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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1100 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Sommer, Wolfgang [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kommunikationsstrukturen im europäischen Luthertum der Frühen Neuzeit.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 159 S. 8° = Die Lutherische Kirche – Geschichte und Gestalten, 23. Kart. EUR 29,95. ISBN 3-579-05223-3.

Rezensent:

Andreas Gößner

Der kleine Sammelband geht auf ein an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel im März 2003 veranstaltetes Arbeitsgespräch zurück, an dem sich 13 Fachleute aus dem Bereich der Geschichte und Kirchengeschichte aus Polen, Schweden, Finnland, Schottland und Deutschland beteiligt haben. Ziel dieser Expertenrunde war es, die Länder und Regionen übergreifende Kommunikation innerhalb des Luthertums im 16. und 17. Jh. zu thematisieren. Dabei wurde die Aufmerksamkeit besonders auf die Quellen, die Strukturen und die geographische Ausdehnung der Kommunikation und ihre häufig als Einzelpersönlichkeiten greifbaren Träger gerichtet.
Einen besonderen Blick auf die Grundlagen der Kommunikationsstrukturen im Luthertum wirft einleitend Johann Anselm Steiger, indem er Luthers Neu- und Aufwertung der alltäglichen Berufswelt als Gottesdienst (etwa im Motiv von Christus als Arzt und Apotheker) als hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis der horizontalen Kommunikation im Luthertum entfaltet. Einem weiteren Aspekt der Lutherrezeption wendet sich Irene Dingel mit der Darstellung der Sammlung von Lutherzitaten durch Joachim Westphal im Kontext der Adiaphoristischen Streitigkeiten zu. Westphal – ein Vorreiter der Indienstnahme Luthers für die Polemik – verband damit eine Überhöhung der Autorität des Reformators ins Überzeitliche, was Dingel zum Anhaltspunkt für eine Reflexion über die Faktoren und Intentionen einer aktualisierenden Lutherdeutung in der Mitte des 16. Jh.s nimmt.
Kommunikationsstrukturen anderer Art beleuchtet Ernst Koch in seiner sehr instruktiven Untersuchung über die Beziehung des Gothaer Hofes zur lutherischen Gemeinde in der Stadtrepublik Genf zu Beginn des 18. Jh.s. Auf der Quellenbasis von Briefen – u. a. im Zusammenhang von Reiseaufenthalten Gothaer Prinzen in Genf 1668/69, 1673/74 und 1718 – gelingt eine Rekonstruktion von Problemen bei der Pfarreranstellung, der Finanzsituation und allgemeinen Lage der lutherischen Gemeinde im reformierten Genf. Dem schwedischen Luthertum des 16. und 17. Jh.s wendet sich Harry Lenhammar zu. Er stellt die schwedische Hochschullandschaft und die Attraktivität deutscher Universitäten für schwedische Besucher ebenso dar wie die Rezeption von durch Melanchthon und seine Schüler vermittelten Bildungsinhalten. Der frühen Re­formation in Ungarn widmet sich Markus Hein in seinem Beitrag, in dem einerseits die Faktoren für die Vermittlung reformatorischer Inhalte (Handel, Hof, Gelehrte, Studenten und Kleriker) und andererseits die Rezeption dieser Inhalte (Kirche, Gelehrtenschaft und Nationalitäten) skizziert werden. Inge Mager stellt die Bemühungen Elisabeths von England für ein protestantisches Bündnis gegen die römisch-katholischen Mächte in Europa vor. Elisabeths Initiativen scheiterten jedoch an unterschiedlichen Rücksichten vieler protestantischer Reichsfürsten, die sich entweder hinsichtlich ihrer Bekenntnistreue zum lutherischen Konkordienwerk oder auch hinsichtlich ihrer politischen Optionen innerhalb des Reiches nicht auf eine europäische Defensivstrategie einlassen wollten. Janusz Ma´l´lek benennt auf der Basis polnischer Forschungsergebnisse die Hemmnisse der dauerhaften Etablierung der Reformation in Polen und analysiert deren Ursachen – etwa die Adligen als wichtigste soziale Trägerschicht für die Reformation, den Antagonismus zwischen deutschstämmiger und polnischer Bevölkerung in den Städten und die Spaltung innerhalb der Reformationsbewegung.
Martin Brecht lenkt die Aufmerksamkeit auf eine besondere Quelle: die zu einem beträchtlichen Teil in der Herzog-August- Bibliothek überlieferte Korrespondenz des späten Johann Valentin Andreae. Am Beispiel dieses Quellenbestandes dokumentiert er die Kommunikationsbeziehungen nach Briefpartnern, -inhalten und deren Funktion für das zeitgenössische Luthertum (vor allem in Süddeutschland). Wie an dem Briefwechsel Andreaes gezeigt werden kann, gewähren solche Korrespondenzen ein weit differenzierteres Bild der Theologie- und Geistesgeschichte dieser Epoche. Im letzten Beitrag wird nun der Schwerpunkt gattungsspezifisch auf die gedruckte Leichenpredigt und geographisch nochmals auf Skan­dinavien gelegt: Otfried Czaika untersucht am Beispiel der ge­druck­ten schwedischen Leichenpredigten die akademischen Be­zie­hungen zwischen Schweden und dem Reich, die sich besonders an der Universität Rostock festmachen lassen. Dort wurden dann auch die ersten Leichenpredigten für den schwedischen Markt gedruckt, bevor die Handelskontakte zwischen den Hansestädten auch zur Einrichtung von Druckereien in Schweden führten. Nach bescheidenen Anfängen um 1600 erlebte die Gattung der Leichenpredigt erst ab dem Tod Gustav Adolfs in Schweden eine große Blüte.
Der Band eröffnet mit den thematisierten geographischen Schwerpunkten einen vielseitigen Einblick in die Kommunikationsstrukturen im europäischen Luthertum im 16. und 17. Jh. Einige der gedruckten Referate dürften nicht nur allgemein weitere Impulse geben, sondern sind als Teil von laufenden umfangreicheren Forschungen der Autoren zu den vorgestellten Themenbereichen zu sehen. Somit leistet der Band auf kleinem Raum einen Beitrag zur Darstellung der Vielfalt der Diskurse über die engeren konfessionellen und regionalen Grenzen hinweg.