Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2007

Spalte:

1059–1061

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Blenkinsopp, Joseph

Titel/Untertitel:

Opening the Sealed Book. Interpretations of the Book of Isaiah in Late Antiquity.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2006. XX, 293 S. 8°. Kart. US$ 25,00. ISBN 978-0-8028-4021-9.

Rezensent:

Peter Höffken

Der bekannte Jesajaforscher treibt Beobachtungen zu Rezeption und Wirkung des Jesajabuches in frühjüdischer und neutestamentlicher Zeit weiter, die er in seinem dreibändigen Kommentare zum Jesajabuch (hier sind vor allem die Bände Isaiah 40–55, 2000 [81–92] und Isaiah 56–66, 2003 [71–76] einschlägig; vgl. die Rezensionen in ThLZ 128 [2003], 379–381, und 129 [2004], 370–372) angedeutet hatte. Das anzuzeigende Buch umfasst acht Kapitel, die in sich geschlossene Beiträge darstellen. So sind denn auch laut Vorwort (XIX f.) zwei dieser Kapitel als Beiträge in anderen Sammelwerken erschienen und werden hier leicht modifiziert wiedergegeben. Dabei ergibt sich auf Grund der Anlage des Buches eine zunehmende Konzentration auf die »sektiererischen« Rezeptionen des Jesajabuches in Qumran sowie in Frühstufen des Neuen Testaments (wobei unklar bleibt, ab wann wir beim Urchristentum nicht mehr mit sektiererischen Strukturen zu rechnen haben, vgl. dazu die Diskussion des »Sekten«begriffs, vor allem 58–62), was hier neben der Jesusbewegung vor allem auch den Täufer Johannes und dessen Gruppe meint, der als Bindeglied zur Qumran»sekte« eingeschätzt wird. Auch damit setzt B. schon früher angestellte Beobachtungen fort, denen zufolge sich bereits im Abschluss des Jesajabuches Spuren einer gleichfalls sektiererischen Bewegung erkennen lassen (vor allem Jes 65 f.). Da diese Bewegung ins 5. Jh. (Esrazeit in Frühdatierung) datiert wird, lassen sich indes die Zwischenzeiten zur makkabäerzeitlichen Spaltung in Sekten nur spekulativ füllen, wobei vor allem die bekannten Bücher von O. Plöger (Theokratie und Eschatologie, 1959) und P. D. Hanson (The Dawn of Apocalyptic, 1979) eine wichtige Hilfseinstanz bilden.
Ich gehe im Folgenden an den einzelnen Kapiteln des Buches kurz charakterisierend entlang. Zunächst geht es um das Jesajabuch als Buch (1–27), wobei besonders seine Eigenart als versiegeltes Buch betont wird, das über die Brücke des Danielbuches größere Weiterwirkungen in frühjüdischer Literatur wie in der Apokalypse des Johannes 5 (ff.) zeitigte. Dass dabei die Aussagen in Jes 8,16 u. 29,11 f. in frühapokalyptischem Sinne rezipiert werden, ist festzuhalten. Wie aber bleibt das Verhältnis zu 30,8 zu bestimmen? – Im folgenden Kapitel (Isaiah: Author, Prophet, Man of God, 28–55) geht B., ausgehend von den Aussagen des Jesajabuches (vor allem in Kapitel 6–8; 36–39), den Wirkungen des Themas Jesaja als Akteur in späterer Literatur nach, wobei unverkennbar das Interesse auf dem »Martyrium des Jesaja« und dessen möglichem Bezug auf die neutestamentlichen Passionsgeschichten liegt. Eine Problematik sehe ich darin, dass sich B. vor allem auf den freien Propheten mit kri­tischer Haltung gegenüber Personen und Gesellschaft in Jes 1–39 als Gegenüber zum weiter wirkenden Bild des Propheten kapriziert. Auf Grund des Gesamtbuches (das er sonst völlig zu Recht im Blick hat!) ist dies eine ziemliche Verkürzung der Perspektive – unter anderem um die im Buchganzen ja auch verankerte Perspektive des tröstenden Propheten von 40–55.
Das anschließende Kapitel (Isaiah at the Beginnings of Jewish Sectarianism, 56–88) interpretiert das Jesajabuch in seinen späten Fassungen (vor allem von 55–66 muss hier die Rede sein) als Ausdruck sektiererischen Denkens und Handelns, das auch primär anders gemeinte Aussagen des Buches integrieren kann. Diese werden mit anderweitigen Nachrichten vor allem in Esra 10 und Mal 3 verbunden, um Formen sektiererischen Verhaltens in der persischen Zeit um 450 v. Chr. näher erfassen zu können. Der Versuch eines Brückenschlags zu den Sekten im Kontext der makkabäischen Krise bleibt natürlich etwas spekulativ, aber wenn es nach 1Makk 2 eine »Versammlung der Asidäer« gibt, legt es sich nahe, Kontinuitäten zu vermuten. Der folgende Abschnitt über »Reading Isaiah at Qumran« (89–128) konzentriert sich auf die Jesaja-Pescharim (Kommentare) und bildet ein glanzreiches Stück des Buches. Das neu­testamentliche Gegenstück (Reading Isaiah in Early Chris­tianity, with Special Reference to Matthew’s Gospel, 129–168) konzentriert sich auf Beobachtungen zum Jesaja-Anteil an den Zitaten aus dem Alten Testament im Matthäus-Evangelium.
Einen interessanten Versuch bildet das Kapitel »Isaianic Titles in Qumran and Early Christianity«, 169–221, das die sehr unterschiedlichen Aufnahmen verschiedener jesajanischer Gruppenbezeichnungen in Qumran und neutestamentlichen Grundschichten verfolgt. Behandelt werden folgende Bezeichnungen: die Vielen; der Weg; die Gerechten, die Erwählten; die Knechte des Herrn; die Heiligen; die Armen; die Büßer; die Klagenden und die Chasidim/ Frommen. Diese haben mehr oder weniger starke Rezeption in Qumran und/oder im Neuen Testament gefunden. Eine Schwierigkeit ist, dass einige dieser Bezeichnungen kaum als rein jesajanisch isolierbar sind, sondern – wie auch B. wahrnimmt – stark durch Psalmensprache mitbestimmt sind. Das anschließende Ka­pitel »Exile in the Interpretation of Isaiah«, 222–250, fragt nach den Aufnahmen der Thematiken »Exil« und »Rest Israels« ausgehend vom Jesajabuch weit in die frühjüdische Literatur einschließlich von Qumran hinein. Es wird deutlich, welch starke Abweichungen von der gängigen Interpretation des Exils und der Wende in Esra und Nehemia erkennbar werden. Dabei findet natürlich der auslegerische Umgang mit Jesaja-Texten (wie mit Kapitel 40) besonderes Interesse.
Endlich widmet sich der letzte Abschnitt »The Many Faces of the Servant of the Lord«, 251–293, den Geschicken des Gottesknechts schon im Jesajabuche selbst und dann vor allem in Qumran und im Neuen Testament im Kontext der Jesusinterpretation. Zumindest mir war die teilweise intensive Bezugnahme auf Jes 53 in Qumran so nicht bekannt. Bei der Behandlung neutestamentlicher Aussagen wünschte sich der Leser eine etwas differenzierende Umgangsweise. Es wird doch manches sehr global einer Selbstinterpretation Jesu zugeordnet.
Kummer kann die anschließende knappe Bibliographie (294–297) machen: Wir erfahren nirgends, warum so wenig der im Werk sonst reichlich zitierten Literatur als bibliographiewürdig eingestuft wurde. – Ein Sachindex (298–301) und ein Stellenregister (302–315) be- und erschließen das Werk.
Auch wenn man an manchen Stellen seine Fragen haben mag (so bleiben beispielsweise die Ausführungen zu Jesaja als Autor und Handelnder in Hinblick auf Ben Sira oder Josephus sehr, sehr blass, vgl. 45 f.48), muss man Folgendes sagen: Das Werk ist zu würdigen als eine sehr umfassende Leistung, die wichtige Gestaltungen der Rezeptionen des Jesajabuches in frühjüdisch-frühchristlichem Um­feld thematisiert. Das Buch besticht außerdem durch die gute Kenntnis B.s auch der Qumranliteratur (was Primär- wie Sekundärliteratur meint), und dem Leser werden neue und überraschende Fragestellungen ermöglicht. Insofern wird die Kenntnis der Jesajarezeption in frühjüdischer und neutestamentlicher Zeit durch dieses wirklich anregende Buch sehr vertieft und gefördert.