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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1081–1083

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Krannich, Torsten

Titel/Untertitel:

Von Leporius bis zu Leo dem Großen. Studien zur lateinsprachigen Christologie im fünften Jahrhundert nach Christus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XII, 295 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 32. Kart. EUR 54,00. ISBN 3-16-148795-8.

Rezensent:

Theresia Hainthaler

Mit dieser Promotion an der Theologischen Fakultät in Jena soll eine Dogmengeschichte der lateinischsprachigen Christologie in der ersten Hälfte des 5. Jh.s (genauer von 417/8 bis 448), also vor dem Konzil von Chalcedon (451), vorgelegt werden, die es in der Tat bisher so noch nicht gibt. Nach einem Forschungsüberblick über die lateinische Christologie präsentiert Torsten Krannich fünf Autoren: Leporius (mit seinem Libellus emendationis) (13–71), Jo­hannes Cassian (mit De incarnatione Domini) (72–106), Vinzenz von Lérins (148–164) sowie die Päpste Caelestin I. (107–135), Xys­tusIII. (136–147) und Leo I. (in seinen Schriften bis 448) (165–207). Bei dieser Auswahl wird die Christologie des Augustinus, des »theologische(n) Übervater(s)« (3–4), nicht eigenständig untersucht, erweist sich aber als Rahmen für die hier behandelten Autoren, insbesondere für Leporius und Leo. Nicht berücksichtigt sind auch Marius Mercator (hierzu liegt bereits eine Untersuchung von Claudia Konoppa vor) und Prosper von Aquitanien (der sicher auch lohnend wäre).
Da die Studie über Leporius bereits eine kleine Monographie darstellt, hätte eine Ausweitung der Zahl der Autoren wohl den Rahmen gesprengt, und die Beschränkung ist zu Recht vorgenommen. Die Behandlung der verschiedenen Autoren ist immer ge­gliedert nach Person und Werk, Untersuchung nach Terminologie, Einzelauslegung. Bei Leo, dessen Werk nur bis 448 verfolgt wird, bietet K. zum Schluss noch eine Analyse ausgewählter Predigten. Am Ende steht eine kurze systematisch-theologische Würdigung (208–212), an die sich dann eine Übersetzung mit kurzer Kommentierung des Libellus emendationis des Leporius (213–231) sowie der ep. 219 des Augustinus (232–234) anschließt. Eine solche deutsche Übersetzung des Libellus liegt hiermit erstmals vor. Hilfreiche Instrumente bietet der Anhang mit der Übersicht über die Schriften Caelestins I. und Xystus’ III. zum christologischen Streit mit Editionen, sowie eine Übersicht über die Predigten Leos des Großen. Eine umfangreiche Bibliographie (242–274) und ein de­tailliertes Register (Bibelstellen, antike und mit­telalterliche Autoren, Personen, Orte und Sachen) schließen das nützliche und detailreiche Buch ab.
Das christologische Profil der Autoren wird durch die eingehende und sorgfältige Kommentierung deutlich (hilfreich sind die Zitate im lateinischen Original in den Anmerkungen). Eine eingehende Lektüre der Texte wird geboten mit vorsichtiger Analyse und viel Kenntnis der Sekundärliteratur, die vorsichtig abwägend bewertet wird (vgl. 152, Anm. 17; 107, Anm. 4; 167–168; 169, Anm. 20). Sehr sorgfältig und fleißig wurden Informationen zusammengesucht und eingehend besprochen.
Im ersten Teil über Leporius, einen wenig bekannten Autor, wird auch die eigenartige These Weijenborgs geduldig widerlegt, wonach der Libellus des Leporius und ep. 219 des Augustinus Fälschungen von Johannes Cassian gewesen seien. K. datiert den Libellus, einen Widerruf der eigenen christologischen Positionen des Leporius auf Grund der Belehrung durch Augustinus (19), auf 417 oder 418. Mit den Ergebnissen von K. ist auch Leporius als Person gesichert. Eindeutige ergibt sich (34), dass ep. 219 von Augustinus verfasst wurde. K. findet, dass Leporius zwar Anklänge an zeitgenössische Theorien aus dem Umfeld des Pelagius aufweist, stellt aber zugleich fest, dass »die christologischen Positionen des Pelagius sich im Rahmen der lateinischsprachigen Mehrheitstheologie seiner Zeit bewegten« (71). Von einer Abhängigkeit des Leporius von Pelagius könne man somit nicht sprechen.
Bereits Johannes Cassian stellte in seinem Werk De incarnatione eine Beziehung zwischen Nestorius und Pelagius her (79) und präsentierte die Lehre des Nestorius als Adoptianismus nach Paul von Samosata, womit er den Fall des Nestorius auf den von bereits be­kannten Häretikern zurückführte. Die Frage nach der Beziehung zwischen Nestorius und Pelagius, der Christologie und der Gnadenlehre, die gerade im lateinischen Westen eine wohl entscheidende Rolle für die Ablehnung und Verurteilung der Lehren des Nestorius spielte, wird in diesem Buch insgesamt etwas deutlicher und einige Bausteine für eine Antwort kommen zum Vorschein. Das Thema würde aber eine eigene Monographie erfordern, wie dies bereits 1979 von Grillmeier als ein Desiderat formuliert wurde (Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1, 604, Anm. 17).
Sorgfältig und geduldig werden auch die kleineren Autoren wie die Päpste Xystus und Caelestin analysiert, jeweils mit ihrer Begrifflichkeit und ihrer Terminologie für die Einheit. Vinzenz von Lérins’ Christologie, der man bisher kaum Beachtung schenkte, erweist sich als eine gute, knapp und pointiert formulierte »Zwei-Naturen-Lehre auf der theologischen Höhe seiner Zeit« (163), aufgebaut vor allem auf Augustinus.
Leo setzt sich vor Chalcedon vor allem mit den Manichäern auseinander; schade, dass K. hier nicht die eingehende Analyse von Leos Kampf gegen den Manichäismus durch A. Grillmeier in Jesus der Christus 2/1, 196–220, von 1986 wahrgenommen und dazu Stellung bezogen hat, in der auch die Predigten Leos zu Grunde gelegt werden – ein Mangel sonstiger Forschung zu Leo, die sich auf die Briefe beschränkte, wie K. mit Recht in der Einleitung beklagt (5, Anm. 17).
Wichtig ist die Erkenntnis von K., dass für Leo bis zur eutychia­nischen Kontroverse »in seinen Predigten die Einheit von göttlicher und menschlicher Natur, die sich als Einheit der Person versteht, grundlegend« ist; der Schwerpunkt seiner Predigten liege »auf der Betonung der Verbindung beider [Naturen]« (201). Für den Tomus Leonis aber nahm Leo aus seinen früheren Predigten gerade die Sätze heraus, »die vor allem die Unterscheidung der beiden Na­turen betonen« (205). Diese Beobachtung hat eine nicht zu unterschätzende ökumenische Relevanz. Andererseits ist sie nicht verwunderlich. Wie eine eingehende Analyse des Tomus aufweisen könnte, zeigt bereits seine Gliederung deutlich, dass alles auf die Widerlegung der Sätze des Eutyches abzielt, die Leo in den ihm übersandten Akten gelesen hatte. Sie riefen seine Empörung hervor. Eutyches aber hatte die Einheit so betont, dass er die We­sens­gleichheit Christi mit uns und mit seiner Mutter nicht mehr aussagte. Nach der Einung gab es für Eutyches nur mehr eine einzige Natur, vorher dagegen zwei Naturen; damit aber besteht Gefahr, dass aus einer vorher bereits existierenden in sich stehenden Natur durch Vermischung eine einzige wurde. Umso mehr musste es Leo ein Anliegen sein, die Unterscheidung der beiden Naturen in Chris­tus herauszustellen, was ihm – bis heute! – die Verurteilung der Antichalcedonier eintrug. – Allerdings ist dann die Rede vom »Ge­trenntsein der Naturen« (206) nicht korrekt; Unterschiedenheit ist gemeint. – Bei der Mia-Physis-Formel würde ich nicht von einem »Gedanken Kyrills« sprechen (211). Kyrill fand diese Formel in Schriften vor, die die Anhänger des Apolinarius unter dem Na­men des verehrten Athanasius von Alexandrien in Umlauf brachten, und akzeptierte die Formel als Garant der Orthodoxie. Die Mia-Physis-Formel als solche geht aber nicht auf Kyrill zurück.
»Die Inhaber der cathedra Petri waren zumeist nicht in der Lage ..., den christologischen Diskussionen des Ostens zu folgen oder gar diese mitzuprägen« (212) ist wohl etwas scharf formuliert, wenn man an spätere Bischöfe von Rom wie Gelasius und Hormisdas denkt. – Die »hypostatische Union« sucht man vergebens bei Leo an der zitierten Stelle (186, Anm. 98). – »Personeneinheit« (178.206. 201 u. ö.) klingt irreführend, gerade im ökumenischen Kontext; besser wäre »Personeinheit«, um nicht eine nestorianische Zwei-Personen-Lehre zu evozieren. Vom »Pentarchiemodell« in vorchalcedonischer Zeit zu sprechen (109, Anm. 6), ist verfrüht: Erst in Chalcedon erhielt Jerusalem durch die Bemühungen Juvenals patriarchale Rechte, so dass man erst danach von den fünf Sitzen Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem und der »Pen­t­archie« sprechen kann. Druckfehler: auf S. VIII (Inhaltsverzeichnis) uirtus (statt: uigurs).
Es liegt eine solide und gute Arbeit vor, auf der man aufbauen kann und deren Stärke die Detailanalyse ist.