DM2.80.

Fendt schreibt nicht für Theologen, sondern für den weiten
Kreis der gebildeten Christen und Nichtchristen. Er will
nicht neue Forschungsergebnisse vortragen, sondern das Bild
von der Kirche Christi zeichnen, das sich auf Grund der theo-
'ogischen Arbeit am Neuen Testament ergibt. Fendt bietet
wirklich in kurzen Zügen eine Lehre von der Gemeinde, überaus
geschickt, oft eigenartig in der Formulierung, kemer Frage
ausweichend, immer im Blick auf den Menschen in der Gegenwart
.

Ergeht aus von dem „Reichsgotteswirken" Jesu. Die Kirche ist „Voranbruch
" des Reiches Gottes zwischen den Tagen Jesu und dem „Anbruch"
lm Triumph der Parusie Christi. Sie hat ihre Existenz aus der „Christustatsache
". Grundlegend ist für Fendt der Satz, daß die Kirche in den Einzelgemeinden
existiert, die durch die Agape miteinander verbunden sind. Die in
der Gemeinde wirkende Dynamis stellt jedes Gemeindeglied in ein Kraftfeld.
Der hl. Geist macht die Christen zu „Tätern der Kirche". So kommt es zum
kirchlichen Amt, das eine Diakonia von Dauer ist. Die Ordnung in den Verhältnissen
der „Dienste" und der „Diener" ist durch das Maß der sich auswirkenden
Pistis und Agape bestimmt. In sehr plastischer Weise heißt es S. 31: „Es wiegt
in der Kirche nur der Mann am ,Handgriff — je weiter einer vom ,Handgriff
ist, desto näher stellt er der Null." Fendt zeigt in einer kurzen kirchengeschichtlichen
Betrachtung, wie es zu der Vielzahl der Kirchen gekommen ist.
Unter den leitenden Gesichtspunkt „Gottes Reichsgottestat in Christus" wird
auch die Erörterung über die Taufe gestellt. Das Bekenntnis der Kirche wird
von der Pistis her begründet („Die Pistis hat auch eine Bekenntnisseite."
„Die Theologie tut die Arbeit des Intellekts im gläubigen Christen."), ebenso
das Gebet („Außer der intellektuellen Seite und der Agape-Seite hat die Pistis
noch die Gebets-Seite."). Den Abschluß bildet der Hinweis auf die Not der
Kirche, die in dem Widerspruch zwischen „der Existenz der Kirche aus der
Existenz Jesu Christi" und ihrer tatsächlichen Erscheinung liegt. Die Lösung
des Widerspruches bringt erst die Zukunft. Zur Lehre von der Kirche gehört
die Eschatologie, zu der die Ekklesiologie nur die „Vorrede" ist.

Die Schrift von Fendt ist reich an neutestamentlichen Erkenntnissen
, praktischen Einsichten und kirchengeschicht-
lichen Ausblicken. Es werden nicht alle Fragen beantwortet,
es werden aber weithin die Anliegen und Probleme des modernen
Menschen berücksichtigt. Was Fendt will, hat er in dem
Vorwort zum Ausdruck gebracht: seine Ausführungen sollen
wohl theologisch, aber in gelöster Form „eine Hilfe für diejenigen
sein, welche in der Angelegenheit,Kirche' nicht bloß nachsprechen
, sondern selbst auf die Suche gehen wollen. Eine Hilfe
auch dazu, die eigentlichen gelehrten Bücher über die Kirche
würdigen und verstehen zu lernen." Aus dieser Absicht muß
die Schrift von Fendt gewertet werden. Vom wissenschaftlichen
Standpunkt wären manche Einwände zu machen, vor
allem gegen den Grundansatz, in dem m. E. das Verhältnis von
Reich Gottes und Kirche nicht genügend geklärt ist. Auch Begriff
und Wesen der Kirche, vor allem im Verständnis des Paulus
, scheinen mir nicht bestimmt und umfassend genug gefaßt
zu sein. Für den praktischen Dienst aber ist die Schrift von
Fendt von großem Wert.

Berlin Johannes Schneider

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Zoff, Otto: Die Hugenotten. Geschichte eines Glaubenskampfes. Konstanz
: Südvcrlag (1948]. 365 S. 8°. Kart. DM7.80.

Otto Zoff, der Verfasser von Dramen, Lustspielen, Romanen
und Kunst-Monographien, beabsichtigt nach dem
Titel in dem Buche die Geschichte des hugenottischen Glau-
benskampfes zu geben. Der behandelte Stoff wird auf etwa
das erste Jahrhundert des Calvinismus in Frankreich beschränkt
unter Beiseitelassung der eigentlichen Glaubens-
kämpfe der Reformierten zwischen 1680 und 1750, und beschäftigt
sich hauptsächlich mit den Religionskriegen. Dementsprechend
wird der Untertitel vom „Glaubenskampf"
berichtigt durch die letzten Zeilen des Buchs, nach denen „der
Mut des Menschen seine größte . . . Hoffnung ist". Für Zoff
war die Reformation in Frankreich eine, wie er sagt, Emanzipation
des Einzelnen zur Verantwortlichkeit für das, was er
überlegt und tut, und sie forderte die „Souveränität des Individuums
". Er spricht dem Leser vom „naiven, blinden und
rührenden Heroismus der ersten Calvinisten Frankreichs" und
von seiner „Entzündung durch den revolutionären Gedanken,
die Macht der Großen zu brechen". Endlich bekennt sich denn
nach Zoff „die hugenottische Bewegung klar als der erste große
Versuch einer bürgerlichen Revolution". Die Urteile des Buchs
überraschen durch ihre Ungewöhnliclikeit. Luther wird romantisch
und visionär genannt. Im Calvinismus „starrt" (gegenüber
der „weitherzigen katholischen Toleranz für den Status
naturae") „ein steiler eisiger Hochmut mitleidlos auf die Verworfenen
herab". Der französische Adel der Calvinisten bekennt
sich als „Schufte von Qualität, denen der Diebstahl und
Mord so familiär ist, wie das Essen und Trinken". Admiral
Cohgnys Charakter hat „dämonische Hiiitergründigkeit". Der
adlige Jurist und Reformator Beza — den doch ein Zeuge des
Religionsgesprächs von Poissy beschrieben hatte als „homme
dou6 d'un beau visage, ayant l'air fin et delicat, employant
des manieres distinguees, agreables, . . . familier avec les belles-
lettres, la philosophie et le droit ..." — wird von dem Verf.
bei seinem Auftreten in Poissy beschrieben als ein „robuster,
bäuerischer humorvoller Kerl, furchtlos und pfiffig grinsend
über das breite Gesicht".

Wenn sich der geschichtlich interessierte Leser an den
alten Satz erinnert, nach welchem Historie in dem Geist ge-