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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

837–839

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hoff, Gregor Maria

Titel/Untertitel:

Die prekäre Identität des Christlichen. Die Herausforderung postModernen Differenzdenkens für eine theologische Hermeneutik.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2001. 582 S. gr.8°. Kart. EUR 88,40. ISBN 3-506-73948-4.

Rezensent:

Philipp Stoellger

Die Krise des Christentums sei eine Identitätskrise, die der Vf. auf eine komplexe Weise zu bearbeiten unternimmt: Einerseits entwirft er in einem ersten Teil »Aspekte postmoderner Hermeneutik« (17–220). Andererseits entfaltet er in einem zweiten Teil »Die theologische Herausforderung der Postmoderne« (im gen. subj.) unter der Leitthese »Zur Kritik theologischer Identitätslogik« (220–546).
Vereinfacht gesagt wird das klassische Paradigma der Identitätstheorie mit Rekurs auf postmoderne Denker problematisiert und durch ein kritisches, auch postmodernekritisches, Differenzverständnis abgelöst. Das ermöglicht eine Neufassung oder zu­mindest Neuperspektivierung ›der‹ Hermeneutik im Zeichen von Differenztheorie. Die bildet den Hintergrund, um auf die postmodernen Kritiken von ›Identität‹ zu antworten und zugleich die theologische ›Identitätslogik‹ zu kritisieren und differenztheoretisch umzuformen.
In seinem ersten Teil (I.1, 17 ff.) wird das Konzept der ›PostModerne‹ in Auseinandersetzung mit Lyotard, Welsch und Baudrillard präzisiert. Sie sei eine in sich heterogene »Denkform« (39), die grundlegend von einer »differenzphilosophische[n] Hermeneutik« gekennzeichnet sei (27). Das besage, sie sei von der Unhintergehbarkeit von Pluralität bestimmt, sei multiperspektivisch, verlasse die Modelle der Einheitsgründe und der Letztbegründung und vertrete die Unmöglichkeit rationaler Ursicherheiten (40 f.).
Selbst in Differenz zu einer so verstandenen Postmoderne vertritt der Vf. eine hermeneutische Perspektive »zwischen Identitäts- und Differenzdenken« (I.2, 42 ff.), die ihm die fundamentaltheologische Frage zu bearbeiten ermöglicht, »wie sich christliche Identität denken und sichern« lasse (42). Nach einer historischen Vergewisserung (mit Hegel, Schleiermacher, Heidegger und Gadamer) skizziert der Vf. die hermeneutische Problemstellung: »Zwischen Identitäts- und Differenzdenken« (74 ff.). Inwiefern diese polare Konstellation allerdings »als Lösungsmittel hermeneutischer Theo­riebildung« (77) fungieren kann und ob ›Differenz‹ in hegelscher Tradition dasselbe meint wie etwa bei Levinas, wäre noch eigens zu erörtern (vgl. 207.209.435 ff.).
In einer zweiten historischen Vergewisserung über die Gegenwartsdiskussionen stellt der Vf. daraufhin »Perspektiven einer differenzphilosophischen Hermeneutik« dar (I.3, 78 ff.). Das heißt, er untersucht die Ansätze von Foucault (79 ff.), Deleuze (106 ff.), des Interpretationismus (von Nietzsche zu Simon, Lenk und Abel, 128ff.), Blumenberg (154 ff.) und Ricœur (184 ff.). Dass hier Figuren wie Lacan und Barthes oder Levinas, B. Waldenfels (vgl. 218 f.) und Derrida (vgl. u. a. 475 f.) nicht eigens thematisch werden, bleibt überraschend. Die Methodik der Untersuchung ist an theologischen An­schlüssen orientiert, die jeweils die Ergebnisse formulieren: Foucault zeige die Unmöglichkeit geschlossener Diskurse und ihre Machtbesetzungen, was auch die Identität des Christentums prekär erscheinen lasse (101.105 f.). Deleuzes Rhizomatik als Denkstil im Zeichen von Differenz wird beispielsweise zur »begründeten Aufforderung an die Theologie«, die Differenzen im Denken und kirchlichen Leben aufzusuchen und »ihnen ihr Recht zu verleihen« (128). Blumenberg wird als »postModerner Differenzphilosoph« in­tegriert wegen seiner »metapherntheoretischen Kontingenztheorie« (183). Wenn Ricœur schließlich mit seiner Dialektik von Identität und Differenz den Abschluss bildet, wird damit eine klare Option zu Gunsten einer (wirklich auf Hegel verzichtenden?) Vermittlungstheorie angezeigt (204 ff., explizit gegen Levinas, 206 f.).
In einer Zusammenfassung (I.4, 207 ff.) resümiert der Vf. die Positionen nochmals und konturiert die maßgeblichen »Identitätsbrecher« (211): Zeit, Interpretation, Individuum und Metapher (nicht aber Alterität, Passivität, Antwort, Trauer, Zeugnis o. Ä.). Statt die Differenz zu schärfen (gegen Levinas, 215 f.), argumentiert der Vf. mit Ricœur für eine »Negative Dialektik des Selbst« (217), die das Fazit ermöglicht: »Die differenzhermeneutische Denkbewegung rundet sich« (ebd.).
Der zweite Teil erörtert theologisch die neu zu verstehende Identität des Christentums im Lichte der im ersten Teil entfalteten Differenztheorien, d. h. »Die theologische Herausforderung der Postmoderne: Zur Kritik theologischer Identitätslogik« (281 ff.). Die Aufgabe lautet präziser, »inwiefern die formallogischen Konzepte Differenz und Identität (= Identität 2) theologische Fluchtpunkte darstellen, die jene Identität des Christlichen (= Identität 1) durchdringen und orientieren« (223). Methodisch vertritt der Vf. eine Fundamentaltheologie »als formaltheologische Logik« (ebd.).
Die Phänomene, die mit seiner (vermittlungslogischen) Differenztheorie zu bearbeiten seien, exemplifiziert er am Bußinstitut, in dem zu Tage trete, wie die christliche Identität des Getauften von Unterbrechungen gekennzeichnet sei (223 f.). Ähnliches gelte für das Verhältnis von Sünde und Dogma oder dessen Geschichtlichkeit (224 f.). Auf diese Differenzphänomene nur mit der »Macht der Identität« (der Kirche) zu antworten, sei zwar produktiv (!), aber problematisch (226). Dagegen sucht er »überzogenes Identitätsdenken« zu kritisieren (226) – wobei die Orientierung an der Identität die funktionale Bindung des Differenztheorems zu bestimmen scheint. Das verdichtet sich im Hinweis auf die »Liebeslogik Jesu«, die »als die eigentliche Theo-Logik hermeneutisch heranzuziehen« sei (227).
In drei Abschnitten entfaltet der Vf. »Das theologische Problem der Identität: Die paradigmatischen Weichenstellungen der Alten Kirche« (II.1, 232 ff.) und »Kirchliche Identitätsprobleme im Streit um die Moderne« (276 ff.) und den »gegenwärtige[n] Problemhorizont: Die Unabweisbarkeit des Pluralismus« (309 ff.). Darauf zielt im Wesentlichen die Problemanalyse des Prekären der Identität des Christlichen. Die Analyse konzentriert sich (allerdings) auf das Vatikanum II (in dem der Vf. eine »implizite Hermeneutik der Differenz« entdeckt, 335 ff.) und fundamentalistische kirchliche Reaktionen.
Entsprechend zum Kapitel I.3 entwickelt Kapitel II.4 die »Ansätze einer theologischen Hermeneutik der Differenz: Theologische Rezeptionen der PostModerne« (355–467). Die außertheologische Diskussionslage wird hier in ihrer theologischen Aneignung und Variation dargestellt, und zwar anhand von Mark Taylor, David Tracy, Sallie McFague, Kevin Hart, Graham Ward, Joachim Valentin, Susanne Sandherr, Johannes Hoff und (u. a.) Saskia Wendel (472ff.). Dass hier manche fehlen, die man erwarten könnte, auch von protestantischer Seite, ist offensichtlich. Dass gleichwohl ein erhellendes Panorama entworfen wird, allerdings ebenso. Die Leitfrage ist dabei: »Wie läßt sich christliche Identität denken, ohne in eine starre Identitätslogik zurückzufallen und ohne zugleich die eigene Verkündigung einem frei entfesselten Spiel der Differenzen an­heimzustellen« (356).
Am Ende der diskutierten Positionen wird schließlich Hansjürgen Verweyens »Programm einer erstphilosophisch begründeten Kriteriologie letztgültigen Sinns« verhandelt (488 ff.) unter dem Aspekt der »erkenntnistheologischen Bedeutung einer Hermeneutik der Differenz« (II.5, 482 ff.). In Tradition der fundamentaltheologischen Fragen nach der demonstratio religiosa und christiana versucht der Vf. das Problem der Glaubensbegründung zu reformulieren (statt es zu lassen oder zu brechen), deren Grund und Erstes als différence erscheine (488, hier wiederholt sich das Desiderat einer Auseinandersetzung mit Derrida). Ob Verweyens Fundamentaltheologie darauf die passende ›Antwort‹ bietet, wird möglicherweise strittig bleiben.
In einer prägnanten Schlussreflexion (II.6, 525 ff.) rekapituliert der Vf. nochmals sein Motiv, die theologische Identitätskritik, seine ›Logik‹, die Differenzwahrnehmung und ausblickend sein Programm in »Thesen zu einer postModernen theologischen Differenzhermeneutik« (541 ff.). Final wird exemplarisch mit Walter Kasper die »christliche Trinitätslogik zur Antwort auf die wesentliche postModerne Herausforderung an die Theologie: zu einer Hermeneutik jenseits von Fundamentalismus und Relativismus … zwischen Identität und Differenz« (546). Ob damit allerdings die Herausforderung noch in ihrer befremdlichen Differenz zu Wort kommt? Eine Hermeneutik im Zeichen von Differenz, die sich fremden Ansprüchen aussetzt, könnte auch zu befremdlicheren Antworten führen.
Dennoch bietet die Arbeit eine so erhellende wie hilfreiche Erörterung der ›Postmoderne‹ unter einer so komplexen wie einleuchtenden Frage: Wie kann man die Identität des Christlichen angesichts von Pluralismus und Differenztheorien verstehen? Zugleich wird damit die hermeneutische Tradition konstruktiv geweitet auf die genannten Theorien hin, um mit ihr an dem Identitätsproblem anders arbeiten zu können als allein im Zeichen höherer oder ursprünglicher Einheit. Dass diese Problemstellung auch für eine ökumenische Diskussion fruchtbar werden könnte, dass sie von protestantischer Seite aus vielleicht noch differenzorientierter akzentuiert würde und dass auch die Schärfe der Differenztheoretiker in ihrer Befremdlichkeit stärker zum Tragen kommen könnte, sind vielleicht marginale Einwände, ist aber doch nicht ›nur‹ margi­nal (vgl. 226). Gleichwohl ist die Problemstellung wie die eindrucksvolle Durcharbeitung der Diskussion mit ihrer hermeneutisch weiterführenden Perspektive ein merklicher Gewinn.