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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

1019–1021

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Gronover, Matthias

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik mit Luhmann. Wissenschaftstheoretische, systemtheoretische Zugänge zur Theologie und Pragmatik des Fachs.

Verlag:

Münster-Berlin: LIT 2006. VI, 310 u. 5 S. gr.8° = Tübinger Perspektiven zur Pastoraltheologie und Religionspädagogik, 24. Kart. EUR 29,90. ISBN 3-8258-8528-3.

Rezensent:

Martina Kumlehn

Der katholische Religionspädagoge Matthias Gronover will mit seiner von Albert Biesinger betreuten Dissertation, die 2004 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen angenommenen wurde, einen Beitrag zur Grundsatzreflexion des Faches Religionspädagogik leisten, indem er die einerseits schlichte, andererseits komplexe Frage nach der enzyklopädischen Einordnung des Faches aufnimmt und systemtheoretisch reformuliert: Wie ist die Religionspädagogik mit Blick auf das Religionssystem, das Wissenschaftssystem und das Erziehungssys­tem zu verorten und wie lässt sich im Schnittfeld dieser Systeme das Proprium der Religionspädagogik bestimmen?
In der Bearbeitung dieser Grundfragen lässt sich G. von drei Thesen leiten, die in den verschiedenen Teilen der Arbeit in verschiedener Perspektive – nicht ohne Redundanz – verfolgt werden: Erstens brauche die Religionspädagogik das Forum der Öffentlichkeit, um ihre Identität bestimmen zu können; zweitens produziere die grundsätzliche Trennung der Systeme Wissenschaft und Erziehung bei gleichzeitigem Anspruch der Religionspädagogik, das Feld der religiösen Erziehung erreichen zu können, das religionspädagogische Paradox, wonach die Disziplin die Probleme der religiösen Erziehung nach eigener Maßgabe rekonstruiere, um sie dann lösen zu können; und drittens werde die Struktur des christlichen Glaubens als mögliches Verbindungsglied zwischen dem theologischen Wissenschaftssystem und der religiösen Erziehung begriffen und solle als systematischer Punkt des religionspädagogischen Selbstverständnisses ausgewiesen werden. Der Glaubensbegriff wird dabei mit einer deutlichen Invektive gegen religions- und kulturhermeneutische Anstrengungen religionspädagogischer Reflexion ins Feld geführt. Es solle nicht darum gehen, nach Anschlussstellen in fremden Kommunikationszusammenhängen zu suchen, sondern die spezifischen Merkmale religiöser Kommunikation selbst zu erheben. »Es wird die Hypothese vertreten, dass eine eigene Kommunikationsform dazu führt, Religionspädagogik als Religionspädagogik zu verstehen und beobachten zu können. Nach Luhmanns Diagnose muss das Religionssystem die Bedingungen seiner kommunikativen Anschlussfähigkeit in der Gesellschaft heute selbst bewerkstelligen. Für die soziologische Theorie ist damit klar, dass die Eigenevidenz des ›Glaubens‹ nicht als argumentative Kraft nach außen dringen kann. Man muss Personen sensibilisieren für die eigenen Inhalte und Praktiken, um an­schlussfähig zu sein.« (80)
Im Anschluss an Luhmann will G. in methodischer Hinsicht phänomenologische Aspekte mit der Strukturanalyse sozialer Be­dingungsgefüge verbinden. Ihm liegt dabei an einem »freie[n] Umgang mit den systemtheoretischen Grundannahmen« (11), in­dem er beim Leser entsprechende Grundkenntnisse voraussetzt und sich im jeweiligen Kontext seiner Argumentation auf eine knappe Einführung in die für ihn zentralen Theorieelemente beschränkt. Luhmann wird – was im Diskurs der Luhmann-Exe­gese ja durchaus strittig ist – als »impliziter Theologe« (11) gelesen, indem triadische Strukturen der Systemtheorie auf triadische Strukturen im christlichen Glauben abgebildet werden. Nicht ganz unbescheiden kündigt G. damit eine neue theologische Re­zeptionsrichtung der Systemtheorie an (vgl. 20 f.), die ja auch sonst in der Praktischen Theologie und in der Religionspädagogik z. B. im Bereich der Seelsorge oder des Gottesdienstverständnisses bzw. zur Bestimmung von »Religion als Unterricht« (Büttner/Dieterich) rezipiert wird.
Die Struktur der Analyse des religionspädagogischen Paradoxes lässt sich G. von wesentlichen Stichworten der Luhmannschen Theorie vorgeben, indem er in einem Dreischritt zunächst nach der Wahrnehmung des religionspädagogischen Feldes fragt, bevor er die Kommunikation der Religionspädagogik erhebt und dann beide Elemente zusammenführt. Hinsichtlich der religionspädagogischen Wahrnehmung stellt G. heraus, dass die Religionspädagogik die Wirklichkeit, die sie beobachtet, immer schon mit einem ausgewiesen »theologischen Blick« rekonstruiert; d. h. seinem Ansatz gemäß wird religionspädagogische Wahrnehmung vom zu Grunde liegenden Glaubensverständnis her bestimmt. Der Glaube er­scheint als das »dynamisierende und beunruhigende Prinzip der Religionspädagogik« (140) und soll gängige Wahrnehmungen durchkreuzen, um das Erfahrungsfeld religiöser Erziehung produktiv irritieren zu können. Dabei wird explizit von dem schon transzendentalphilosophisch und phänomenologisch vorbereiteten und von Luhmann nur rezipierten Theorem Gebrauch ge­macht, dass über die Welt immer nur aus einer bestimmten Beobachterperspektive geredet werden kann (vgl. 137).
Von diesen Voraussetzungen her ist es naheliegend, die Religionspädagogik vorrangig als Kommunikationssystem sui generis zu begreifen, das bestimmten Konstitutionsbedingungen unterliegt. »Religionspädagogik wird zu einer Form, die sich durch eine Unterscheidung einstellt, also ein Konstrukt ist – das dennoch operabel ist und funktioniert.« (195) Dabei partizipiert die Religionspädagogik als »Parasit« an den Systemen Theologie und Pädagogik, benutzt deren Einsichten und kommuniziert sie in eigener Weise. Um das Differenzmerkmal religionspädagogischer Kommunikation weiter zu spezifizieren, bedient sich G. der Luhmannschen Unterscheidung von sinnhafter und sinnvoller Kommunikation, wobei letztere an tradierte Semantiken gebunden ist. In katholisch zugespitzter Weise bestimmt G. die »Gnadentheologie« als eigentliche Sinnform der Religionspädagogik: »Vollkommenheit wird damit zur Kontrastfolie der aufgefundenen und kommunizierten Wirklichkeit, genauso wie Imperfektion als begleitende conditio mitläuft.« (204)
Schließlich entwirft G. das Bild einer Religionspädagogik des »Da-Zwischen«, für die das Verhältnis von Nähe und Distanz, von »Nähedistanz« konstitutiv ist. Im Oszillieren zwischen Individuum, Interaktion und Gesellschaft, im Hin- und Hergehen zwischen wissenschaftlicher Reflexion und der im Erziehungskontext geforderten Interaktion unter Anwesenden sollen entsprechend verschiedene Formen des Glaubens wahrgenommen und kommuniziert werden. Wer Freude an erkenntnistheoretischen Grundsatzüberlegungen hat und bereit ist, die oft nur angedeuteten systemtheoretischen Zusammenhänge nachzuvollziehen, kann bei der Lektüre anregende Reformulierungen klassischer religionspädagogischer Grundfragen entdecken. Allerdings wird der Leser auch selbst ein hohes Maß an Rekonstruktionsvermögen aufbringen müssen, um die Hauptlinien des Argumentationsganges präsent zu halten. Verschiedene Diskursebenen werden nicht immer klar getrennt und eine Vielzahl von Einzelreferaten verdeckt manchmal die innere Systematik. Zugleich wird die schillernde Attraktivität der Luhmannschen Systemtheorie deutlich. Sie kann theologische Binnenwelten öffnen und dogmatischer Rede ihren Konstruktionscharakter aufzeigen, sie kann aber auch im Sinne der geschlossenen Systeme so gelesen werden, dass die Binnenkom­munikation auf Kosten des Austausches mit anderen Kommuni­kationssystemen gestärkt wird. Beide Spuren sind in G.s Buch zu entdecken, ohne in ein durchgängig reflektiertes Verhältnis zueinander gesetzt zu werden.