Book of the month: September 2021

Root, Andrew

The Pastor in a Secular Age. Ministry to People Who No Longer Need a God.

Michigan: Baker Academic 2019. 320 S. = Ministry in a Secular Age, 2. Kart. EUR 22,90. ISBN 9780801098475.

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Andrew Root lehrt und forscht am Luther Seminary in St. Paul (MN) und am Theological Seminary Princeton (NJ). Er gilt in den USA als einer der bekanntesten Praktischen Theologen. Seine Publikationen drehen sich um Themen der Jugendarbeit und Pastoraltheologie. Schon in seinem ersten Buch »Revisiting Relational Ministry« (2007) gab er der Jugendpastoral eine dezidiert theologisch neue Richtung vor. Seither hat er 17 Bücher veröffentlicht – viele davon sind Bestseller, die auch in Großbritannien, Südafrika und Australien gelesen werden.
Das Buch »The Pastor in a Secular Age« ist der zweite Band einer Trilogie, die bei Baker Academic herausgekommen ist und den Titel »Ministry in a Secular Age« trägt. Die Verortung der Pastoraltheologie im Kontext des säkularen Zeitalters zieht die Verbindung zu Charles Taylors Opus Magnum »Secular Age« (2007). Auf Taylors Grundüberzeugungen kommt Root immer wieder zurück. Sie werden nicht diskutiert. Sie bilden den theoretischen Rahmen. Wer Root liest, bekommt es also mit Taylor zu tun.
Wie lohnend seine Auslegung und Fortführung ist, beweist dieser zweite Band. Taylors Einsichten werden in einer Weise pastoraltheologisch fruchtbar gemacht, die im deutschsprachigen Raum – zumal in der Kategorie der akademisch theologischen Literatur – eher unüblich ist. Root schreibt in der ersten Person Singular, erzählt Storys, nimmt Bezug auf Kinofilme, Theaterstücke und Romane, legt biblische Texte aus und holt Anlauf bei systematischen Theologen. Es ist ein kunstvoll gewobenes Stück theologische Literatur, das mal im lockeren Plauderton daherkommt und doch nie flach wird. Root ist ein begnadeter Erzähler und er beherrscht die Kunst, Komplexes präzise zu reduzieren und Schweres mit seinem köstlichen Humor leicht zu machen.
Inhaltlich geht es in »The Pastor in a Secular Age« darum, den Ball aufzunehmen, den Taylor geworfen hat. Ein Kerngedanke, der immer wieder aufgegriffen wird, ist das Konzept des »immanent frame«. Root folgt Taylors Annahme, dass Säkularität den Sinn für Transzendenz ausschließt. Taylor sagt es so: »The door is barred against further discovery.« (Secular Age, 2007, 769) Folglich gleicht die säkulare Kultur einer Wüste. Und darin besteht die Herausforderung und zugleich die Chance: Gott jenseits der Grenzen zu begegnen, die der Rahmen der Immanenz setzt, in einem Jenseits, das nicht aristotelisch organisiert, sondern wild und wüst ist. Vor allem junge Leute zieht es dort hin. Denn »in the secular ›waste land‹ ... young people will begin again to explore beyond the boundaries.« (770) Sie suchen einen Gott, den sie weder als wissenschaftlichen noch als moralischen Lückenbüßer benötigen, einen Gott, der lebt und sein Leben aufgibt, um den Menschen nahe zu sein, um ihnen zu dienen. Root sagt, es gehe in seinem Buch um den Dienst an Menschen »who no longer need a God«. Die Formulierung erinnert an die Fragmente aus Bonhoeffers theologischem Vermächtnis. Tatsächlich ist Dietrich Bonhoeffer einer von Roots wichtigen Zeugen. Root wird alttestamentlich, wagt sich an die Geschichte der Hagar und liefert immer wieder Beispiele dafür, was eine nichtreligiöse Interpretation bedeuten kann. Er führt aus, worüber Bonhoeffer im Tegeler Gefängnis nachdachte.
Ein wichtiges Mittel sind die Storys. Root erzählt von einem Arzt, der sein Leben dafür einsetzt, andere vom Krebs zu heilen und am Ende selbst an Krebs erkrankt. Es ist die Geschichte von Paul Kalanithi. Das Buch (When Breath Becomes Air, New York 2016) war ein Bestseller. Root verwendet die Geschichte als Parabel für den Dienst (Ministry). Wer verstehen will, was dienen theologisch bedeutet, muss in das Land, das wüst und leer ist. Dienst ist der Türöffner. Der Dienst führt hinaus in die Wüste und in der Wüste begegnet man Gott, der dienen will. Dienst geht tiefer als soziales Handeln und ist mehr als eine (flach verstandene) Diakonie. »Ministry«, so Root, »is a robust theological category that brings divine action into human experience, helping to recognite God’s presence, even in a secular age«. (xxxii)
Wenn Root die Kirche und den Dienst der Pfarrerin durch die Linse des Dienstes betrachtet, macht er das nicht theoretisch, sondern in einer höchst anschaulichen Serie von Typen. Der erste Teil des Buches bietet dichte Beschreibungen von Menschen, die im Dienst der Kirche gestanden sind und ihre Aufgabe erfüllt haben: Augustin, Thomas Becket, Jonathan Edwards, Henry Ward Beecher, Harry Emerson Fosdick und Rick Warren. Im kühnen Bogen über die Geschichte werden die jeweiligen historischen Kontexte dieser Diensttypen ausgeleuchtet. Besonders spannend ist der letzte Typus. Mit Rick Warren kommt Root auf den Typus des Pastors zu sprechen, der in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahrzehnten als (evangelikales) Erfolgsmodell gegolten hat. Für Root ist es ein Auslaufmodell. Seine Kritik ist radikal, theologisch robust und für die innerevangelische Ökumene hochrelevant. Denn gegen das, was Root »Pastoral Malaise« nennt, helfen die aufgedonnerten Programme der Konsumreligion nicht. Relevant ist diese scharfe Analyse nicht nur für das hochreligiöse Milieu der Jesusliebhaber. Sie gilt genauso für die Kasualkirche. In Taylors Theorie verstärkt das Streben der religiösen Dienstleister, dem expressiven Individualismus der Bedürfnisgruppen gerecht zu werden, die Folgen des Zerfalls. Wer Dienst als Service für den Kunden begreift, gerät nur immer tiefer in den Strudel der Erschöpfung.
Root hat die wunderbare Gabe, die Essenz der lutherischen theologia crucis in aufregend neuer Weise fruchtbar zu machen. Seine Schlüsselgeschichten sind die der Hagar, die Berufung Mose und der Exodus. Es geht ihm um das existenzielle Momentum in diesen Erzählungen, um die Anfechtung, in der sich Gott den Figuren zur Erfahrung bringt, um sie aufzusuchen. Am äußersten Rand, angesichts der Aussichtslosigkeit, zeigt sich, worum es im Dienst für den Mitmenschen geht. »Up against nothingness, the pastor arrives to be present, witnessing with this presence that God too can and will arrive with ministry in just such times and places.« (207) Roots kreuzestheologisch orientierte Pastoraltheologie hängt – um es ein wenig flapsig zu sagen – nicht ständig in Getsemani herum. In immer wieder überraschenden und berührenden Episoden, alten und neuen Geschichten führt die Lektüre an den Punkt, wo man sich selbst fragt, was es heißt, dem lebendigen Gott zu dienen. Ob man diesen Stil des Theologisierens mag oder nicht, mögen manche als Geschmackssache empfinden. Wer sich mit den Antworten auseinandersetzt, die Andrew Root seinen Lesern zumutet, hat gute Aussichten, darin einen Sinn und Geschmack für das Unendliche wiederzuentdecken.

Ralph Kunz (Zürich)

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