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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

871–873

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kühn, Ulrich

Titel/Untertitel:

Zum evangelisch-katholischen Dialog. Grundfragen einer ökumenischen Verständigung.

Verlag:

Leipzig: Evange­lische Verlagsanstalt 2005. 91 S. 8° = Forum Theologische Literaturzeitung, 15. Kart. EUR 14,80. ISBN 3-374-02279-0.

Rezensent:

Gunther Wenz

Ökumenische Hermeneutik heißt der zusammenfassende Begriff für eine methodisch geregelte Verstehenslehre, die auf Verständigung zwischen den christlichen Konfessionskirchen zielt. Ihre Probleme sind so vielfältig wie die konfessionellen Positionen, um de­ren Verständnis sie sich bemüht. Denn ökumenische Hermeneutik ist kein transkonfessionelles Unternehmen, sondern in aller Regel selbst von einem Konfessionsstandpunkt mitbedingt. Doch vertritt sie, wenn sie ihrem Begriff entspricht, diesen Standpunkt nicht unmittelbar, sondern auf reflektierte Weise und in der kommunikativen Absicht, ihn mit anderen konfessionellen Positionen ins Verhältnis zu setzen und zu vermitteln.
Ein erster und entscheidender Schritt ökumenischer Verständigung ist mit der Klärung der Bedingungen möglichen interkonfessionellen Einverständnisses und kirchlicher Einigkeit getan. Im Sinne der Wittenberger Reformation erfolgte eine solche Klarstellung im siebten Artikel der Confessio Augustana, wo es heißt, zur wahren Einigkeit der Kirche sei es notwendig, aber auch hinreichend, in Bezug auf Evangeliumspredigt und Sakramentsdarreichung übereinzustimmen. Auf den Konsens »de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum« (CA VII,2) ist infolgedessen gemäß reformatorischer Auffassung alle nach den Regeln hermeneutischer Kunst zu betreibende ökumenische Verständigung ausgerichtet. Es kommt darauf an, »daß man des Evangeliums und der Sakrament halben ubereinkomm« (BSLK 61,23–25).
Von dem in CA VII,2 formulierten Programm sind die Beiträge Ulrich Kühns zu Grundfragen einer ökumenischen Hermeneutik durchgehend bestimmt. Evangelische Ökumene, die sich der Augus­tana verpflichtet weiß, ist nach K. »notwendigerweise ›Konsens-Ökumene‹« (21; vgl. 35 u. a.). Ziel ihrer Verständigungsbemühungen muss es sein, einen differenzierten Lehrkonsens zu erreichen, der die Aussage erlaubt, dass theologisch-dogmatische Ge­gensätze der Vergangenheit aktuell keine kirchentrennende Be­deutung mehr besitzen, auch wenn sie nach wie vor konfessionelle Unterschiede begründen. Ökumenisch zu erstreben ist eine Bekenntnis- und Kirchengemeinschaft von Denominationen un­terschiedlicher konfessioneller Herkunft und Prägung, in denen »einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden« (BSLK 61,9–12).
Sein entschiedenes Plädoyer für eine Konsensökumene im Sinne des Augsburgischen Bekenntnisses konkretisiert K. exemplarisch am evangelisch-katholischen Dialog. Bereits im Ansatz verhindert wird ein zu erstrebender Konsens zwischen Reformationskirchen und römisch-katholischer Kirche nach K.s Urteil, wenn man deren ekklesiologische Differenz entweder zu einem marginalen Unterschied verharmlost oder zu einem kontradiktorischen Gegensatz erklärt, der eine Inkompatibilität beider konfessionellen Traditionen impliziere bzw. zur zwangsläufigen Folge habe. K. leugnet nicht, dass im evangelisch-katholischen Dialog mit überlieferten Lehrdifferenzen zu rechnen ist, die den Gesamtzusammenhang der Theologie und des kirchlichen Lebens betreffen; vor allem die Amtsthematik ist in diesem Kontext zu benennen. Er bestreitet aber die Annahme eines Prinzipiengegensatzes, der beide Positionen vorweg als nicht kompatibel erscheinen lässt. Unter diesen Prämissen werden maßgebende Bezugsebenen evangelisch-katholischer Verständigung thematisiert. Gehandelt wird zunächst von Schrift, Tradition und kirchlicher Lehre, sodann von der Kirche als Gegenstand, als Ort und als Subjekt ökumenischer Verständigung. Erörtert wird ferner, welche Bedeutung sog. theologieexterne Faktoren innerhalb und außerhalb der Kirchen für deren traditionelle Gestalt sowie gegenwärtiges Verhältnis zueinander haben. Es gelte, so K., den Mut zu finden, »auch über die nichttheologischen Faktoren des konfessionellen Problems und der konfessionellen Beharrung zu sprechen: über den Faktor kirchlicher Macht, über konfessionelle Konkurrenzen und über die Ängste vor Identitäts- und Gesichtsverlust« (88 f.).
Welche Art von kirchlicher Einheit schwebt K. als Ziel interkonfessioneller Verständigung vor? Wie für seine ökumenische Hermeneutik insgesamt ist auch für die Antwort auf diese Frage das konsensuale Einigungskonzept von CA VII maßgebend. Das reformatorische Verständnis kirchlicher Einheit als konzentrierter Ausdruck reformatorischer Ekklesiologie intendiert weder Uniformi­tät noch eine unverbindliche Pluralität, sondern eine universale Gemeinschaft des Glaubens und des Bekenntnisses unter Wort und Sakrament, welche öffentlich zu verkündigen und zu verwalten dem ordinationsgebundenen Amt aufgetragen ist. In der Gemeinschaft derer, die im Glauben an Wort und Sakrament Anteil haben und sich zu dem in Jesus Christus offenbaren dreieinigen Gott bekennen, können die Verschiedenen als Verschiedene eins sein, weil ihre Verschiedenheit, ohne aufzuhören, ihren trennenden Cha­rakter verloren hat. Es gehört zu den spannendsten Passagen des perspektivenreichen Bandes, wie K. seinen Begriff kirchlicher Einheit und ökumenischen Einverständnisses im Detail profiliert und ebenso konstruktiv wie kritisch ins Verhältnis setzt zu den ebenfalls mit CA VII begründeten Einheitsmodellen, welche in dem Leuenberger Konkordienwerk, in dem EKD-Text »Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis« sowie in dem VELKD-Votum »Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis« entwickelt worden sind. Die Kunstlehre ökumenischer Hermeneutik, so will es scheinen, hat ihre erste und wichtigste Bewährungsprobe im Binnenraum der jeweils eigenen Kirche zu bestehen.