Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2007

Spalte:

926–928

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Süssenbach, Claudia

Titel/Untertitel:

Der elohistische Psalter. Untersuchungen zu Komposition und Theologie von Ps 42–83.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. X, 415 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 7. Kart. EUR 74,00. ISBN 3-16-148356-1.

Rezensent:

Manfred Oeming

Mit der anzuzeigenden Arbeit hat sich Claudia Süssenbach (geb. 1970) im Jahre 2002 an der theologischen Fakultät Göttingen promoviert. Der Doktorvater ist Hermann Spieckermann. Die Studie ist in sechs Abschnitte gegliedert: Die Einleitung (1–47) entfaltet Grundpositionen gegenwärtiger Psalmenforschung. Dabei werden insbesondere solche englischen und deutschen Gelehrten-Stimmen zur Geltung gebracht, die eine bewusste Komposition der Einzelpsalmen zu einem Buchganzen annehmen (Gerald Wilson, Mi­chal Goulder, Frank-Lothar Hossfeld/Erich Zenger, Christoph Rö­sel, Claus Westermann und Matthias Millard) oder aber bestreiten (Ronald E. Murphy, Norman Whybray). Schon der Umfang der Darstellung macht klar, dass die Vfn. selbst davon überzeugt ist, dass man von der Auslegung des einzelnen Psalms zur Auslegung des Psalters übergehen sollte, weil der Psalter ein bis in Details bewusst durchdacht aufgebautes Buch sei. Entsprechend werden Hossfeld/ Zenger (17–29 u. ö.) und Rösel (29–32 u. ö.) zu Hauptgesprächspartnern und Stichwortverbindung und Psalmenverkettung treten als methodologischer Leitfaden hervor.
Teil II (48–65) sammelt strukturelle Hinweise auf das Wachstum des elohistischen Psalters wie die Schlussnotiz in 72,20, den Ge­brauch der Gottesnamen, die Überschriften und die Doppelüberlieferungen. – Teil III (66–298), der eigentliche Hauptteil der Untersuchung, bietet eine fortlaufende Analyse des zweiten Davidpsalters, der unter den folgenden thematischen Schwerpunkten eine bewusste Komposition darstelle: Prolog: Ps 50 f.; Verrat und Verfolgung: Ps 52–55; die Frage nach dem Wort Gottes: Ps 56–60; Zuflucht bei Gott: Ps 61–64; der Lobpreis der Königsherrschaft Gottes: Ps 65–68; der leidende Gerechte: Ps 69–71; die messianische Hoffnungsvision: Ps 72. Die Vfn. meint, hier einen sinnvollen Spannungsbogen erkennen zu können. – Teil IV (299–344) untersucht sehr viel knapper die Asaphpsalmen 73–83 und 50 mit den Themen und Motiven Chaoskampf und Schöpfung, Gericht, Vertrauen und Gottesnamen, deren Komposition ebenfalls einen Spannungsbogen ergebe und den historischen Ort erkennen lasse.– Teil V (343–380) bietet eine Deutung der Korachpsalmen 42–49.84 f. 87 f. mit den Themen und Motiven Zion, Königtum Gottes, Gott als Zuflucht, Chaosmächte, Völker und Gottesnamen, die wiederum einen Spannungsbogen und ihren historischen Ort erkennen lassen. – Teil VI (381–393) bietet eine knappe Zusammenfassung und einen Ausblick. Beigegeben sind der Arbeit ein Literaturverzeichnis (395–405) sowie ein Stellen-, Namen- und Sachregister (407–415).
Die Arbeit hat ohne Zweifel hervorstechende Merkmale: Sie ist kreativ: Mit viel Liebe wird versucht, Gruppenbildung und Strukturen in den Psalmen aufzudecken und zu plausibilisieren, dass der Psalter »nicht eine unübersichtliche Sammlung von willkürlich zusammenstellten Einzeltexten ist, sondern ein planvoll angelegtes Buch, in dem sich die einzelnen Psalmen gegenseitig ergänzen und beleuchten« (so der Klappentext). Sie ist geistvoll: Die Diktion des Buches, mit der auch komplizierte Einzelheiten interessant dargestellt und Zusammenhänge umsichtig beleuchtet werden, verrät eine sehr einfühlsame Art des Auslegens; man spürt immer wieder die pfarramtliche Praxis durch, so dass diese Doktorarbeit auch eine theologisch sehr empfehlenswerte Lektüre darstellt. Drittens ist sie humorvoll. Der Rezensent musste über gekonnt ironische Passagen mehrfach lachen, z. B. bei der Darstellung von Goulders Festzyklustheorie: »So kann sich die Psalmenexegese glücklich schätzen, dass sie nun mit Hilfe Goulders, dessen Wissen nicht nur das seiner Fachkollegen, sondern auch die Kenntnisse der Verfasser der Überschriften deutlich übersteigt, um die wahren Hintergründe der Psalmen 51–72 im Bilde ist.«
Trotz dieser vielen hochsympathischen Züge hat mich die Arbeit mit ihrer Kernthese aber nicht wirklich überzeugt. Die Dinge sind doch sehr viel unsicherer und komplizierter, als die Vfn. meint. Z. B. ist die Datierung der Korachpsalmen als Gruppe in die zweite Hälfte des 5. Jh.s (375) höchst fraglich; Ps 49 z. B. dürfte sehr viel später anzusetzen sein (vgl. z. B. M. Witte, VT 50 [2000], 540–560). Die Fülle der Gedanken in diesen Psalmen 42 bis 83 erscheint mir weiterhin arg disparat und widersetzt sich m. E. solch wohlmeinenden Systematisierungen. Auch wenn es der Vfn. manchmal ge­lingt nachzuweisen, dass Bezugnahmen der Texte aufeinander vorliegen, den großen Plan einer Gesamtanordnung kann ich auch nach der Lektüre dieses Buches in den Texten nicht erkennen. Die Rede vom Spannungsbogen überspannt den Bogen. So kann man ihr Diktum über Goulder – natürlich mit gewissen Abstrichen – auch auf die Arbeit der Vfn. selbst anwenden. Der alte hermeneu­tische Grundsatz, dass der Ausleger den Autor besser versteht, als er sich selbst verstanden hat, scheint mir hier erfüllt. Mancher Sinn wird gehoben, von dem die Sammler der Psalmen vermutlich nichts geahnt haben. Wäre die These der Arbeit auf der Ebene der Rezeptionsgeschichte angesiedelt, nicht auf der Ebene der Autoren, hätte sie eine höhere Plausibilität. Die Debatte, ob es einen »elohistischen Psalter« überhaupt gegeben hat und welcher Logik die jetzt doch sehr komplexe »Komposition« – sofern man davon überhaupt reden kann – folgt, geht weiter, vgl. z. B. Laura Joffe, The Elohistic Psalter: What, how and why?, Scandinavian Journal of the Old Testament 15,1 (2001), 142–166; dies., The Answer to the Meaning of Life, the Universe and the Elohistic Psalter, Journal for the Study of the Old Testament 27 (2003), 223–235.