01.01.2013

Schule und Religion im Kontext von Pluralität 11.–12. Oktober 2012, Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien-Krems

Im Oktober 2011 fand an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg der erste Teil einer gemeinsamen Tagung der Universität Wien, der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien-Krems (KPH), des Comenius Instituts Münster und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zum Thema »Schule und Religion« statt, die sich zunächst dem Kontext der Konfessionslosigkeit widmete. Der zugehörige Tagungsband, herausgegeben von Michael Domsgen, Henning Schluß und Matthias Spenn, erschien 2012 bei Vandenhoeck & Ruprecht unter dem Titel »Was gehen uns ›die anderen‹ an? Schule und Religion in der Säkularität«. Der Tagungsort des zweiten Teils über das Thema »Schule und Religion im Kontext religiöser Pluralität«, die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien-Krems, war erneut programmatisch ausgewählt worden: Fünf christliche Konfessionen sind dort in ein gemeinsames Konzept der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern integriert, die das Ziel verfolgt, ein interkulturelles, interreligiöses und interkonfessionelles Lernen in Europa zu ermöglichen. Wie sich dieses Ziel in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft verwirklichen lässt, wurde vom 11.–12. Oktober 2012 von etwa 80 Teilnehmern aus Wissenschaft und Praxis unter verschiedenen Aspekten diskutiert.
Dass die Religion in Europa nicht einfach an Bedeutung verliert, so wie es die Säkularisierungsthese besagt, sondern sich in einem umfassenden Transformationsprozess befindet, explizierte Ass.-Prof. Dr. Regina Polak (Wien) in ihrem Vortrag »Schule im Spannungsfeld sozioreligiöser Transformationsprozesse«. Die in der Gegenwart diagnostizierte religiöse Pluralisierung sei auf die zunehmende Individualisierung innerhalb der modernen Gesellschaft zurückzuführen und könne nicht per se als Krise gedeutet werden. Als die eigentliche Herausforderung dieses Transformationsprozesses nannte sie die Frage, wie die institutionell verfassten Religionen mit diesem Wandel umzugehen vermögen.
Auch Prof. Dr. Bernhard Dressler (Marburg) vertrat in seinem Vortrag »Schule im Spannungsfeld von religiöser und kultureller Pluralität« die These, dass Religion auch in der Postmoderne konstitutiver Bestandteil der Gesellschaft bleibe. Als Grundforderung an die in der Schule zu vermittelnde religiöse Mündigkeit nannte er die Fähigkeit, sich über Religion verständigen zu können, ohne sich zwingend auch religiös verständigen zu müssen (Luhmann). Dafür müssten die Schülerinnen und Schüler in der Lage sein, sich Orientierungswissen zu ihrer eigenen und zu anderen Religionen erschließen zu können. Um diese Fähigkeit im Religionsunterricht zu erwerben, sei es nötig, dass eine Religion sowohl aus ihrer Binnenperspektive wie aus ihrer kulturellen Form von den Schülerinnen und Schülern verstanden werde. Mit Rekurs auf Schleiermacher legte er dar, dass im Unterricht nicht nur Wissen über die jeweilige Religion mitgeteilt werden solle, sondern diese auch performativ zur Darstellung gelangen müsse.
Am Nachmittag konnte das Thema der Tagung in verschiedenen Workshops mit Schwerpunkten zu Konfessionellen Schulen (mit den Referentinnen Zeynep Elibol, Michal Grünberger, Susanne Kleeber, Karin Kuttner und Helene Miklas), Interkonfessionellem Lernen (mit Johanna Uljas-Lutz, Pavel Mikluscak und Nicolae Dura), dem Verhältnis von Religions- und Ethikunterricht (mit Birgit Moser-Zoundjiekpon, Nikolaus Scherak und Susanne Tschida), zu interreligiösen Studentenbegegnungen im Rahmen der Lehrerbildung an der KPH (mit Alfred Garcia Sobreira-Majer und Amena Shakir), zu Schulpastoral und Schulseelsorge (mit Anton Salomon, Anne-Kathrin Wenk und Heike Wolf), zu einem Forschungsprojekt zur Anerkennung religiöser Diversität (mit Elisabeth Kasper und Barbara Wandl) und zur Beteiligung von Religionslehrerinnen und -lehrern in der Schulentwicklung (mit Edda Strutzenberger) vertieft werden.
Im Anschluss betonte Prof. Dr. Ednan Aslan (Wien) mit dem Vortrag »Islamische Schülerinnen und Schüler in der Schule der pluralen Gesellschaft« die Bedeutung des islamischen Religionsunterrichts für eine Reform der islamischen Theologie. Die vorherrschende »Theologie der Angst« könne durch eine »Theologie der Integration« in die westliche Gesellschaft überwunden werden. Was interreligiöse Kompetenz an der öffentlichen Schule bedeutet, deklinierte PD Dr. Dr. Joachim Willems (Berlin) in seinem gleichnamigen Vortrag durch. Einen gelungen Ausklang fand der erste Tagungstag dann in einem Wiener Heurigen, wo die religiöse Färbung Wiens durch traditionelles Liedgut hör- und erlebbar wurde.
Am nächsten Tag wurden dann die Perspektiven der vorangegangenen und der aktuellen Tagung bei der Frage nach Konzepten, Erfahrungen und Perspektiven der LehrerInnenbildung zusammengeführt. Für den Kontext der religiösen Pluralität erläuterten diese Frage Prof. Dr. Thomas Krobath, Dr. Helene Miklas und Dr. Georg Ritzer von der KPH Wien-Krems. Den Kontext der Konfessionslosigkeit vertrat Prof. Dr. Michael Domsgen von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Deutlich wurde, dass in beiden Kontexten die Entwicklung von Pluralitätsfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern ein zentrales Anliegen der Ausbildung ist. Michael Domsgen plädierte dafür, den Begriff der religiösen Pluralität im Kontext von Konfessionslosigkeit neu zu profilieren, schließlich seien auch die sog. Konfessionslosen keine homogene Gruppe und bei Weitem nicht per se als areligiös einzustufen. Die individuellen Strategien zur Lebensbewältigung sollten außerhalb des Gegensatzes von Glauben und Unglauben in den Blick genommen werden.
Weiter wurde das Projekt »Religiöse Kompetenz und religiöse Pluralität« (REBIKO) von Ass.-Prof. Dr. Andrea Lehner-Hartmann, Prof. Dr. Martin Rothgangel, Prof. Dr. Henning Schluß und Halid Akpinar M. A. (Wien) vorgestellt. Dieses Projekt hat es sich zum Ziel gemacht, die religiöse Kompetenz als Partizipationsfähigkeit an einer pluralen Gesellschaft zu untersuchen. Im letzten Vortrag der Tagung verdeutlichte Prof. Dr. Martin Jäggle (Wien), wie sich in einer pluralen Schullandschaft eine Kultur der Anerkennung entwickeln ließe. Er unterstrich nachdrücklich, dass Diversitäten in einer stetig pluraler werdenden Gesellschaft als Ressource zu begreifen seien.
Matthias Spenn vom Comenius Institut Münster beschloss die Tagung mit einer Zusammenfassung der Diskussionsergebnisse und zeigte Perspektiven für die Weiterarbeit an der Thematik in den unterschiedlichen Schul-, Kultur- und Religionskontexten auf.

Halle (Saale)
Matthias Müller und Emilia Handke