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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

982 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Koch, Anton Friedrich

Titel/Untertitel:

Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie.

Verlag:

Paderborn: mentis 2006. 188 S. Kart. EUR 29,80. ISBN 3-89785-601-8.

Rezensent:

Malte D. Krüger

Auf Grund ihrer kritischen Ausrichtung kann die Philosophie die Wahrheitsansprüche, wie sie die menschliche Urteilspraxis erhebt, nicht einfach als unerschütterliches Fundament voraussetzen. Daher ist mit einer philosophischen Grundlagendisziplin zu rechnen, die eigens auf das Faktum erhobener Wahrheitsansprüche reflektiert und im Anschluss an Aristoteles Metaphysik genannt zu werden verdient. Genau darum ist es dem anzuzeigenden Buch des Tübinger Philosophen Anton Friedrich Koch zu tun. Es skizziert auf anspruchsvolle Weise und unter deutlich elementarisierendem Rückgriff auf einschlägige Untersuchungen K.s, wie gegenwärtig eine Konzeption von Metaphysik aussehen könnte. Dabei entspricht der Voraussetzungslosigkeit der Metaphysik in diesem Buch in gewisser Weise das Vorgehen, schrittweise eine Theorie argumentativ zu entfalten, ohne fachspezifische Bildung vorauszusetzen. Ein Personen- und Sachregister sowie ein aufschlussreiches Inhaltsverzeichnis verstärken die damit gegebene Allgemeinverständlichkeit der Untersuchung, die ausdrücklich auch als »Ar­beitsbuch« (9) für Studierende auftritt.
Der argumentative Gedankengang des Buches gibt zwei Schritte zu erkennen. Der erste Schritt deckt die wahrheitstheoretischen Voraussetzungen der Urteilspraxis auf. Ausgangspunkt ist das theo­retisch unschuldige wie praktisch unstrittige »Faktum der Wahrheit« (11). Es besteht darin, dass wir in Aussagen einen objektiven Wahrheitsanspruch erheben: Wir unterstellen, dass sich unsere Aussagen von den Dingen unterscheiden, auf die sie sich beziehen. Aussagen machen sich demnach nicht selbst wahr, sondern sind wahr oder falsch je nach dem Stand der Dinge. Darum ist die Fehlbarkeit von Aussagen kein Mangel, sondern Zeichen ihres Wirklichkeitsbezugs. Wahrheitstheoretisch impliziert dies, dass der Wahrheitsbegriff nicht nur einen realistischen, sondern auch epis­temischen Aspekt aufweist: Die ausgesagten Dinge sind nicht nur von ihrer Aussage zu unterscheiden, sondern sind in ihrer Aussage auch epistemisch zugänglich. Dieser epistemische Wahrheitsaspekt lässt sich in einen phänomenalen und pragmatischen Wahrheitsaspekt ausdifferenzieren, so dass drei Aspekte auseinanderzuhalten sind: der realistische, der phänomenale und pragmatische Aspekt der Wahrheit. Mit dem relativen Recht der Einseitigkeit lässt sich jeder dieser drei Wahrheitsaspekte verabsolutieren. Entsprechend erscheint Wahrheit dann einseitig als Unverborgenheit der Dinge, als Übereinstimmung von Sprache und Welt oder als berechtigte Behauptbarkeit. Doch die Probleme der Profilierung eines einzigen Wahrheitsaspekts im Rahmen einer Theorie sind so hoch, wie K. im kritischen Gespräch mit der philosophischen Tradition und der Analytischen Philosophie zeigt, dass eine Wahrheitstheorie attraktiv ist, die alle drei Wahrheitsaspekte beisammenhält.
Die Leistungsfähigkeit einer solchen Theorie führt K. im zweiten Schritt vor, indem er zeigt, inwiefern es diese drei Wahrheitsaspekte unter den Bedingungen menschlicher Subjektivität erlauben, die Aspekte des Diskurses (Begriff, Urteil, Schluss), die Dimensionen des Raumes (Vertikale, Horizontale, Tiefe), die Ekstasen der Zeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) und die Aspekte der Freiheit (Autonomie, Unabhängigkeit von den Naturgesetzen, Wahlfreiheit) zu erfassen. Dies führt letztlich zum Entwurf einer Theorie, die zur argumentationsanalytischen Rekonstruktion von Hegels »Wissenschaft der Logik« ermuntert (vgl. 174). Doch anders als es vielleicht ein Klischee nahelegt, votiert K. damit nicht für einen bestimmten Idealismus oder sprachanalytischen Antirealismus, sondern für einen internen Realismus, der strikt vom metaphysischen Realismus zu unterscheiden ist und seine Nähe zu Aristoteles keineswegs leugnet (vgl. besonders 11–25.42.165).
Wie diese Skizze des Gedankengangs andeutet, zeichnet sich K.s Untersuchung sowohl der Sache als auch der Beweisführung nach durch eine große Dichte aus. In bestechender Argumentation und mit begrifflicher Präzision wird unter souveränem Rückgriff auf die philosophische Tradition und vor allem im Gespräch mit der Analytischen Philosophie eine Konzeption von Metaphysik skizziert, deren Anschlussfähigkeit zweifelsohne attraktiv sein dürfte. Eine kleine Anfrage könnte sich auf den Ausgangspunkt der Untersuchung beziehen: Warum wird der in der menschlichen Urteils­praxis unterstellte Anspruch auf Wahrheit (vgl. so auch K. selbst: 82) als »Faktum der Wahrheit« (11) eingeführt? Verträgt sich die Einführung dieser Rede mit der Absicht, nur das übliche Allgemeinwissen vorauszusetzen (vgl. 9), wenn doch Faktum und Anspruch normalerweise unterschieden werden?