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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1095–1097

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Gatz, Erwin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die Katholische Kirche. Bd. VII: Klöster und Or­densgemeinschaften. Hrsg. unter Mitwirkung v. M. Albert u. G. Fle­ckenstein.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2006. 472 S. gr.8°. Lw. EUR 45,00. ISBN 978-3-451-23669-3.

Rezensent:

Hubert Kirchner

Durch die anfangs imponierend zügige Aufeinanderfolge der einzelnen Bände der seit 1991 erscheinenden Reihe ein wenig verwöhnt, musste der Benutzer diesmal beträchtliche Geduld aufbringen. Das ursprüngliche Vorhaben, Jahr für Jahr einen Band vorzulegen, erwies sich zwar von vornherein als allzu ehrgeizig. Nun möchte man jedoch hoffen, dass nicht eine sich allzu verzögernde Bearbeitung der noch ausstehenden gewichtigen Themen (Gottesdienst, Katechese, Laien, Verbände, Medien) das Gesamtunternehmen doch noch über Gebühr dehnt. Man sähe ja doch gern bald das Bild komplett.
Der nun erschienene 7. Band bereichert das inzwischen vorliegende Bild um einige kräftige und charakteristische Züge. Die hier darzustellenden Phänomene Klöster und Ordensgemeinschaften tragen ja nach wie vor nicht unerheblich zum öffentlichen Wahrnehmungsbild der römisch-katholischen Kirche bei, vor allem auch, weil es hierbei um Handlungsebenen geht, die in großen Teilen programmatisch über den intern kirchlichen Rahmen hinausreichen. Gerade dafür bietet der Band einen eindrucksvollen Beleg und gerade dadurch, dass deutlich wird, wie sich das Bild im Wandel der Geschichte verändert.
So gehen die fünf Autoren – Marcel Albert, Gisela Fleckenstein, Erwin Gatz mit jeweils mehreren Beiträgen sowie Anja Ostrowitzki und Martin Leitgöb mit je einem Kapitel – auch wieder streng historisch vor: Ausgehend von einer ausführlichen Bestandsaufnahme beschreiben sie eindrücklich die tiefen Einbrüche, welche die Säkularisation im Gefolge der Aufklärung ausgangs des 18. bis ins 19. Jh. hinein in der Ordenslandschaft hinterließ. »An vielen Orten endete eine bis in das Mittelalter zurückreichende Geschichte geistlicher Institutionen.« (147) Umso erstaunlicher war dann die Wende bald nach Beginn des 19. Jh.s, ein »geistesgeschichtlicher Umbruch« (149), ein »Ordens- oder Klosterfrühling« (205). Die Kulturkämpfe in mehreren deutschsprachigen Ländern und zumal in Preußen in der zweiten Hälfte des Jh.s als Höhepunkte der Auseinandersetzung zwischen kirchlichem Ultramontanismus und ge­sellschaftlichem Liberalismus brachten zwar noch einmal derbe Rückschläge, zwangen sogar eine Reihe von Gemeinschaften direkt ins Exil, brachten jedoch »den Orden und Kongregationen keine Totalauflösung«, sondern im Gegenteil auch Neubesinnungen und Klärungen, die wesentlich dazu beitrugen, dass zumal nach dem Ersten Weltkrieg die positive Entwicklung weiter fortschreiten konnte. Während der nationalsozialistischen Herrschaft bildeten die Orden ein eigenes Feld des staatlichen Kampfes gegen die Kirchen. Die Konsolidierungsbemühungen in der Nachkriegszeit schließlich erhielten durch die Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils einerseits zusätzliche Kräfte, offenbarten andererseits aber auch zunehmende Spannungen, so dass sich – nach 200 Jahren – ein sowohl stark verändertes als auch sehr differentes Bild ergibt.
Im Einzelnen gliedert sich der Stoff in zehn Kapitel, entsprechend den durch die allgemeine Geschichte und die spezielle Kirchengeschichte vorgegebenen Zäsuren: Die Orden am Vorabend der Säkularisation (1775–1800) – Aufklärung, Josephinismus, Säkularisation – Ordensleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kontinuität, Restauration und Neuanfänge – Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den Kulturkämpfen – Die Orden und Kongregationen in den Kulturkämpfen – Von der Beilegung der Kulturkämpfe bis zum Ersten Weltkrieg – Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft – Die Orden im nationalsozialistischen und faschistischen Herrschaftsbereich – Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil – Die Orden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Erneuerung, Krise, Transformation. Ein 11. Kapitel bietet statistische Anmerkungen ge­folgt von ausführlichen Registern.
Ausführlich wird – gleichsam als Hintergrund für das folgende Auf und Ab – die Ausgangssituation am Vorabend der Säkularisation dargestellt, die rechtliche Stellung der Orden, ihr Beitrag zum kirchlichen Leben wie im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Programmatisch geht es dann stets um das Gesamtphänomen der Klös­ter und Ordengemeinschaften in der jeweiligen Periode, um die Linien ihrer Entwicklung, um Aufblühen und Niedergänge, Vertreibung und Wiederansiedlung, Dienste und Neuorientierung unter den jeweils neuen Bedingungen seitens der Gesellschaft und selbstverständlich der großen Bewegungen in der Kirche. Gewiss wird gelegentlich ein einzelner Orden gezielt ausführlicher in den Blick genommen, so wiederholt die Gesellschaft Jesu, ihre Aufhebung 1773, die spezielle Gesetzgebung im Kulturkampf. Besondere Vorgänge und Situationen werden angemessen speziell geschildert. Die Josephinische Klosterreform bildet ebenso ein eigenes Thema wie später der Feldzug des NS-Regimes gegen die Orden (Sittlichkeits- und Devisenprozesse, »Klostersturm«) und schließlich der Reformanstoß des II. Vatikanums, um nur einiges zu erwähnen.
Es überwiegen jedoch die summarischen Darstellungen, in de­nen Entwicklungen, Neugründungen und Expansionen, Krisen und Neuaufbau deutlich gemacht werden anhand langer Reihen, Aufzählungen mit Namen und Zahlen, die nicht nur jene Bilanzen und Tendenzen reich illustrieren, sondern vor allem auch die Feststellung untermauern: »Die deutschsprachige Ordenslandschaft war … am Ende des 19. Jahrhunderts fast unübersehbar geworden« (271), und schließlich die Bilanz: »Eine zuverlässige Statistik aller Orden und Kongregationen im 19. und 20. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum gibt es nicht« (413). Eine einzelne Ge­meinschaft aber für sich in den Blick zu nehmen, gelingt dadurch natürlich nur schwer und ausschließlich über das, allerdings erfreulich ausführliche, Register.
Sehr deutlich wird, wie sich in den verändernden äußeren, zu­mal sozialen Situationen auch das Bild der Orden und Kongregationen wandelte. Der »Ordensfrühling« im 19. Jh. war in hohem Maße der Tatsache geschuldet, dass sich in der Gründung neuer (oft nur regional approbierter und wirkender) Institute innerkirchliche Kräfte organisierten, um sich der sozialen Herausforderung zu stellen. Die sozial-caritativen Gemeinschaften und neben ihnen die Schulorden gewannen eindeutig den Vorrang vor den traditionell bestimmten Orden, die ihre Aufgaben in Gottesdienst, Seelsorge und einem kontemplativen Leben fanden. Und entsprechend bildete auch das Bewusstsein christlicher Verantwortung ein stärkeres Motiv für den Eintritt in ein Kloster als der Rückzug aus der Welt zum Zwecke der Heiligung.
So wird, alles in allem, ein überaus kontrastreiches Bild einer wechselvollen Geschichte gezeichnet. Ohne Beschönigungen werden auch die Schwachstellen benannt bis hin zu einer ernüchternden Bilanz, als nach den Reformansätzen des Konzils die erhofften Erfolge ausblieben und angesichts dessen – und gerade vor dem Hintergrund der Erfolgsgeschichte des 19. und beginnenden 20.Jh.s – eine Identitätskrise unübersehbar wurde: »Nachwuchsmangel – Mitgliederrückgang – Austritte«. Nicht zu übersehen ist je­doch auf der anderen Seite auch das Bemühen der Orden, »dem Auftrag zur Anpassung and die Zeitverhältnisse zu entsprechen« (397), z. B. in einer Reihe wirklich neuer Ansätze wie z. B. in den Säkularinstituten, »die in neuer Weise das Evangelium radikal zu leben versuchen, mitten in Gesellschaft und weltlichem Beruf« (405, Ge­meinsame Synode der deutschen Bistümer).
Ein reicher Anmerkungsapparat und ein ausführliches Literaturverzeichnis (über 250 Titel!) vermögen die Einzeldarstellungen hinreichend zu belegen und weisen Wege zu weiterem Arbeiten. Manche Hinweise wünschte man allerdings etwas deutlicher, z. B. 304, Anm. 44 auf einen Abschnitt im Bd. V der Reihe, wo dieselbe Thematik schon einmal vom selben Autor sehr viel ausführlicher behandelt wurde. Verdienstvoll, vielleicht aber schon ein wenig zu extensiv (5 Seiten), ist das Abkürzungsverzeichnis.
Das Schriftbild ist wie gewohnt sauber, Fehler sind erfreulich selten. In summa: Ein wichtiger Teil des Gesamtprojektes wurde wieder geschafft in zu erwartender Qualität. Man hofft auf baldige Fortsetzung und Vollendung.