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Ausgabe:

November/2007

Spalte:

1224–1226

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Strohm, Christoph, Freedman, Joseph S., u. Herman J. Selder­huis [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Späthumanismus und reformierte Konfession. Theologie, Jurisprudenz und Philosophie in Heidelberg an der Wende zum 17. Jahrhundert.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. VIII, 374 S. gr.8° = Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 31. Geb. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-149042-2.

Rezensent:

Hans-Martin Kirn

Der Band versammelt die Beiträge eines Symposiums, das im November 2004 zur Frage konfessioneller Orientierungen an der Universität Heidelberg um die Wende vom 16. zum 17. Jh. im Rahmen des Forschungsprogramms »Kulturwirkungen des reformierten Protestantismus« in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden stattfand. Wegen der herausragenden Bedeutung Heidelbergs für die reformierte Welt jener Zeit kann von einem »exemplarischen Untersuchungsgegenstand« (V) gesprochen werden. Ich begnüge mich mit einer kurzen Vorstellung der Beiträge, ohne auf Einzelfragen einzugehen.
Einen hilfreichen Einstieg in »geistiges Profil und politische Ziele des Heidelberger Späthumanismus« bietet E. Wolgast (1–25). Eines der Merkmale des Heidelberger Späthumanismus, zu dem kaum Theologen und Geistliche, wohl aber zahlreiche Juristen, Philologen und Mediziner gehörten, war die bewusst calvinistische, aber nicht sonderlich an religiösen Streitfragen interessierte Frömmigkeit, eine typische »pietas litterata« der zweiten Generation.
In einem relativ ausführlichen, die Debatte um den angeb­lichen »deutschen Sonderweg« in die Moderne aufnehmenden Beitrag widmet sich C. A. Zwierlein der internationalen Ausrichtung des Calvinismus und der Kurpfalz (Heidelberg und »der Westen« um 1600, 27–92). Die Frage der »Westbeziehung« wird zu Recht verstanden als Frage nach dem Verhältnis der calvinistischen Kon­fes­sions­kultur zu humanistischen Denktraditionen im weiteren Sinn. Dem wird disziplinenübergreifend im Blick auf das Ge­schichts­verständnis nachgegangen. Der verstärkt reflexiv-historisierende Umgang mit den jeweiligen Traditionstexten führte in der Theologie zu einer »entschärfte[n] Apokalyptik« (56) mit einer eher reichsfern konzipierten Ekklesiologie in universalgeschicht­lichem Horizont, im juristischen und politiktheoretischen Bereich wurden typisch humanistische Konzepte von eingeschränkter Herr­scher-Souveränität mit latent republikanischen Implikationen entwi­ckelt, wie sie ansonsten mehr in italienischen und französischen Regierungskreisen diskutiert wurden. Wie der Autor selbst an­merkt, bleibt es schwierig, das spezifisch humanistische Ge­schichts­­denken in der (produktiven) Spannung zwischen überkommenen Normativitäts- und empirischen Methodisierungsansprüchen nä­her zu bestimmen, will man sich nicht mit dem Konstatieren eines »allgemeinen Denkrahmens« oder »Wahrnehmungsmusters« be­gnügen (88). Dem sollte weiter nachgegangen werden. P. Ramus und dem Gebrauch seiner Schriften in Heidelberg im europäischen Kontext widmet sich der Beitrag von J. S. Freedman (93–126). Faktisch ist dies ein Kommentar zu elf einschlägigen Tabellen, u. a. mit Lehrplänen und charakteristischen Be­griffs­be­stimmungen von »de­finitio« unterschiedlicher Autoren. Es leuchtet ein, wenn der Autor an diesem Punkt pauschale Katego­risie­rungen wie »Ramis­mus« als hinderlich ansieht, um die komplexe Arbeit mit philosophischen Texten in Heidelberg zu ana­lysieren .D. Sinnema stellt die antilutherisch profilierte Hoch­schätzung aristotelischer Logik in der reformierten Theologie nach J.Jungnitz vor. Dieser hatte 1586 Z. Ursinus’ Kommentar zum Organon des Aristoteles herausgegeben und mit einem aufschlussreichen Widmungsbrief versehen (127–152). G. Frank widmet sich der »Fragmentierung und topische[n] Neuordnung der aristotelischen Ethik« bei V. Strigel und bei A. Scultetus, ein Vorgang, der konstruktiv als für die weitere Überlieferung notwendiger Anpassungsprozess an die Neuorientierung reformatorischer Theologie interpretiert wird (153–167). – K. Meerhoff präsentiert B. Keckermann als Verteidiger der melanchthonianischen Tradition und Re­präsentant der antiramistischen Tradition in Heidelberg, der sich gleichwohl von Ramus’ Idee einer kritischen Geschichte der Logik beeinflussen ließ (169–205, mit Textanhängen). – W. van ’t Spijker erläutert einfühlsam das »Heidelberger Gutachten in Sachen [C.] Vorstius«, Nachfolger von Arminius in Leiden, im weiteren Kontext von Vorstius’ theologischer Entwicklung und dessen theologisch wie politisch motivierter unehrenhafter Entlassung durch die Synode von Dordrecht 1619. – H. J. Selderhuis geht auf übersichtliche Weise dem kontroverstheologisch relevanten Thema »Das Recht Gottes. Der Beitrag der Heidelberger Theologen zu der Debatte über die Prädestination« nach (227–253). Gegen die Einwände von lutherischer Seite wurde von den besprochenen Autoren, u. a. H. Rennecherus (Reneker) – seine »Aurea salutis catena« wird versehentlich zu »Goldenen Ketten des Heils« vervielfältigt (231.233) –, S. Grynaeus und P. Tossanus, neben der Betonung des biblischen Zeugnisses vom »Recht Gottes« vor allem die seelsorgerliche Bedeutung des umstrittenen Lehrstücks als Trostmittel sowie der Anspruch auf inhaltliche Nähe zu Luther, Melanchthon und Calvin hervorgehoben. – Einen die Argumente detailliert nachzeichnenden Beitrag zur juristisch geprägten Prädestinationslehre des noch wenig erforschten G. Sohn – in Marburg Gegner von Ä. Hunnius – liefert Th. Mahlmann (255–291). – Außerhalb des zeitlichen Rahmens der übrigen Beiträge, aber an die »Glanzzeit … um 1600« (294) erinnernd, handelt D. Döring von »Samuel Pufendorf und der Heidelberger Universität in der Mitte des 17. Jh.« (293–323). Immerhin liegen die Anfänge von Pufendorfs Hauptwerk »De jure naturae et gentium« wie die seines historiographischen Schaffens in der Heidelberger Zeit (1661–1668). Näher beleuchtet werden die Kontexte von Hof und Universität, der Irenik und des Cartesianismus .
Ein letzter, mit reichhaltigen Quellenzitaten versehener Beitrag aus der Feder von Chr. Strohm gibt einen instruktiven Überblick über »Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk Heidelberger Juristen« (325–358). Ausgehend von einer »programmatische[n] Rückschau« von L. Camerarius aus dem Jahr 1646 werden Grundorientierungen Heidelberger Juristen um 1600 skizziert, darunter die enge Zusammenschau von Reformation und Humanismus, das Interesse an der Einheit des Protestantismus, das Leiden an den Verfolgungen der Protestanten in Westeuropa und der sog. Kryptocalvinisten in Kursachsen, die Sympathie für die Theologie Me­lanchthons, das dezidiert reformierte Abendmahlsverständnis und die strikte Abweisung des römischen Papsttums. Im Einzelnen werden die Juristen Chr. Ehem, M. Freher und J. Kahl vorgestellt. Die Bedeutung humanistischer Rationalität, die keineswegs die konfessionelle Orientierung, wohl aber die Bevormundung durch Theologen in der Bibelauslegung in Frage stellte, kommt dabei gut zur Sprache, u. a. im Blick auf die Entfaltung des Ius publicum, bei der Heidelberger Juristen um 1600 eine prominente Rolle spielten.
Insgesamt zeigt der Band bei aller Vorläufigkeit, wie differenziert und spannungsvoll sich jenseits der allgemeinen Typisierungen »reformiert« und »calvinistisch« die konfessionelle Orientierung bei Theologen, Philosophen und Juristen im Heidelberger Geistesleben um 1600 darstellte. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Er­trag der weiteren Konfessionalisierungsforschung zugute kommt und hin auf ein breiteres Gesamtbild ausgearbeitet wird – dies nicht zuletzt im Blick auf die Frage nach der unterschiedlichen Tragfähigkeit des Konfessionalisierungsparadigmas im europäischen Ho­rizont, war doch dieser gerade in Heidelberg auffällig präsent.
Ein Namen- und ein Sachregister schließen den informativen Band.