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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

954–956

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Todt, Sabine

Titel/Untertitel:

Kleruskritik, Frömmigkeit und Kommunikation in Worms im Mittelalter und in der Reformationszeit.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 2005. 386 S. m. 6 Abb. u. 2 Tab. gr.8° = Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 103. Kart. EUR 68,00. ISBN 3-515-08681-1.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

In der Monographie, einer am inzwischen aufgelösten Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Hamburg entstandenen Dissertation, untersucht Sabine Todt, primär unter wirtschafts- und sozialgeschichtlichem Aspekt, historische Prozesse vom frühen Mittelalter bis in die Reformationszeit, die in der »Freien Stadt« Worms zu Veränderungen in der Stadtherrschaft sowie in der Sozial- und Konfessionsstruktur führten, stellt sie dar und reflektiert sie. Dabei spielen für die Verhältnisse in einer Stadt, die vom frühen Mittelalter bis 1801 bzw. 1803 Sitz eines Bischofs war, die Auseinandersetzungen mit dem Klerus eine sehr wichtige Rolle.
Besonders hervorzuheben ist der in mehrfacher Hinsicht methodisch bemerkenswerte Ansatz von T. Sie nimmt die Untersuchung eines so weit gespannten Zeitraums (zwischen dem 13. und 16. Jh., in der historischen Übersicht bis ins frühe Mittelalter zu­rückgreifend) zum Anlass, in einem Exkurs »Epochen und Epochengrenzen als Kategorien der Geschichtswissenschaft« in intensiver Auseinandersetzung mit dem einschlägigen Forschungsstand umfassend zu reflektieren (69–75) und damit das Kapitel »Worms im Mittelalter: Städtische und klerikale Institutionen« abzuschließen. Dem entsprechend betont T. bereits in der Einleitung, dem Konzept einer »longue durée« in der chronologischen Darstellung verpflichtet zu sein und so reformatorische Durchsetzungsprozesse als Ergebnis kontinuierlicher Entwicklung verstehen zu können, ohne indes die Tatsache eines Umbruchs in der Reformation völlig zu leugnen. Dabei setzt sie sich mit der umfang­reichen Literatur zu einzelnen Zeitabschnitten der Stadtgeschichte auseinander und kommt unter Einbeziehung einer neuen Analyse der einschlägigen und seit der Stadtzerstörung von 1689 leider lückenhaften Quellen zu einer interessanten und gut lesbaren Ge­samtdarstellung mit zum Teil neuer Bewertung des Materials. Die Interpretation der vorhandenen Quellen, insbesondere der Flugschriften in ihrer während des frühen 16. Jh.s stets wachsenden Fülle, kommt durch die Einbeziehung kommunikationswissenschaftlicher Methoden zu teilweise neuen, frühere Ergebnisse so­zialgeschichtlicher Forschung relativierenden Erkenntnissen. Die Wech­selwirkung zwischen Autor, Medium und Rezipient, das »Kom­munikationsmodell«, wird dabei als Verständnisschlüssel für »reformatorische Durchsetzungsprozesse« nach gründlicher kri­tischer Reflexion (189–211 bzw. 229) nutzbar gemacht und älteren Erklärungsmodellen, »lutherischer Engführung«, »frühbürger­licher Revolution«, »normativer Zentrierung«, der »Gemeindereformation« und dem »Bewegungsmodell« vorgezogen. Ist die theoretische Grundlegung der Methode auch sehr anspruchsvoll und mitunter etwas mühsam zu lesen, so führt sie doch insgesamt zu einer gut lesbaren, zusammenhängenden und spannenden Darstellung eines großen und wichtigen Abschnitts der Stadtgeschichte. Die Konzentration der Studie auf eine Stadt erleichtert die Anwendung der entwickelten Untersuchungsmethoden.
Der historischen Darstellung im engeren Sinne sind drei Kapitel gewidmet: »Worms im Mittelalter: Städtische und klerikale In­stitutionen«, »Die reformatorischen Bewegungen in Worms: Vorläufer, Anfänge, Ursachen – Worms im 14. und 15. Jahrhundert«, »Die reformatorischen Bewegungen in Worms«.
Im Kapitel »Worms im Mittelalter« beschreibt T. zunächst den Welt- und Ordensklerus innerhalb der Diözese Worms sowie die Größe und Verwaltungsstruktur des kleinen Bistums, die Einteilung in Stifte und Pfarreien sowie die Einbindung des Bistums in die Reichspolitik und die Auseinandersetzung zwischen Weltklerus und Bürgerschaft. Vor diesem Hintergrund folgt die Darstellung des Ordensklerus und seines besonderen, in der Monographie mehrfach bedachten Verhältnisses zu den Bürgern. Im Verlauf der Darstellung wird deutlich, dass Kleruskritik im Mittelalter nicht grundsätzlicher, die heilsvermittelnde Rolle in Frage stellender Art war, sondern meist ökonomische und soziale Ursachen hatte, z. B. die Steuerbefreiung und andere Sonderrechte des Weltklerus. Griff der Bischof zum Instrument des Interdikts oder Banns und der Weltklerus verließ die Stadt, so konnte der Ordensklerus die notwendige geistliche Versorgung der Bürgerschaft teilweise übernehmen. Vor diesem Hintergrund beschreibt T. die »politischen, wirtschaftlichen und sozialen Formierungsprozesse«, das Verhältnis von Wormser Rat und Gemeinde im Zusammenhang von Territorial- und Reichspolitik. Außerordentlich spannend ist die folgende Darstellung der »reformatorischen Bewegungen« im 14. und 15. Jh. Die Spannungen zwischen Geistlichen und Laien, die sich zum Beispiel in dem »Pfaffenkrieg« von 1385 und in dem Wormser Fastnachtsspiel von 1514 entluden, sind genauso ausführlich aus den Quellen und der Literatur dargestellt wie die Konflikte der Wormser Bischöfe mit der Stadt, dem Rat und seinen Bürgern. Dabei geht T. auf Mathäus von Krakau, Johannes II von Fleckenstein, Reinhard von Sickingen, Johann von Dalberg und Reinhart von Rüppur, die Regierungszeiten von 1405–1533 umfassend, im Einzelnen ein. Die Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Situation des Klerus am Ende des 15. Jh.s, des »Antiklerikalismus« und der »Krisen des spätmittelalterlichen Bürgertums« in Worms beschließen das Kapitel. Die folgende Darstellung der reformatorischen Bewegungen des 16. Jh.s setzt Schwerpunkte bei der Auswertung der Quellen und der Literatur zum Reichstag von 1521, seiner Auswirkung auf die städtische Politik und die Hinwendung der Wormser Bürgerschaft zur Reformation, zum Bauernkrieg und der Bewegung der Täufer in Worms. Bekannte Forschungsergebnisse werden hier mit der genannten Methode kommunikationswissenschaftlicher Analyse neu durchdacht. Sozialgeschichtlich be­sonders interessant ist dabei die Kommunalisierung kirchlicher Strukturen und die Residenzpflicht der Pfarrer als Teil der Forderungen der Bauern in ihrer Affinität zu republikanischen Strukturen und in ihrer Verschränkung mit politischen Forderungen im engeren Sinne. Die Rolle des Dru­ckers Peter Schöffer für die Bewegung der Täufer in Worms wird im letzten Abschnitt der Monographie auf der Grundlage des Kommunikationsmodells noch einmal verdeutlicht.
Insgesamt beruht die Darstellung hier auf bereits vorliegenden Forschungsergebnissen und ihrer differenzierten Bewertung durch die Beschreibung der Kommunikationsstruktur der Texte. So kann T. in ihrer durchdachten und plausiblen Schlussbetrachtung feststellen, dass zwischen der »medialen Umsetzung der reformato­rischen Ideen und der Durchsetzung dieser Ideen« ein Zusam­menhang besteht sowie »intensive laikale Frömmigkeit verknüpft mit einer traditionellen Kritik am Weltklerus« und »kulturelle und gesellschaftliche Wissensbestände«, durch Flugschriften als »reformatorischer Gegendiskurs« transportiert, die Basis des starken Engagements der Wormser für die Reformation bilden (331). Sechs Abbildungen, zwei Tabellen zum Personalbestand des Wormser Klerus um 1500 sowie ein umfangreiches Literatur- und Quellenverzeichnis runden das Werk ab. Insgesamt bietet die Monographie einen wertvollen Beitrag zu einem wichtigen Abschnitt der Stadtgeschichte von Worms und stellt in Teilen eine interessante Ergänzung zur ebenfalls 2005 erschienen Wormser Stadtgeschichte dar.