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Ausgabe:

September/2007

Spalte:

918–921

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Günther, Linda-Marie

Titel/Untertitel:

Herodes der Große.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, 279 S. m. Abb. u. Ktn. 8° = Gestalten der Antike. Geb. EUR 34,90. ISBN 3-534-15420-7.

Rezensent:

Manuel Vogel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Netzer, Ehud: The Architecture of Herod, the Great Builder. Tübingen: Mohr Siebeck 2006, XIV, 443 S. m. Abb. u. Ktn. gr.8° = Texts and Studies in Ancient Judaism, 117. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-3-16-148570-1.


Die Gestalt Herodes des Großen erfreut sich seit einigen Jahren allerorten verstärkter Aufmerksamkeit: Für die Judaistik ist er als Herrscherpersönlichkeit im Schnittpunkt (bzw. im Zwielicht) von Judentum und Hellenismus interessant, die Geschichts- und Altertumswissenschaft findet in Herodes ein anschauliches Beispiel reichsrömischer Provinzialpolitik, und die Archäologie hat in den erhaltenen Resten seiner zahlreichen Bauten ein weites und dankbares Arbeitsfeld. Schließlich ist Herodes für die Josephusforschung, die in den vergangenen Jahren wichtige neue Impulse erhalten hat, von größter Bedeutung, weil sich anhand des Porträts dieses Herrschers Probleme josephischer Historiographie und Apologetik in aller nur wünschenswerten Konzentration studieren lassen. Dass das Interesse an Herodes nicht abreißt, zeigen auf je eigene Weise die beiden hier zu besprechenden Bücher.
In der von Manfred Clauss herausgegebenen Reihe »Gestalten der Antike« ist Herodes eine unter 25 Herrschergestalten aus zwei Jahrtausenden, angefangen von der Pharaonin Hatschepsut bis zu Kaiser Justinian. Die Bochumer Althistorikerin Linda-Marie Gün­ther hat den Band über Herodes beigetragen. Als Einstieg in den komplexen Stoff wählt sie mit Salome eine Frauengestalt aus der Generation von Herodes’ Nachfolgern und lädt ihre Leserschaft zu einem kunsthistorisch ansprechenden »Tanz durch die Rezeptionsgeschichte« (19–21). Auch im weiteren Verlauf legt Günther mit Recht ein besonderes Augenmerk auf die zahlreichen Frauen im Umfeld des Herodes. Gerade für die Geschichte der Herodes-Dynastie gilt, dass sie zu einem nicht geringen Teil von Frauen bestimmt wurde, allen voran von Salome, der Schwester des Herodes, und von Alexandra, der Mutter seiner hasmonäischen Ehefrau Mariamme. Da die josephische Darstellung, wie in der Antike üblich, gern mit Geschlechterstereotypen arbeitet, ist das kritische Augenmerk der Historikerin an diesen Stellen besonders gefragt. Dies betrifft auch das traditionelle Bild Kleopatras VII., zu dem Josephus seinen Teil beigetragen hat. Die Rolle Kleopatras ist in der josephischen Darstellung dem »Kerngedanke[n]« der »Gefährdung von Herodes’ Herrschaft durch die intriganten Frauen seines eigenen Hauses … und durch Kleopatras feindselige Herrschaftsge­lüste« (105) untergeordnet. Hier ist historisch in der Tat einiges zurechtzurücken.
Freilich mag man Günther nicht bei jeder der überaus zahlreichen Korrekturen der josephischen Darstellung folgen, etwa im Fall des missglückten Selbstmordversuchs des Herodes kurz vor seinem Tod und des synchronen Fluchtversuchs Antipaters aus dem Gefängnis. Für Günther stellt sich der mutmaßliche historische Sachverhalt folgendermaßen dar: Herodes war tatsächlich tot (nicht nur vermeintlich) und Antipater wurde kraft eines gefälschten Hinrichtungsbefehls zu Tode gebracht, also nicht nach dem Willen seines Vaters (der ja schon tot war), sondern auf Betreiben des Siegelbewahrers Ptolemaios, der im Interesse des Archelaos das Herodestestament zu dessen Gunsten gefälscht und diese Fälschung als letzte Änderung von des sterbenden Herodes Hand ausgegeben hat (vgl. 186). Die grundsätzlich Frage lautet, ob den Texten hier nicht ein Maß an historischer Referentialität zugetraut und abverlangt wird, das sie keinesfalls flächendeckend einlösen können. Gerade für die Werke des Josephus gilt, dass sie immer auch synchron als antike Literatur zu lesen sind und auf weite Strecken einer literarisch-rhetorischen Logik folgen, die geschichtliche Ereigniszusammenhänge so weitgehend in literarischen Stoff umprägt, dass die historische Wirklichkeit »dahinter« auch mit den Mitteln kritischer Geschichtswissenschaft vielfach allenfalls noch in Umrissen erschlossen werden kann. Auf den vorliegenden Fall angewendet: Der ausgeführte oder versuchte Selbstmord bzw. Freitod ist ein Topos, der in die Konstruktion eines Charakters Motive wie weichlichen Lebensverdruss, ein unentschlossenes »nicht le­ben und nicht sterben können« oder aber umgekehrt beherzten Todesmut einträgt. Außerdem ist ein missglückter Suizid ein er­zählerisches Mittel, um die Dramatik eines (besonders ein­drucks­vollen oder aber, wie bei Herodes, besonders unwürdigen) Sterbens narrativ zu prolongieren. Lässt die Einsicht, dass hier alles an der literarischen Gestaltung hängt, den Umkehrschluss zu, dass an selber Stelle historisch nichts zu holen ist? Da auch ein stärker literarischer Zugang keineswegs eine völlige Fiktionalität des Erzählten annimmt, lautet die strittige Frage letztlich, welches Maß an Zurückhaltung sich die faktenhistorische Rekonstruktion auferlegen sollte. Je weiter die Analyse literarisch-rhetorischer Strukturen in antiken Geschichtswerken fortschreitet, desto mehr scheint diese Zurückhaltung angeraten.
Dessen ungeachtet stellt die neueste Monographie zu Herodes eine Bereicherung der Forschung dar, nicht zuletzt dadurch, dass sie die herodianische Herrschaft konsequent in den größeren Kontext der jeweiligen Machtkonstellationen Roms und des syrisch-palästinischen Raums stellt und darin zahlreiche neue Hypothesen entwi­ckelt. Nach den chronologisch aufgebauten fünf Kapiteln des Mittelteils (37–193) widmet sich Günther abschließend sehr ausführlich der Frage: »Herodes – Jude oder Hellenist« (195–233) und gelangt hierbei zu einer abwägenden und differenzierten Sichtweise, die das Bild von Herodes als judäischem König jüdischer Religion zu dem des hellenistischen Herrschers und des römischen Klientelkönigs facettenreich ins Verhältnis setzt, Letzteres vor al­lem mit Blick auf seine zahlreichen Bauten.
Wenn sie Herodes in der Schlussbetrachtung (235–242) das Herrscherprädikat »der Große« nicht zuerkennen will, so mag sich dies mit der Einschätzung Ehud Netzers decken, der im Titel seines Buches nicht einfach von »Herod the Great«, sondern »Herod the Great Builder« spricht. Damit ist die Perspektive benannt, in der Herodes’ »Größe« über allen Zweifel erhaben ist. Mag man über das politisch-historische Gewicht des Judäerkönigs zu unterschiedlichen Schlüssen gelangen, so wird man Herodes im Blick auf seine zahlreichen Bauprojekte Anerkennung und Bewunderung kaum verweigern können.
Ehud Netzer, als Archäologe und Leiter mehrerer Grabungsprojekte herodianischer Bauten zugleich ausgebildeter Architekt und bis Anfang der 70er Jahre in diesem Beruf tätig, vermittelt vom Standpunkt des Architekten aus ein eindrucksvolles Bild von Herodes als Bauherr, womit er unser Bild von Herodes als Herrscherpersönlichkeit um einen wichtigen Aspekt ergänzt: »If it is possible to learn about Herod from his projects, then he was a practical and thorough man, with a broad world view, outstanding organiza­tional talent and improvisational ability (in the best sense of the term), able to adapt himself to his sourroundings and to changing situations – a man who anticipated future and had his own two feet planted firmly on the ground« (306). Das Buch konzentriert sich »on what is actually known and on views directly concerned with the field of construction and architecture«, erhebt also nicht den Anspruch »to be a corpus of all that has been written up to the pres­ent day about Herod the Great’s building projects« (XI). Gleichwohl dürfte es sich um die aktuell gehaltvollste und materialreichste Publikation zum Thema handeln, nicht zuletzt dadurch, dass hier ein namhafter Archäologe auf der Basis von 50 eigenen Veröffent­lichungen (vgl. 423–425) die Summe seiner eigenen Forschung vorlegt.
Der Hauptteil des unter Mitarbeit von Rachel Laureys-Cachy entstandenen Buches ist nach Ortslagen gegliedert (17–240: Massada, Jericho, Samaria-Sebaste, Caesarea Maritima, Jerusalem, Herodeion, Wüstenfestungen, sonstige), woran sich in acht Kapiteln eine »general discussion« anschließt (243–306), etwa zur Frage der »architectural influences from the Greco-Roman world« (288–294) und zu »Herod’s personal involvement in his building projects« (294–301), gefolgt von fünf Appendizes, zum Teil verfasst von Orit Peleg, Silvia Rozenberg und Rina Talgam, die mit Fragen der konstruktiven und dekorativen Baumaterialien befasst sind (309–383). Ein hochwertiger Bildteil (385–414), Bibliographie und Register (415–443) beschließen den Band. Drei Schlaglichter aus den ertrag­reichen Einzeldarstellungen: Die chronologische Rekonstruktion der einzelnen Bauphasen auf Massada und in Jericho macht an­schaulich, in welchem Maß sich Herodes als Bauherr persönlich entwickelt hat. Der Nordpalast auf Massada lässt ebenso wie der dritte Palast in Jericho den Standard der hasmonäischen Vorgängerbauten weit hinter sich. Die geniale Einfühlung in die landschaftlichen Gegebenheiten und topographischen Möglichkeiten in Verbindung mit dem festen Willen, den jeweiligen Ortslagen die eigenen architektonischen Vorstellungen aufzuzwingen, machen die herodianische Architektur einzigartig. Als drittes Beispiel sei das Hippodrom von Jericho genannt, das Herodes baulich kurzerhand mit einem Theater kombiniert hat, ein Einfall »not based on any contemporaneous model« (279). Netzer unterscheidet im Blick auf die gesamte Bautätigkeit des Herodes fünf Bauphasen, die letzte von 9 v. Chr. bis zu seinem Tod reichend (vgl. 305). Würdigt man seine Bauten als »fruits of a single creative and analytical mind« (300), dann hatte Herodes, Netzers Chronologie vorausgesetzt, auch als alter Mann noch einen klaren Kopf.