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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

968–970

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Langenhorst, Georg

Titel/Untertitel:

Theologie und Literatur. Ein Handbuch.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005. 271 S. gr.8°. Geb. EUR 59,90. ISBN 3-534-17257-4.

Rezensent:

Andreas Mauz

Das Erscheinen eines Handbuchs setzt voraus, dass es einen Forschungsgegenstand gibt, der über eine abgrenzbare Identität verfügt. Wie diese bestimmt wird, entscheidet maßgeblich darüber, welches Wissen in Gestalt einer Forschungsgeschichte, in der Be­nennung von Begriffen und Methoden in handlicher Form zu­gänglich gemacht wird – insbesondere dann, wenn der zu erschließende Gegenstand zwischen etablierten Fachgrenzen angesiedelt ist. Der Vf. des vorliegenden Handbuchs ist diesbezüglich mit Be­dacht vorgegangen. Sein Titel ist bewusst formuliert, sowohl im Blick auf die beiden das Feld bestimmenden Begriffe als auch auf deren implizite Hierarchie: Es geht um Theologie (und nicht Religion, Glaube o. Ä.) und Literatur (und nicht Literaturwissenschaft oder Ästhetik), und dies aus katholisch-theologischer Perspektive. Wenn sich jemand vornehmen konnte, im Alleingang einen so angelegten Überblick über »Erträge, Tendenzen und Perspektiven« (10) zu geben, dann der Vf.
Der in Augsburg lehrende Religionspädagoge ist ein Exponent des interdisziplinären Feldes, und dies längst nicht nur in Bezug auf dessen religionspädagogische Provinz. Mit seinem Handbuch legt er nun einen Titel vor, der durch keinen anderen zu ersetzen ist – auch wenn die theologische Perspektive bisweilen nicht nur als klares Profil, sondern als Grenze spürbar wird. Die Identität des Vf.s illustriert jedoch zugleich eine der Ausgangsthesen des Bandes: Der Forschungsbereich zeichne sich aus durch eine »Schieflage zwischen den Dialogpartnern« (9), denn das Interesse der – katholischen – Theologie sei »ungleich intensiver als das der Literaturwissenschaftler« (11), die ja wohl oder übel auch dann im Spiel sind, wenn man primär an ihrem Gegenstand interessiert ist.
Der Band, ausgestattet mit einem Namensregister und einer um­fassenden Bibliographie, ist dreiteilig gegliedert: Zunächst werden »geschichtliche und hermeneutische Entwicklungslinien« skizziert, ein zweiter Teil bietet einen »thematisch-systematischen Überblick« der Forschung, der dritte einen »Ausblick« mit programmatischen Überlegungen. Für den gesamten Band gilt eine Konzentration auf die deutschsprachige Literatur und Forschung des 20. Jh.s.
Die ›materialen‹ Teile 1 und 2 erfüllen in bester Weise die Anforderungen, die man an ein – oft nur punktuell konsultiertes – Handbuch stellen wird. Gut lesbar und in gebotener Kürze werden klar benannte Diskussionslagen dargestellt. Der Vf. lässt den ersten Teil mit der Vorgeschichte beginnen: mit den literaturwissenschaftlichen Ansätzen Auerbachs und Schönes, den evangelischen und katho­lischen Positionen (Tillich, »Kulturprotestantismus«, Bahr; Guar­dini, von Balthasar), schließlich dem »Streit um die ›christliche Dichtung‹«. Auf sie folgt eine Darstellung der Beiträge, die den Forschungsbereich seit den frühen 70er Jahren als solchen wahrnehmbar machen und – im deutschsprachigen Raum – bis heute bestimmen: die religionsdidaktischen Einlassungen auf Literatur, Sölles Entwürfe der »Realisation« bzw. »Theopoesie«, Mieths Überlegungen zum ethischen Mehrwert des Ästhetischen und schließlich die viel rezipierten Arbeiten Kuschels, von dem der Vf. selbst herkommt. Sie alle bewegen sich im Horizont eines »Dialogpa­radigmas« (49), das die Engführung auf die »christliche Literatur« und theologischen Instrumentalisierungen von Literatur in unterschiedlicher Weise zu überwinden sucht – ein Paradigma, das vom Vf. massiv in Frage gestellt wird (s. u.). Da sich der Vf. ausdrücklich nicht an Sachproblemen orientiert, sondern einen forschungs­geschichtlichen Abriss bietet, dem explizite Bezugnahmen zu Grunde liegen, erscheinen Vorgeschichte und Ge­schichte hier eng aufeinander abgestimmt; aus dieser Perspektive randständigere Phänomene – Kunstreligion, existenzielle/konfessionelle Literaturwissenschaft etc. – bleiben zwangsläufig außen vor.
Mag die Konzentration auf den deutschsprachigen Diskurs auch eine verständliche Beschränkung sein, so ist sie dennoch zu bedauern. Im knappen »Ausblick ins 21. Jahrhundert« kritisiert der Vf. etwa zu Recht, dass sich die deutschsprachige Debatte vom internationalen Forschungsfeld abgekoppelt habe, reproduziert diesen Befund dann aber gleichwohl im Handbuch-Format. Dass mögliche Anregungen nicht einmal angedeutet werden, dürfte sich nur teilweise pragmatischen Gründen verdanken. Des Vf.s eigene Einlassung auf die internationale Forschung und die mit ihr einhergehenden Theoriebezüge verbinden sich hier wie in anderen Arbeiten mit starker Skepsis. Der Appell zu einer Öffnung wird daher (unkritisch an Steiner anschließend) verschränkt mit einer Warnung, die entlang einer reichlich pauschalen Opposition einer ›ernsthaften‹, der Moderne verpflichteten deutschsprachigen Forschung und einer ›verspielt-postmodernen‹ ausländischen verläuft (226 ff.). Auf Grund der nämlichen Reserve findet sich weder im »Ausblick« noch an­derswo ein Hinweis auf eine mögliche Produktivität der exten­siven – deutschsprachigen und internationalen – kulturwissenschaftlichen Forschung zu theologieaffinen Themen wie Schrift, Gedächtnis, Opfer, Bild, Mythos etc. (eine Ausnahme bildet die Bezugnahme auf W. Braungarts Arbeiten zum Ritual).
Im zweiten Teil wird die historische durch eine systematische Darstellungsform abgelöst. Ein erster umfangreicher Abschnitt gilt dem intensiv bearbeiteten Problem literarischer Variationen biblischer Motive. Die Erkenntnisse des diesbezüglich einschlägigen Kompendiums von Schmidinger (1999) werden noch einmal prägnant gebündelt. Die Erweiterungen der figurenbezogenen Darstellung um die von »Untersuchungen zur Bibelrezeption einzelner Schriftsteller« sind als solche aufschlussreich und repräsentieren exemplarisch einen zweiten verbreiteten Fragehorizont. Von Interesse sind sie aber insbesondere dann, wenn die Aufmerksamkeit einmal mehr »einer/m« der acht »LieblingsautorInnen« (218) der Forschung gilt (u. a. Bachmann, Böll, Th. Mann, Rilke). Eine auf Rezeptions- bzw. Transformations typen gerichtete Darstellung – zu der angeregt durch die Intertextualitätsforschung ja Ansätze bestehen – wäre hier vielleicht fruchtbarer gewesen. Streckenweise erschöpft sich der Text so in einer kommentierten Bibliographie.
Die Struktur der folgenden Teilkapitel ist am binnentheologischen Fächerkanon orientiert, folgt damit also erneut der Perspektive einer Mehrheit der referierten Arbeiten. Was für primär lite­raturwissenschaftliche Lesende unter Um­ständen nur bedingt nachvollziehbar ist, hat den Vorzug, dass das Spektrum primär theologischer Forschung in seiner Breite kenntlich wird: vom Komplex »Literatur und Theodizee« und der Schuldthematik in der Systematischen über literarische Bearbeitungen kirchengeschichtlicher Gestalten und Epochen in der Historischen zu religionspädagogischen und homile­tischen Entwürfen in der Praktischen Theologie. Die heterogenen Ansätze »ästhetischer« oder »poetischer« Theologie (Stock, Timm, Huizing; Bayer fehlt) werden leider nur knapp und eher kritisch verhandelt. Indem sie den Akzent auf Strukturen und Vollzüge legen, die sowohl Theologie als auch Literatur auszeichnen (könnten), hätten sie Anlass geboten, die Relativität des zu Grunde gelegten Differenzmodells zu benennen.
Der abschließende dritte Teil formuliert einige programmatische An­liegen des Vf.s, allen voran das titelgebende eines »Ab­schieds vom Dialog-Paradigma«. Denn was als »Dialog« bezeichnet werde, sei de facto eine »idealtypische Wunschvorstellung« (214). Das Gesprächsangebot der Theologie sei »gescheitert«: Die Literaturwissenschaft habe sich ihm »verweigert« (215), die Literaten hätten mit Zurückhaltung reagiert. Die Anregung des Vf.s, kritisch zu prüfen, ob der Dialog-Begriff überhaupt etwas benennt, was stattfindet bzw. stattfinden kann oder soll, ist sehr berechtigt. Der Gestus der Verabschiedung lässt ihn dann allerdings auch in sachlicher Hinsicht sehr großzügig »Entlastung[en] von falschen Zwängen« (219) versprechen – etwa von jenem, »die eigene Wissenschaftlichkeit durch übergroße An­passung an vermeintliche Standards des Partners [i. e. der Literaturwissenschaft] … unter Beweis stellen zu müssen« (220). Was aus Äußerungen dieser Art nicht hervorgeht, ist die primäre Dimension des geteilten Sachbezugs. Nicht um Anpassung an fremde Standards geht es, sondern – und zum eigenen Nutzen – um die Wahrnehmung von Theorieangeboten zur Eigenlogik des Gegenstands »Literatur«. Trotz seines Plädoyers für eine autonome und selbstbewusste theologisch-literarische Forschung zielt der Vf. aber nicht darauf, mit dem Dialog auch die Interdisziplinarität in Frage zu stellen; »Theologie und Literatur« als theologische Subdisziplin zu installieren, liegt ihm fern. Das wird deutlich, wenn er seinen bereits mehrfach vorgelegten Ka­ta­log der fünf »Gewinndimensionen« (229) einer Zusammenschau von Theologie und Literatur – Textspiegelung, Sprachsensibili­sierung, Erfahrungserweiterung, Wirklichkeitserschließung und Möglichkeitsandeutung – erstmals auch mit Blick auf die Literaturwissenschaft formuliert.
Dass die kurzen Ausführungen zu diesen Dimensionen Rückfragen provozieren, liegt auf der Hand: Welches Verständnis von Literatur steht hier im Hintergrund? Sind die Gewinndimensionen tatsächlich für beide Disziplinen die gleichen, und überdies für die Schreibenden? Wie wäre angesichts der je verschiedenen Bezugsgrößen das interne Verhältnis dieser Dimensionen zu sehen? Auf der Hand liegt aber auch, dass ein ähnlich grundsätzlicher Entwurf aus literaturwissenschaftlicher Perspektive bislang leider fehlt.
Da die materiale Darstellung bei weitem überwiegt und Nachdenklichkeiten im Stil der genannten Rückfragen insgesamt wenig Platz eingeräumt wird, bildet der Vf. auch darin im Kleinen eine Struktur ab, die den zu erschließenden deutschsprachigen Dis­kurs auszeichnet. Insofern ist zu hoffen, dass beherzigt wird, was er als erste von drei »Perspektiven« benennt: »theoretisch-hermeneutische Grundlagenarbeit«. An der »Vernachlässigung des theoretischen Dis­kurses« (236) zu arbeiten, wäre sicher eine gute Voraussetzung, um die beiden anderen und ambitionierten Perspektiven – »Internatio­na­lisierung« und »interreligiöse Öffnung« – aussichtsreich anzugehen.