Buch des Monats: September 2013

Hrsg. Von Christoph Markschies und Jens Schröter in Verbindung mit A. Heiser. 7. Aufl. der von E. Hennecke begründeten und von W. Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen. I.

Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Band: Evangelien und Verwandtes. 2 Teilbände.

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XXV, 1468 S. m. Tab. 25,4 x 18,4 cm. EUR 249,00. ISBN 978-3-16-150087-9.

Nur wenige Werke der Bibelwissenschaft, eigentlich nur Jahrhundertwerke, sind mit den Namen ihrer Herausgeber derart verbunden, dass sie allein durch diesen Namen, gern mit bestimmtem Artikel versehen, ohne weiteres identifiziert werden können, „der Nestle“ etwa, „der Strack-Billerbeck“ und eben „der Hennecke-Schneemelcher“, die Sammlung „Neutestamentlicher Apokryphen in deutscher Übersetzung“, die in erster Auflage 1904 von dem niedersächsischen Landpastor Edgar Hennecke begründet, nach dem Zweiten Weltkrieg von dem Bonner Kirchengeschichtler Wilhelm Schneemelcher übernommen und auf zwei Bände erweitert in dritter Auflage 1959 und 1964 herausgegeben worden war. Eine 5. neu bearbeitete und erweiterte Auflage erschien, nur noch unter Schneemelchers Namen, in den Jahren 1987 und 1989.
Wer ein solches Werk neu herausbringt und unter eigenem Namen publiziert, der tritt in wahrlich große Fußstapfen. Ob man später einmal von „dem Markschies-Schröter“ sprechen wird, bleibt abzuwarten (schon phonetisch ist das eine Herausforderung). Jedenfalls verdienen die beiden auf dem Gebiet der antiken frühchristlichen Literatur bestens ausgewiesenen Gelehrten alle Anerkennung dafür, dass sie sich der Aufgabe gestellt haben, das große Sammelwerk gemeinsam mit einer großen Zahl meist jüngerer Forscher auf den aktuellen Stand der Forschung zu bringen. Der wissenschaftliche Gewinn der Neuausgabe wird nach Erscheinen des Gesamtwerks, von dem einstweilen nur der erste Band in zwei Teilbänden vorliegt, zu gegebener Zeit in der Theologischen Literaturzeitung zu würdigen sein. Hier kann nur ankündigend auf die Bedeutung des Unternehmens hingewiesen und dazu aufgefordert werden, es sogleich kräftig zu gebrauchen.
Eine wesentliche Weiterentwicklung der Forschungsperspektive zeigt sich im neuen Titel der Ausgabe. Hatte sich der Begriff „Neutestamentliche Apokryphen“, nicht zuletzt durch den Hennecke-Schneemelcher selbst, derart verselbständigt, dass nicht wenige Theologiestudenten bis heute meinen, er beziehe sich auf eine im Zuge der altkirchlichen Kanonbildung entstandene, quasi „deuterokanonische“ Sammlung in Ergänzung zum Neuen Testament, analog zu den Apokryphen des Alten Testaments, die in der Septuaginta überliefert wurden, so wird durch den neuen Titel signalisiert, dass sich diese Zusammenstellung „der ordnenden Hand neuzeitlicher Wissenschaft verdankt“ (I/1, 2). Eine faktische Sammlung solcher oder ähnlicher frühchristlicher Schriften hat es in der Antike nie gegeben, allenfalls eine virtuelle, sofern man die Verwendung des Prädikats „apokryph“ bei spätantiken Kirchenschriftstellern für verschiedenste nicht in den neutestamentlichen Kanon gelangte Schriften zugrunde legt. Gleichwohl deutet schon die Zusammenstellung und Verteilung der ausgewählten antiken christlichen Schriften auf zwei Bände, deren erster mit „Evangelien und Verwandtes“ betitelt ist, auf eine unverkennbare Beziehung zu den Schriften des Neuen Testaments, die sich zunächst einmal in den literarischen Formen bzw. Gattungen zeigt. Darin besteht Kontinuität zu den Vorgängerbänden. Für alle weiteren notwenigen Differenzierungen muss hier auf die Haupteinleitung von Christoph Markschies in Teilband 1 verwiesen werden, die auch noch eine kurz gefasste Gesamtdarstellung zur Kanongeschichte der christlichen Bibel bietet.
Wie viel sich in der internationalen christlichen Apokryphenforschung seit der Neubearbeitung des Hennecke-Schneemelcher in den späten achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts getan hat, wird auf jeder Seite der neuen Ausgabe sichtbar, vor allem aber in der Erweiterung des aufgenommenen Schriftenbestands. Nur noch in Grundzügen lässt sich die Einteilung der beiden Teilbände mit derjenigen der früheren Ausgaben vergleichen, gibt es doch zu jeder Unterabteilung zahlreiche neu entdeckte bzw. jetzt erst berücksichtigte zusätzliche Texte. Nur wenige Teile sind (in aktualisierter Fassung) aus der letzten Neubearbeitung übernommen worden, insbesondere einige der von Hans-Martin-Schenke erarbeiteten zu Nag-Hammadi-Texten. Der weitaus größte Teil, auch bei früher schon gebotenen Texten, stammt von einer großen Zahl neuer Mitarbeiter, die den aktuellen Stand der internationalen Forschung repräsentieren. Das Jahrhundertwerk des „Hennecke-Schneemelcher“ hat jedenfalls einen würdigen Nachfolger gefunden, egal wie man ihn später einmal nennen wird.

Karl-Wilhelm Niebuhr (Jena/Markkleeberg)

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