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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1091–1093

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Smolinsky, Heribert

Titel/Untertitel:

Im Zeichen von Kirchenreform und Reformation. Gesammelte Studien zur Kirchengeschichte in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. v. K.-H. Braun, B. Henze u. B. Schneider.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2005. VI, 469 S. gr.8° = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Supplementband 5. Geb. EUR 59,00. ISBN 3-402-03816-1.

Rezensent:

Athina Lexutt

Der von seinem Schülerkreis anlässlich seines 65. Geburtstages he­rausgegebene Band vereinigt 22 Aufsätze des zuletzt in Freiburg lehrenden, römisch-katholischen Kirchenhistorikers Heribert Smo­linsky aus den Jahren 1976 bis 2004, die vier Themenfelder (Humanismus und Bildungsgeschichte; Reformationsgeschichte und Kirchenreform; Reformation am Oberrhein; Theologie- und Wissenschaftsgeschichte) abdecken. Damit ist ein durchaus repräsentativer Längsschnitt durch S.s wissenschaftliches Werk gegeben, und die Konzentration auf die Reformationszeit entspricht nicht nur seinem Forschungsschwerpunkt, sondern gibt zugleich einen interessanten Einblick in die – wie das Vorwort der Herausgeber zutreffend bemerkt (zu dem doch angemerkt werden muss, dass Pannenberg nicht Rudolf mit Vornamen heißt) – eher selten gewordene katholische Reformationsgeschichtsforschung.
S.s Beiträge zeichnen sich allesamt durch mehrere Elemente aus. Zum Ersten heben sie sich insofern wohltuend von manch anderen aus der Feder römisch-katholischer Autoren stammenden Untersuchungen zur Reformationsgeschichte ab, dass sie sich weder darum bemühen, die Reformation in ökumenischer Gutgemeintheit als theologiegeschichtlichen Unfall zu diskreditieren, noch sie als größtes abendländisches Unglück mit wissenschaftlich verbrämter, nichtsdestoweniger unsachlicher Polemik in ein schlechtes Licht setzen. Zum Zweiten sind sie in jeder Hinsicht lesbar, auch für den nicht in die Thematik Eingeweihten, und erreichen so ein breiteres Publikum. Und zum Dritten bieten sie nicht selten eher einen Blick in die kirchenhistorische Werkstatt als in ein abgeschlossenes Forschungsfeld, was zum Weiterdenken und eigenen Forschen ausgesprochen anregt. Daher erscheint diese Aufsatzsammlung auch nicht allein als Rückblick auf ein Wissenschaftlerleben, sondern zugleich als Ausblick auf weitere Untersuchungen, wenn nicht aus der Hand S.s selbst, so doch aus der derjenigen, die sich von seinen Beobachtungen zu eigener Forschung provoziert fühlen.
Gleich der erste Beitrag des Bandes (»Der Humanismus an Theologischen Fakultäten des katholischen Deutschlands«, 3–24) ist dafür ein vortreffliches Beispiel. Nachdem in der reformationsgeschichtlichen Forschung die Frage im Mittelpunkt stand, welche Bedeutung der Wechselwirkung zwischen Humanismus und Reformation beizumessen ist, legt S. den Fokus auf die Bedeutung des Humanismus für die an den Universitäten gelehrte altgläubige Theologie. Dass auf Grund der humanistischen Kirchenkritik hier viel eher mit Ressentiments oder offener Ablehnung zu rechnen ist, kann nicht wirklich überraschen; eher schon, dass humanistisch beeindruckte Altgläubige die Lehrstätten verlassen haben und vor allem kirchenpolitisch aktiv geworden sind (etwa Michael Helding oder Friedrich Nausea). Hier wie auch bei der Beobachtung, dass der Jesuitenorden eine entscheidende Wende gebracht hat, wäre dann noch weit tiefer zu forschen. Das an dieser Stelle greifende unauflösliche Zusammen von Humanismus und Bildung (sowie einer darauf fußenden Bildungspolitik) und eines von S. plausibel behaupteten Konnexes von Kirchenreform und Bildungsreform birgt viel weiteres Untersuchungspotential, wie in den nachfolgenden Beiträgen innerhalb dieser Themengruppe dann auch zu Tage tritt. Buchstäblich spannend ist es namentlich für den protestantischen Leser, in welchen Spagat sich die altgläubige Theologie und Kirchenpolitik zwischen Kontrovers- und Vermittlungstheologie begab im Willen, bildungs- und kirchenreformerisch zu agieren (hierzu ist besonders erhellend der Beitrag »Reformationsgeschichte als Geschichte der Kirche. Katholische Kontroverstheologie und Kirchenreform«, 82–103). Damit ist die zweite Themengruppe berührt, in der namentlich Untersuchungen zu verschiedenen römisch-katholischen Reformansätzen (etwa von Johannes Eck oder in den Kirchenordnungen Jülich-Kleve-Bergs) versammelt sind.
Hilfreich wäre es gewesen, unter diesem Titel einen Beitrag zum Kirchenbegriff selbst anzutreffen, der schärfer die Konturen dann auch für »Geschichte der Kirche« und »Kirchenreform« gezeichnet hätte. Der Titel erschließt sich jedenfalls nicht prima vista, und es bleibt fraglich, wie zutreffend letztendlich die Verknüpfung ist. Dass S.s grundsätzlich begrüßenswerter Ansatz, mit seinen Fragen zuerst vor allem neue Türen aufzustoßen, ohne immer ganz tief in die dahinter liegenden Räume vorzudringen bzw. vordringen zu können, sich bisweilen rächt, wird m. E. besonders deutlich im Aufsatz »Ehespiegel im Konfessionalisierungsprozeß« (183–203). Dort werden auf einer Seite das Eheverständnis der Reformation sowie die tridentinische Reaktion abgehandelt; die dort festgehaltenen Beobachtungen sind durchaus zutreffend, aber in keiner Weise hinreichend, vor allem, wenn man den Konfessionalisierungsprozess nicht losgelöst von bestimmter geographischer und zeitlicher Nähe der konkreten Auseinandersetzung versteht. Dieser Prozess hat sich in der Regel nicht auf einer abstrakten Ebene vollzogen, sondern unmittelbar, was dieser Aufsatz aber nicht genug berück­sichtigt. Im Beitrag »Konversion zur Konfession – Jüdische Konvertiten im 16. Jahrhundert« (204–222), der ein hochspannendes Thema verhandelt, bleibt S. leider den Beweis schuldig, dass sich die Konversion von Juden im Reformationszeitalter verändert habe; die oftmals in polemischer Absicht verfassten Berichte über Konversionen bieten keine objektive Quellengrundlage, und von einer Veränderung zu sprechen, macht nur im Vergleich Sinn, der aber ausbleibt. Wie stets möchte man gerne mehr erfahren. Der Beitrag ist ausgesprochen anregend, aber die Erwartungen werden nicht vollständig erfüllt. Ähnliches gilt für den Beitrag »Dialog und kontroverstheologische Flugschriften in der Reformationszeit« (223–237), bei dem der Titel missverständlich ist, geht es doch nicht um den Dialog als Alternative zur Flugschrift, sondern um den Dialog als literarisches Mittel innerhalb der Flugschriften. Die fünf Untersuchungen zur Reformation am Oberrhein sind S.s Wechsel von Bochum nach Freiburg geschuldet und vertiefen seine Forschungsschwerpunkte unter regionalem Aspekt. In den letzten Aufsätzen zur Theologie- und Wissenschaftsgeschichte vermisst der Leser bisweilen den Versuch, die Ergebnisse der historischen Untersuchung für aktuelle Fragestelllungen fruchtbar zu machen. Besonders wünschenswert wäre dies etwa im Kontext von »Sprachenstreit in der Theologie? Latein oder Deutsch für Bibel und Liturgie – ein Problem der katholischen Kontroverstheologen des 16. Jahrhunderts« (381–400) gewesen. Auch zur Exegese im 16. Jh. (und von dort aus zu Schriftprinzip und Exegese als hermeneutischem und ekklesiologischem Problem in der ökumenischen Debatte heute) hätte man mehr sagen können und müssen, als S. dies tut (363–366 und im Aufsatz zu »Kirchenväter und Exegese«, 401–419).
Für beinahe alle in diesem Band versammelten Beiträge gilt abschließend: S. legt stets seinen Finger in ganz empfindliche Forschungslücken – nicht weniger, leider aber auch nicht immer mehr. Fraglos ist dies auch in der Kürze der Beiträge nur selten zu leisten. Daher gilt das bereits zu Beginn Konstatierte: Der Band bietet eine Fülle von Anstößen zur eigenen, weiterführenden Forschung, die manches Erhellende für das Reformationszeitalter bereitzuhalten scheint.