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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

946–948

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vogel, Manuel

Titel/Untertitel:

Commentatio mortis. 2Kor 5,1–10 auf dem Hintergrund antiker ars moriendi.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 408 S. gr.8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 214. Geb. EUR 84,00. ISBN 978-3-525-53078-8.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Manuel Vogel veröffentlicht mit dieser Arbeit seine Münsteraner Habilitationsschrift zu 2Kor 5,1–10. Diese Verse bearbeiten in den letzten Jahren allein in deutschen Verlagen zwei weitere Monographien: Bernd Kuschnerus (Göttingen 2002 als FRLANT 197) und Frederik Lindgård (Tübingen 2005 als WUNT 2.189, vgl. Rez. M. Vogel, ThLZ 131, [2006], 378 f.). V. zitiert mit seinem Titel Ciceros Übersetzung (Tusc. 1,74) einer Sokratischen Maxime (Phaid 80E–81A), die er in seiner Übersetzung mit »Bekümmerung um den Tod« wiedergibt (172, vgl. Motto: 5). V. ist durch sein schönes Buch zu Herodes als quellenkundiger Forscher ausgewiesen (vgl. Rez. M. Ebner, ThLZ 127 [2002], 1306–1308). Auch das vorzustellende Werk braucht bei den Literaturangaben zu den Quellen (383–390) fast so viel Raum wie für die Sekundärliteratur (390–397).
Die Arbeit enthält drei Teile. Im Teil I, der Einführung (10–43), entfaltet V. seine These und skizziert die Forschungsgeschichte. Seine These lautet: Paulus entfalte in 2Kor 5,1–10 sein persönliches Todesverständnis in apologetischer Absicht (14). Diese These stellt V. den zahlreichen »Ratversuchen« zu 2Kor 5,1–10 voran, die er in einer Forschungsgeschichte skizziert (14–32). Viele neuere Ausleger von Bultmann an favorisieren eine polemische Interpretation, nach der mehrere Motive und Begriffe des Abschnitts auf die Ge­dankenwelt der korinthischen Gegner des Paulus zurückzuführen sind (17–23). V. dagegen will ohne eine solche Annahme auskommen.
In einem Exkurs bespricht V. die 1. Pers. Pl. in 2Kor 4,1–5,10 (32–43). Zur Alternative »gemeinchristlich« oder »individuell-biografisch« gedrängt, deutet V. die 1. Pers. Pl. in 2Kor 5,1–9 als »im schriftstellerischen Plural formulierte Aussage des Paulus über sich selbst« (41). Mit »wir wissen« (oἴδαμεν) in 2Kor 5,1 meint Paulus also seine »persönliche Gewissheit« (228), nicht eine durch seine Adressaten geteilte Auffassung. Erst wenn Paulus das »wir« durch »wir alle« erweitert (2Kor 5,10), beziehe Paulus auch die Adressaten mit ein (41.314.366).
M. E. waren die Referenzen der Personalpronomen in der ur­sprünglichen Briefsituation zwischen Paulus und der Gemeinde in Korinth klar. Nur abgelöst von dieser Situation bedürfen die Pronomen einer Deutung. Paulus rede von jedem, nur nicht von sich, wenn er die 1. Pers. Sg. verwendet, so meint es weithin die exegetische Zunft zu Röm 7. V. bietet als Gegenstück an, dass Paulus mit der 1. Pers. Pl. nur sich meine. Vielleicht sollten beide Thesen weniger forciert werden. Auch wenn Paulus Gegnervokabeln aufnimmt, fehlen uns vielleicht deutliche Textsignale, aber nicht unbedingt den durch Paulus anvisierten Adressaten. Dies ist für die Deutung von 2Kor 5,8 bedeutsam (anders aber V., 23).
Teil II (45–222) entfaltet die antike Wahrnehmung der Todesproblematik. V. referiert vor allem griechisch-lateinische Literatur in den Sparten Rhetorik, Biographie, Historiographie, Satire, philosophische Ethik. Dabei nennt er dann auch die späte Weisheit und die Makkabäerbücher (210–219).
Seine Belegtexte bietet V. meist in Ursprache und Übersetzung. Viele lehrreiche Beispiele säumen diesen Durchgang. Eindrücklich zeigt V. (123–125), wie Josephus ein und dasselbe Todesschicksal des Hasmonäers Antigonos in zwei Werken ganz unterschiedlich zu beleuchten weiß (bell. 1,357/ant. 15,8–10). Die Darstellung des To­des bewertet hier wie fast durchgängig in den antiken Darstellungen das ganze Leben. V. hat sich viele Jahre bei der Münsteraner Josephus-Arbeitsgruppe engagiert (6 f.). Davon zeugen auch die kundigen Miszellen, die V. in Anmerkungen über Herodes und Agrippa I. bei Josephus bietet (119, Anm. 167; 129, Anm. 183).
Nur knapp kommt V. auf alttestamentliche Stoffe zu sprechen. Frühjüdische anonyme Literatur bzw. Rückschlüsse aus der jüdischen Traditionsliteratur benützt V. kaum als Quelle für die »ars moriendi« im paulinischen Umfeld. Wie Paulus außerhalb des Abschnittes 2Kor 5,1–10 die Todesproblematik angeht, entfaltet V. fast nur in Fußnoten (etwa zu Phil 1,21–24: 361, Anm. 441; Gal 2,20: 329, Anm. 346, nicht Gal 12,20, wie es der Eintrag S. 401 angibt). Ich gehe davon aus, dass Paulus selbst und alle antiken christlichen Leser von 2Kor 5,1–10 zuallererst das Todesgeschick Jesu im Kopf hatten, wenn vom Sterben und vom Tod die Rede war. Erst mit deutlich niedrigerer Wertigkeit mögen die aus Seneca, Cicero und Plutarch entnommenen Themen ein weiteres Netz von Assoziationen um dieses Zentrum herum für uns festhalten. Die paulinischen Ausführungen zur Kreuzestheologie nennt V. überhaupt nicht. Das Todesgeschick Jesu nennt er im letzten Absatz seines Werkes als Arbeitsgebiet, auf dem seine sozio-kulturelle Gesamtthese auch zu überprüfen wäre (378).
Teil III (223–378) versucht, auf dem kultur- und sozialanthropologischen Hintergrund, der im zweiten Teil dargestellt wurde, in einer Einzelexegese die vorangestellte These zu stützen. V. behandelt dabei 2Kor 5,1–10 (warum eigentlich nicht 4,16–5,10?), ohne seine Ergebnisse aus den übrigen Protopaulinen heraus zu stützen. Viele in Teil II bereits angeführte Texte zitiert er nun noch einmal. Dass Paulus in den Korintherbriefen seine Kreuzestheologie entfaltet, also die Todesproblematik vom Tod Jesu her deutet, bringt V. nicht dazu, dieses Geschehen für den kultur- und sozialanthropologischen Hintergrund der Stelle zu verhandeln. Insbesondere die mehrfache anthropologische Anwendung der Kreuzestheologie mit der spezifischen zeitlichen Verzögerung (eindrücklich z. B. 2Kor 13,4) lässt mir V.s These als gesucht erscheinen. Zu ganz anderen Leuten, aber auch hier treffend schrieb Albert Schweitzer vor vielen Jahrzehnten: Es »sind diejenigen, die sich abmühen, ihn [Paulus] aus dem Hellenismus zu erklären, solchen vergleichbar, die in lecken Gießkannen von weit her Wasser herbeischleppen, um einen am Bach liegenden Garten zu begießen« (Die Mystik des Apos­tels Paulus, Tübingen 1930, 140).
V.s These einer apologetischen Argumentation lässt sich zu einer »polemischen Interpretation« überführen, wenn man die spezifische Herkunft der nicht bei Paulus verbreiteten Motive und Begriffe in 2Kor 4,16–5,10 abfragt: Innerer/Äußerer Mensch; individueller Oikodome-Begriff; Ferne/Heimat kombiniert mit einer Leib/Seele-Unterscheidung; ein Mangel des Glaubens gegenüber der Ansicht (eidos). Statt einer allgemeinen ars moriendi deutet deren Herkunft auf einen Vulgärplatonismus, wie ihn Philon für uns belegt. So verlängert m. E. 2Kor 4,16–5,10 die Auseinandersetzung, die G. Sellin zutreffend, wie V. beipflichtet, für 1Kor 15 ge­zeichnet hat (256–266). Die persönlich apologetische Deutung von 2Kor 5,1–10 durch V. kann keine antike Wirkungsgeschichte vorweisen, die sie stützen könnte. Dagegen belegen die Polemiken der frühen Väter wie z.B. Irenäus (adv.haer. 5,1–14) wie auch mehrere Texte aus Nag Hammadi, dass die in der polemischen Interpretation angenommene vulgärplatonische Prägung im frühen Christentum anzutreffen war.
Anhänge (379–408) mit Abkürzungs- und Literaturverzeichnis so­wie einem Stellenregister erschließen die gut lesbare Arbeit.
Nur wenige Tipp- oder Konstruktionsfehler fielen mir auf; sie verstellen nie den Sinn der Ausführungen. Allein die lange Anm. 300 auf S. 312 f. erschließt sich mir auch nicht ganz, wenn ich zweimal das »Verschlungenwerden des Lebens vom Tod« in das 2Kor 5,4 entsprechende »Verschlungenwerden des Todes vom Leben« ändere.