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Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1075 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kwon, Yon-Gyong

Titel/Untertitel:

Eschatology in Galatians. Rethinking Paul’s Response to the Crisis in Galatia.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XVI, 258 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 183. Kart. EUR 54,00. ISBN 3-16-148483-X.

Rezensent:

Ingo Broer

Das Hauptziel dieser von Graham Stanton betreuten und im Jahre 2000 dem Kings College in London vorgelegten Ph. D.-These ist, wie schon der Titel sagt, die Klärung der eschatologischen Aussagen des Galaterbriefes. Näherhin geht es um den Nachweis, dass Paulus im Galaterbrief nicht wie im Römerbrief eine präsentische, sondern eine futurische Eschatologie vertritt. Die häufig vertretene These vom Nebeneinander verschiedener Rechtfertigungsaussagen im Sinne von schon und noch nicht vermag nach dem Vf. dem Galaterbrief nicht gerecht zu werden, weil sie die futurischen Töne in Gal 5,5.21b und 6,7–9 nicht oder zumindest nicht genügend ernst nimmt und den Galaterbrief auf dem Hintergrund des Römerbriefes liest. Gibt man diesen Zukunftsaussagen das ihnen gebührende Ge­wicht, so kann man die Kapitel 3 und 4 des Galaterbriefes nicht mehr wie so häufig im Sinne einer bereits realisierten Eschatologie verstehen. – Die Dissertation will zugleich die bislang nicht gültig beantwortete Frage, wie sich der theologische Teil des Galaterbriefes (Kapitel 3 und 4) mit dem ethischen (Kapitel 5 und 6) verträgt, einer gültigen Lösung zuführen.
Im Zug seiner Ausführungen betont der Vf. immer wieder, dass die Situation in Galatien sich über den Paulusbrief nicht erschließen lässt und dass wir nur zur paulinischen Sicht der Situation Zugang haben. Paulus hat in seinem Brief auch nicht primär die Gegner in Galatien, sondern die galatischen Gemeinden selbst im Blick. Deren gegenwärtigen Zustand bezeichnet der Apostel als Apostasie und setzt ihn mit dem Status vor der Konversion zum Christentum gleich (41). Dass dann von einer realized eschatology nicht die Rede sein kann, versteht sich quasi von selbst, obwohl eine Reihe von paulinischen Aussagen im theologischen Teil des Briefes durchaus einen solchen Eindruck nahe legen könnte. Aber es handelt sich bei diesen Aussagen nur um den polemischen Hintergrund für den Vorwurf der gegenwärtigen Apostasie, deren eschatologische Bedeutung Paulus im Brief mehrfach anspricht, wie er auch seine Missionsarbeit im Lichte der eschatologischen Vergeltung sieht. Die für die gegenteilige Ansicht häufig in Anspruch genommene Gabe des Geistes will der Vf. ebenfalls ernst nehmen und er bezeichnet sie auch in gewissem Sinn als eschatologisch, aber die Vertreter der realized eschatology nehmen die Worte des Paulus vom »Beginnen im Geist« (3,3) nicht genügend ernst. Die Gabe des Geistes ist nur ein Beginn, die bis zum Ende andauern muss, um das Ziel des eschatologischen Heiles zu erreichen.
Die Aussagen des Paulus in Gal 3 und 4 klären ausschließlich das Wie der Rechtfertigung und den untrennbaren Zusammenhang von Glauben und Rechtfertigung, das Wann behandelt Paulus hier gerade nicht. Weder die Rede von der Gabe des Geistes noch das Zitat von Hab 2,4 sind ein Hinweis auf die Gegenwärtigkeit der Rechtfertigung. In 5,5 ist vielmehr die entscheidende Wende zu sehen, hier geht es erstmals im Galaterbrief nicht mehr um das Wie, sondern um den (zukünftigen) Zeitpunkt der Rechtfertigung. Den kritischen Einwand, dies sei der einzige explizite Hinweis auf die Zukünftigkeit der Rechtfertigung im Galaterbrief, lässt der Vf. als Gegenargument nicht gelten, weil sich ja für den Gegen­warts­charakter im Galaterbrief seiner Ansicht nach überhaupt kein Beweistext finden lässt. Man darf die Aussage in 5,5 nicht wie die meisten Ausleger mit der Gegenwärtigkeit der Rechtfertigung zusammennehmen und die Gegenwärtigkeit und die Zukünftigkeit der Rechtfertigung im Galaterbrief ausgedrückt finden, da dies der ausdrücklichen Aussage von 5,5 widerspricht, die Möglichkeit des Verlustes der Rechtfertigung, ihrer Widerrufung, unbestreitbar bleibt und damit der Sinn des Briefes insgesamt in Frage ge­stellt wird. Es gilt so, »that in Galatians Paul never makes an explicit affirmation of the realized nature of justification«, was aber »the unabashed affirmation of the present privileges believers have in Christ« nicht ausschließt. Offensichtlich verträgt sich für Paulus die Gegenwärtigkeit dieser Gaben mit der Zukünftigkeit der Rechtfertigung (70 f.)
Sind so die grundlegenden Linien ausgezogen, so vermögen auch die verschiedenen Aussagen über die Sohnschaft (Kapitel 4) den Gegenwartscharakter der Rechtfertigung nicht zu stützen, obwohl ihnen der Gedanke des »schon« keineswegs vollkommen mangelt. Diese Aussagen bilden aber im Galaterbrief kein eigenes Thema, haben im Kontext bloß dienende Funktion »and the danger he (= Paulus) perceives in the present crisis forbids any unre­served affirmation of the ›already‹«. Dasselbe gilt für die Verheißungsaussagen (Kapitel 5), die im Galaterbrief ebenfalls nicht als bereits erfüllt dargestellt werden, sondern die Gott noch erfüllen wird, und für die Aussagen über das Erbe (Kapitel 6), dessen Gegenwärtigkeit im Galaterbrief ebenfalls an keiner Stelle behauptet wird. Die Verheißung und das Erbe beziehen sich vielmehr auf die Gottesherrschaft bzw. das ewige Leben und sprechen so wie die Rechtfertigungsaussagen von der Zukunft des Heiles. Dementsprechend (Kapitel 7) bringt das Christusereignis nach Paulus auch nicht bereits den neuen Äon herbei oder erweist das Gesetz als obsolet, wie man am Verlangen der Galater nach dem Gesetz sehen kann. »The change happens to us, not to the ›law‹.« Christus und das Gesetz, das ist die Botschaft des ganzen Briefes, sind miteinander nicht kompatibel, es geht dabei aber nicht um eine Gegenwärtigkeit des Heiles, sondern dieses steht mit der Rechtfertigung noch aus.
Die Konsequenzen daraus zieht Kapitel 8: Die Argumentation des Paulus im Galaterbrief ist nicht zweigeteilt, dogmatisch und ethisch, sondern es handelt sich um eine einzige Argumentationslinie mit moralischer Logik. Gal 5,6 und 6,15 zeigen, dass es letztlich in Galatien nicht um die Beschneidung geht, sondern es geht um das Wirksamwerden des Glaubens in der Liebe, und die Krise in Galatien ist keine doktrinäre, sondern eine ethisch-moralische. »… circumcision does pose a serious threat to faith … because it causes the Galatians to deviate from the pattern of faith and love.« (194, Hervorhebung i. O.) »In the Galatian situation … circumcision seems to be propagated in such a way that causes the Galatians to neglect what is really important, namely, faith working itself out through love. In this particular situation, then, circumcision, otherwise an adiaphoron, does become a threat to faith, and that is why Paul has to denounce circumcision the way he does in 5,2-4. It is this for this reason that uncircumcision, which is as useless as circumcision, can never be an adequate answer to the crisis caused by circumcision.« (195) Paulus hat keine doktrinären Probleme mit dem Gesetz, das Problem besteht vielmehr darin, dass das Gesetz nicht kann, wozu der Geist im Stande ist, nämlich Gesetzeserfüllung und Ge­horsam in der Liebe (»Gesetz Christi«) zu erzeugen. Weil die Erfüllung des Gesetzes durch die Hinwendung zu ihm nicht möglich ist, sondern nur im Geist, setzen die Galater gerade durch das Bauen auf die Beschneidung alles aufs Spiel und gefährden damit ihr Kommen ins endgültige Heil.
Der Vf. spricht wichtige hermeneutische Fragen in der Einleitung an und kritisiert, dass jeder Autor die Texte von seinem Standpunkt aus versteht. Dies will er selbst durch genaue Exegese des Kontexts vermeiden, geht aber genauso vor wie die kritisierten Autoren. Das wundert nur den Leser, der die kritisierten Prämissen für völlig aufhebbar ansieht.