01.06.2022

Bericht zur Tagung »Otto Piper. Eine theologisch-politische Biographie zwischen den Welten« am 1. und 2. April 2022 in Hannover; Veranstalter: Prof. Dr. Marco Hofheinz und Dr. Hendrik Niether (beide Leibniz Universität Hannover)

Aus Anlass des 40. Todestages des Theologen Otto A. Piper (1891–1982) fand vom 1. bis zum 2. April 2022 die Tagung »Otto Piper. Eine theologisch-politische Biographie zwischen den Welten« in den Räumen des Reformierten Bundes in Hannover statt. Eingeladen hatten Prof. Dr. Marco Hofheinz und Dr. Hendrik Niether im Namen des Lehrstuhls für Systematische Theologie am Institut für Theologie der Leibniz Universität Hannover. In diesem Rahmen befasste sich ein zwölfköpfiges Expertengremium mit Fragen nach der Biographie Pipers, seiner politischen Haltung und seiner Theologie. Insbesondere Pipers Ethik und Ekklesiologie wurden in den Blick genommen und zu seiner Lebensgeschichte in Relation gesetzt. Eine wesentliche übergeordnete Erkenntnis war, wie wichtig eine integrative Analyse der Linien Theologie, Biographie und Politik gerade auch, aber nicht nur im Hinblick auf die Ethik ist.

Die Tagung gliederte sich in drei Panels:

Nach der Eröffnung durch die Veranstalter ging es in dem ersten Panel zunächst um eine methodische Annäherung an die Biographie- und Konstellationsforschung zur (Kirchen-)Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Prof. Dr. Angelika Schaser (Hamburg) setzte sich mit der Rolle und Bedeutung von Biographien aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive auseinander. Sie benannte Kriterien, an denen sich eine wissenschaftliche Biographie orientieren sollte, wie das Deutlichmachen von erkenntnisleitenden Interessen oder die Auslotung von Entwicklung, Denken und Handeln einer Person in Beziehung zu den bewegenden Kräften ihrer Zeit. Auch Fragen nach der Repräsentativität von Biographien müssten geklärt werden.

Im Anschluss daran befasste sich Prof. Dr. Alf Christophersen (Wuppertal) mit der Frage nach der Biographie im Spannungsfeld von Konstellation, Institution und politischer Veränderungsdynamik. Er machte deutlich, dass Biographien und Konstellationen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften, sondern dass es zur Erschließung von Biographien notwendig sei, sich auch mit dem Ausmessen von Denkräumen in ihrem jeweiligen diskursiven Kontext zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang wies Christophersen auch auf die Bedeutung der Begriffsgeschichte speziell für das »Diskurslaboratorium« Weimarer Republik hin.

Im Mittelpunkt des zweiten Panels stand Otto Pipers lebens- und geistesgeschichtlicher Werdegang vor und während der Weimarer Republik.

Dr. Hendrik Niether (Hannover) legte einen Schwerpunkt auf Pipers Jugend, die Studienjahre und die Zeit des Ersten Weltkriegs und zeigte auf, wie groß Pipers Bedeutung für die Geschichte der Jugendbewegung als Mitbegründer des Jungwandervogels war und wie sein Weg vom jungen Suchenden eines radikal Neuen im Verhältnis zum theologischen Liberalismus, zur Dialektischen Theologie, zum Religiösen Sozialismus und zur Lutherrenaissance bis hin zur Konzipierung seines Neurealismus verlief.

Dr. Hansjörg Buss (Siegen) nahm daraufhin den »Fall Piper« vom Sommer 1923 in den Blick und setzte dieses Ereignis in Relation zur Geschichte der Göttinger Theologischen Fakultät. Dabei verstand er den »Fall Piper« als einen Vorläufer der vergleichbaren Fälle um Theodor Lessing, Otto Baumgarten und Günter Dehn.

Im Anschluss daran sprach Dr. Roger Mielke (Koblenz) über das Verhältnis von Otto Piper und Erik Peterson, die von 1920 bis 1925 beide an der Göttinger Fakultät arbeiteten und dort als Außenseiter galten. Der später zum katholischen Glauben konvertierte Peterson übte erheblichen Einfluss auf Pipers Ekklesiologie aus, wenn er auch wesentlich polemischer argumentierte.

Den Abschluss des Panels bildete der Beitrag von Aneke Dornbusch (Bonn), die den Protagonisten ihres vor Kurzem abgeschlossenen Dissertationsprojekts, den Göttinger Kirchenhistoriker Hermann Dörries, mit Otto Piper im Sinne zweier Kontrastfiguren in der Weimarer Republik verglich. Hier zeigte sich, wie sehr Hermann Dörries hinsichtlich seiner akademischen Karriere durch seine familiäre Herkunft im Vorteil war gegenüber dem Außenseiter Piper. Es zeigte sich aber auch, dass allein ein multikausaler Ansatz, der Prägungen, Persönlichkeitsmerkmale sowie zeitgeschichtliche Kontexte und Diskurse gleichermaßen berücksichtigt, adäquate Erklärungsmuster auch im Hinblick auf theologische und politische Einstellungen liefern kann.

Das dritte Panel befasste sich unter den Stichworten »Ethik, Emigration, Exil« zum einen mit Pipers Ethik, zum anderen mit seinem Lebensweg nach 1933.

Zunächst näherte sich Prof. Dr. Hans G. Ulrich (Erlangen) anhand von Pipers zweibändigem Hauptwerk »Die Grundlagen der evangelischen Ethik« von 1928/30 dessen Konzipierung eines lutherischen Neurealismus und den daraus abgeleiteten ethischen Implikationen an. Piper lieferte in diesem Werk eine dramatische Darlegung der Wirklichkeit des glaubenden Protestanten, indem er die göttliche Heilsgeschichte streng von der weltlichen Historie trennte. Ulrich sah in Pipers Wirklichkeitsverständnis deutliche Parallelen zu Karl Barth, Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer.

In seinem Beitrag zum Verhältnis von Otto Piper zu Paul Leo ging Dr. Carsten Linden (Lemförde) anschließend auf Pipers Emigration und insbesondere die Hilfe ein, die Piper als Professor in Princeton dem ebenfalls emigrierten Osnabrücker Pfarrer Paul Leo, der jüdischer Herkunft war, leistete, indem er ihm eine Pfarrstelle in den USA vermittelte und seine Tochter bei sich aufnahm, bis Leo sich beruflich etabliert hatte.

Prof. Dr. Clifton Black (Princeton, USA) befasste sich ebenfalls mit Otto Pipers Zeit in den USA als Professor für Literatur und Exegese des Neuen Testaments mit einem Schwerpunkt auf dem Markus-Evangelium. Piper hinterließ großen Eindruck auf seine Studierenden und setzte sich selbstlos für die Unterstützung der Bevölkerung im Nachkriegsdeutschland durch CARE-Pakete ein, wofür er 1960 das Bundesverdienstkreuz überreicht bekam.

Im Anschluss daran setzte sich Prof. Dr. Peter Browning (Springfield, Missouri, USA) mit Pipers letztem Werk, einer aktualisierten amerikanischen Fassung seiner Grundlagen-Ethik aus dem Jahr 1970, auseinander. Er arbeitete »three gifts« heraus, die auch der heutigen Sozial- und Individualethik noch wichtige Impulse liefern können: 1. Gott ist der Handelnde; nicht die Menschen können Erlösung bewirken; 2. die strikte Trennung von Heilsgeschichte und irdischer Geschichte; 3. die Erinnerung an die Autorität der Kirche.

Den abschließenden Beitrag lieferte Prof. Dr. Marco Hofheinz (Hannover) mit einer Analyse von Pipers Sexualethik und einem besonderen Blick auf Pipers ambivalenter Haltung zur Homosexualität. Hofheinz betonte, dass Piper als ein »Kind seiner Zeit« im Hinblick auf die Frage nach den Geschlechterrollen aus heutiger Sicht zwar konservativ und ordnungstheologisch orientiert erscheint, aber im Hinblick auf die zeitgenössischen Diskurse durchaus fortschrittlich argumentierte, beispielsweise wenn er Homosexualität als ein angeborenes Phänomen verstand.

Die Ergebnisse der Tagung sollen in einem Sammelband zusammengefasst werden.


Veranstaltungsverlauf:

Freitag, 01.04.2022

Eröffnung
13.00–13.30 Uhr: Prof. Dr. Marco Hofheinz/Dr. Hendrik Niether (Hannover): Begrüßung und Fragehorizont.

Methodische Annäherung: Biographie- und Konstellationsforschung zur (Kirchen-)Geschichte des 20. Jahrhunderts
13.35–14.20 Uhr: Prof. Dr. Angelika Schaser (Hamburg): Rolle und Bedeutung von Biographien in der Geschichtswissenschaft des 21. Jahrhunderts.
14.25–14.55 Uhr: Kaffeepause
14.55–15.40 Uhr: Prof. Dr. Alf Christophersen (Wuppertal): Biographie im Spannungsfeld von Konstellation, Institution und politischer Veränderungsdynamik.

Piper vor und während der Weimarer Republik
15.45–16.30 Uhr: Dr. Hendrik Niether (Hannover): Otto Piper. Eine Biographie zwischen Jugendbewegung, Sozialismus, Theologie und Exil.
16.35–17.20 Uhr: Dr. Hansjörg Buss (Siegen): »Der Göttinger Zwischenfall hat sich nun wohl glücklich erledigt. Aber die große Schwüle nicht, die über uns brütet. Was für ein Gewitter wird sie noch ausbrüten.« Der ›Fall Piper‹ und die Göttinger Theologische Fakultät (1923).

18.00–19.00 Uhr: Abendessen
19.15–20.00 Uhr: Dr. Benedikt Brunner (Mainz): »Weltliches Christentum« bei Otto A. Piper und Heinz-Dietrich Wendland. Vergleichende Perspektiven auf ein folgenreiches Konzept.
20.05–20.50 Uhr: Dr. Roger Mielke (Koblenz): Erik Peterson und Otto Piper: »Theologie und reine Lehre« (1926).

Samstag, 02.04.2022

09.00–09.45 Uhr: Aneke Dornbusch, Mag. Theol. (Bonn): Zwei junge Theologen und die politischen Herausforderungen ihrer Zeit: Berührungspunkte und Trennungslinien zwischen Otto Piper und Hermann Dörries.

Ethik, Emigration, Exil
09.50–10.35 Uhr: Prof. Dr. Hans G. Ulrich (Erlangen): Pipers »Hauptwerk«: Die Grundlagen der evangelischen Ethik (1928/30).

10.35–11.05 Uhr: Kaffeepause

11.05–11.50 Uhr: Dr. Carsten Linden (Lemförde): Paul Leo: Vertreter der Jungevangelischen Bewegung und Freund Pipers in der Emigration.
11.55–12.40 Uhr: Prof. Dr. Clifton Black (Princeton): Piper in Princeton: Scholar, Teacher, Gentleman.

12.50–14.00 Uhr: Mittagessen

14.00–14.45 Uhr: Prof. Dr. Peter Browning (Springfield, Missouri, USA): Pipers »Christian Ethics« (1970).
14.50–15.35 Uhr: Prof. Dr. Marco Hofheinz (Hannover): Ein »Kind seiner Zeit«? Der Versuch einer kritischen Würdigung von Otto Pipers sexualethischen Ausführungen zur Homosexualität in ihrem historischen Kontext.

Abschluss
15.40–16.15 Uhr: Prof. Dr. Marco Hofheinz/ Dr. Hendrik Niether (Hannover): Zur Bedeutung Pipers im Kontext der Theologie- und Zeitgeschichte. Bündelung der Ergebnisse und Abschlussdiskussion

Autor: Dr. Hendrik Niether, Institut für Theologie, Leibniz Universität Hannover
Kontakt: hendrik.niether@theo.uni-hannover.de