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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

942–944

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rothschild, Clare K.

Titel/Untertitel:

Baptist Traditions and Q.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XVII, 309 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 190. Lw. EUR 74,00. ISBN 3-16-148791-5.

Rezensent:

Knut Backhaus

Die Vfn., die ihr Debüt mit einer ebenso kraftvollen wie einseitigen Dissertation zur historiographischen Rhetorik im lukanischen Werk gegeben hat, legt hiermit ihre zweite Monographie vor. Die These lautet: Die Redenquelle geht traditionsgeschichtlich (statt auf Überlieferung der Jesus-Bewegung) auf exklusive Täuferüberlieferung zurück. Diese Traditionen werden im christlichen Deutungsprozess weithin auf Jesus projiziert.
Um diese These zu entwickeln, trifft die Vfn. einige methodologische Vorentscheidungen: Sie bezieht matthäisches und lukanisches Sondergut in die Profilierung von Q ein, relativiert stark den Geltungsanspruch von redaktionsgeschichtlichen Auslegungsmustern und geht von einem entscheidenden kreativen Anteil von Täuferkreisen an vorsynoptischer Traditionsbildung aus, so dass postuliertes Täufergut aus seinem jetzigen literarischen Kontext zu lösen und einem plausiblen »Sitz im Leben« unter Johannes-Anhängern zuzuweisen ist. Zur Stützung ihrer These führt die Vfn. vor allem folgende Beobachtungen an: Bestimmte Logien werden sowohl Jesus als auch Johannes zugeschrieben (z. B. die »Schlangenbrut«: Q 3,7 und Mt 12,34; 23,33). Zwischen Jesus-Traditionen innerhalb und außerhalb von Q herrschen Widersprüche (z. B. über Fasten: in Q praktiziere und predige Jesus Fasten; außerhalb Q halte er Festmähler). Zwischen Täufertraditionen und Q-Logien herrschen thematische Kontinuitäten (z. B. endzeitliche Umkehrforderung). Auf solche Weise gelangt die Vfn. zu einer ungewöhnlichen Relektüre der synoptischen Evangelien. Nicht alles, was ursprünglich als Lehre des Täufers Johannes galt, ist in der vorliegenden Literatur ihm auch zugeschrieben (vgl. Lk 3,18). Dies erklärt sich dadurch, dass im Zuge eines etwa um 70 n. Chr. zu datierenden Verschmelzungsprozesses zwischen der Täufer- und der Jesus-Bewegung eine Vielzahl von Täufer-Logien auf Jesus übertragen worden ist. Mk schließt solches Logiengut aus seiner Erzählung aus, weil er noch um dessen täuferische Herkunft weiß; Paulus bezieht sich gar nicht auf Jesus-Logien, und seine Polemik gegen die sofia logou und seine Marginalisierung der Basileia-Botschaft mögen gerade hier anzusiedeln sein (vgl. 127 f.226 f.). Mk präsentiert in der Verklärungsszene (Mk 9,2–8) die ursprüngliche Auferweckungserscheinung des Täufers (Elija) nach dessen Hinrichtung durch Herodes Antipas (vgl. Mk 6,16; 8,27 f.). Mit dieser Erscheinung wird nicht nur der bis dahin stille Heiler und Exorzist Jesus als Nachfolger des Lehrers Johannes legitimiert, seine charismatische durch eine didaktische Wirkphase abgelöst, sondern zugleich ge­rechtfertigt, dass in Mk 8–13 Täufer-Lehre auf Jesus übertragen wird. Diese Assimilierung wird auf der Grundlage der dann schriftlich vorliegenden Logienquelle von Mt und Lk fortgeführt. Bei Johannes dem Täufer wurzeln auch die von Täuferkreisen auf Q hin transportierten Menschensohn- und Basileia-Logien, die in einem komplexen Prozess in die christliche Verkündigung integriert wurden.
Es ist nicht möglich, sich mit jeder einzelnen These dieser um­fänglichen Studie auseinanderzusetzen. Der detailreiche Apparat und die 30-seitige Bibliographie lassen erkennen, dass hier beeindruckend viel Arbeit investiert wurde. Die ungewohnte Leseperspektive tut oftmals insofern gut, als allzu vertraute Erklärungsmodelle, etwa die oft und sorglos bemühte redaktionskritische Deutungsfigur einer Täuferkreis-Polemik, heilsam verunsichert werden. Im Ganzen scheint mir die Untersuchung jedoch unter elementaren Mängeln zu leiden:
Die erste Beobachtung der Vfn. ist zweifellos sachgerecht: Jo­hannes der Täufer nimmt in der Redenquelle – wie in allen Evangelien – eine überraschend gewichtige Anfangsposition ein (Q 3) und zieht darüber hinaus auch im Zentrum die Perspektive in auffallender Weise auf sich (Q 7). Dieser Umstand ist erklärungsbedürftig. Nun ist spätestens seit Walter Winks Täufer-Monographie (1968) das Problem ohne Aufstellung komplizierender Hilfshypothesen so gelöst worden, dass die Jesus-Bewegung selbst als »outgrowth of the Baptist movement« gewürdigt wurde. Von daher erklärte sich die Notwendigkeit zu einer christlichen Interpretation bzw. christologischen Re-Interpretation des Täufers einerseits und einer Selbstdefinition des Urchristentums angesichts seiner historischen (und normativen!) Ursprünge beim Täufer andererseits. Die Vfn. entnimmt Winks Untersuchung, was ihr brauchbar scheint, setzt sich aber mit seinem Entwurf im Ganzen nicht auseinander. Hätte sie die einschlägige Forschungsentwicklung als solche wahrgenommen, hätte sich ihr Vorwurf erübrigt, Kommentatoren »like Wink pay lip service to John’s prominence in NT traditions« (19), und der Differenzierungsgrad ihrer Studie hätte er­heblich gewonnen.
Die Vfn. definiert »Baptist traditions« als »traditions, individuals, or groups considering themselves associated in whatever close or distant way with John the Baptist« (3, Anm. 6). Ausdrücklich verzichtet sie darauf, eine sozial distinkte »Täufersekte« als Traditionsträger vorauszusetzen, und eine nähere Bestimmung der Trägerkreise (vage Bezüge werden hergestellt zu Apollos, den ephesinischen »Johannesjüngern« usw.) sucht man in der Studie vergeblich (3–5, Anm. 8 ist eine Liste von Lektüre-Eindrücken aus zum Teil obsoleter Sekundärliteratur ohne kritische Kontrolle am Quellengut; das S. 42, Anm. 36 angedeutete Belegmaterial hält nicht einmal vordergründigster Prüfung stand). Damit wirkt die Basis des Thesengebäudes religionsgeschichtlich und soziologisch ortlos. Der »Sitz im Leben«, der durch Herauslösung des postulierten Täuferguts aus seinem redaktionell bestimmten Kontext freigelegt wird, erscheint als explicatio obscuri per obscurius. Nun trifft die eben zitierte Definition exakt auf die Jesus-Bewegung selbst zu und so­mit auch auf die üblicherweise angenommenen Trägerkreise der Redenquelle. Wozu dann aber noch das Hilfskonstrukt, das zur Texterhellung nichts beiträgt, um seiner selbst willen aber eine Vielzahl von zum Teil verblüffend kühnen Stützungshypothesen notwendig macht? Hypothetisch konstruierte Traditionen werden auf sub-hypothetisch postulierte, unterbestimmte Trägerkreise zurückgeführt, und dies mit dem Anspruch, real vorfind­li­che Texte zu erklären, für die es quellenmäßig dokumentierte Trä­gerkreise gibt. So steht am Ende ein hypothetischer Wasserkopf mit sehr schmalen Textbeinen auf religionsgeschichtlich dünnem Eis.
Der exegetische Freistil, den die Vfn. vorführt, weckt Unbehagen. Der »fresh approach« ist auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Was da gebogen und gebrochen wird, ist indes von hohem Wert, auch wenn es nicht sehr »innovativ« scheint: kontrollierte Textwahrnehmung vor einem möglichst breit wahrgenommenen Verstehensho­ri­zont, Überprüfung von möglichen Auslegungsalternativen, ab­wä­gen­de und sorgfältige Auseinandersetzung mit der bereits geleisteten Forschung (die zahlreichen Literaturhinweise wirken eher aufzählend als verarbeitend), Misstrauen gegenüber eigenen In­konsistenzen. Zwei Beispiele für die Methodik, mit der hier Exegese getrieben wird, mögen genügen: Die Parallelen vom zu fällenden Baum (Q 3,9; Mt 7,19) oder der »Schlangenbrut« in Q (Täufer) und Mt (Jesus) ließen sich, so räumt die Vfn. ein, auch redaktionsgeschichtlich erklären, wäre da nicht Lk 11,1, wo das Vaterunser als ursprüngliches Täufergebet Jesus zugeschrieben sei (86 f.): Die Unwahrscheinlichkeiten plausibilisieren sich gegenseitig. Wenn Jesus am Kreuz »Eloi, Eloi« ruft, sieht die Vfn. darin den Hinweis, dass er nach seinem Lehrer Johannes (Elija) rufe, der ihn verlassen habe; erst Mk habe dann durch Ps 22,1 (gemeint ist Ps 22,2) diesen Ruf domestiziert (142; vgl. 170.232): Die Funktion des Ps 22 in der gesamten (vor)markinischen Passionserzählung wird aus dieser Argumentation ausgeblendet. Die vermehrbaren Beispiele verdichten sich zum Gesamteindruck. Nicht das Deutungsverfahren führt zu einer These, sondern die These zu einem ihr entsprechenden Verfahren. Der Text bleibt eine Nebenrolle.
Die Vfn., der die Anfechtbarkeit ihrer Darlegungen nicht zu entgehen scheint, gibt zu bedenken, dass diese, wenn nicht in sich selbst, so doch in ihrer Kombination Schlagkraft gewännen (231). Ich vermag dem nicht zu folgen: Grelle, aber schwach begründete Thesen ergeben auch akkumuliert keine triftige Theorie.